Grosse Mengen Kokain kommen via Belgien nach Europa. Nun haben die Behörden des Landes einen grossen Drogenring zerschlagen. Weiterhin sind aber grosse Anstrengungen nötig, damit die Kriminellen die Institutionen des Landes nicht unterwandern.
Der riesige Hafen von Antwerpen ist der Wirtschaftsmotor Belgiens. Er hält viele gesetzestreue Unternehmen des Landes am Laufen, kommt aber auch der belgischen und der niederländischen Unterwelt zugute. Kriminelle nutzen den Hafen, um Kokain und Cannabis von Lateinamerika und Nordafrika nach Europa zu schleusen. Die belgischen Behörden versuchen mit viel Aufwand, das Problem in den Griff zu bekommen – und nun ist ihnen laut eigener Einschätzung ein grosser Erfolg geglückt.
Teilweise geständige Drogenbosse
Ein Gericht in Brüssel hat diese Woche 119 Personen zu Gefängnisstrafen zwischen 14 Monaten und 17 Jahren verurteilt. Die Delikte sind Drogenhandel, unerlaubter Waffenbesitz und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation.
Das sei eine Wende im Kampf gegen die Drogenkriminalität, sagte Belgiens Innenministerin Annelies Verlinden, nachdem das Urteil verkündet worden war. Der Gerichtsprozess lief von Dezember 2023 bis Mai 2024 und fand im ehemaligen Nato-Hauptquartier statt. Die Behörden nutzen es nun für Gerichtsverhandlungen, die einen besonderen Schutz benötigen.
An der Spitze des Netzwerkes stand Eridan Muñoz Guerrero. Der 51-Jährige erhielt eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren und muss eine Konfiskation von 20 Millionen Euro hinnehmen. «Ich war der Kopf einer kriminellen Organisation, ich war am Drogenhandel beteiligt. Ich habe gespielt und verloren», sagte Guerrero in der ersten Anhörung gegenüber den belgischen Behörden.
Abdelwahab Guerni, die angebliche Nummer zwei der Organisation, wurde zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Algerier blickt auf eine lange Karriere in der Unterwelt zurück, mit 19 Jahren ist er laut eigenen Aussagen zum ersten Mal verhaftet worden.
Die Polizei las im Messenger-Dienst mit
Das Urteil und die Gerichtsverhandlungen sind das Ergebnis einer aufwendigen Razzia, die im Oktober 2021 stattgefunden hat. Damals stürmte die belgische Polizei landesweit mehrere Labore und Räume, in denen Kokain extrahiert, verpackt und gelagert wurde. Nach Angaben der Behörden wurden in jenem Herbst 114 Hausdurchsuchungen durchgeführt und 64 Personen verhaftet. Die Polizei beschlagnahmte 67 Luxusfahrzeuge, Dutzende von Waffen, Bargeld, Störsender und mehrere Tonnen Kokain.
Die Staatsanwaltschaft sagte damals, man sei verschiedenen Vereinigungen auf die Spur gekommen, die seit 2017 aktiv und miteinander verflochten seien, teilweise auch verwandtschaftlich. Zuvor war es der französischen und der niederländischen Polizei gelungen, den mittlerweile eingestellten Messenger-Dienst Sky ECC zu knacken, den die Drogenhändler für die Kommunikation untereinander genutzt hatten. Sie informierten sich beispielsweise gegenseitig über ankommende Kokainlieferungen.
Obwohl Belgiens Innenministerin Verlinden das Urteil als Erfolg feiert, wird der Kampf gegen die Drogenkriminalität für die Polizei und die Justiz eine Sisyphusarbeit bleiben. Durch die aufgeflogene Messenger-Kommunikation hatten die Belgier auf eindrückliche Weise erfahren, wie sehr sich kriminelle Organisationen in ihrem Land breitgemacht hatten.
Auf den ersten Blick scheint der Kampf gegen die Banden mittlerweile zwar Erfolge zu zeitigen. 2023 sind im Hafen von Antwerpen 121 Tonnen Kokain beschlagnahmt worden, in diesem Jahr bisher 35 Tonnen. Rückläufig waren die Sicherstellungen auch im Hafen von Rotterdam, dem grössten des Kontinents.
Es braucht weitere Anstrengungen
Die belgischen und niederländischen Zollbehörden führen das auf die schärferen Kontrollen zurück, was die Händler dazu zwinge, auf andere Häfen auszuweichen.
Der Chef der nationalen Polizei Belgiens in Antwerpen glaubt dagegen, dass die Händler Wege und Mittel gefunden hätten, die Kontrollen zu umgehen und die Waren durch den Hafen zu schmuggeln.
Auch Kriminalisten sind der Meinung, dass ein Schlag gegen ein Netzwerk nicht reiche, um das Drogengeschäft lahmzulegen – und sei er auch so spektakulär wie jener der belgischen Polizei. Die mit Drogen zu erzielenden Gewinne sind riesig und stellen für kriminelle Organisationen eine grosse Verlockung dar. Werden Drogenbosse von den Behörden aus dem Verkehr gezogen, springen meist sogleich andere Händler ein.
In Belgien, aber auch in den Niederlanden herrscht daher die Furcht, dass sich Drogenhändler in der Geschäftswelt einnisten und auch danach trachten, die Verwaltung und die Justiz zu unterwandern. Weder Belgien noch die Niederlande sind bereits «Narco-Staaten», wie das in politischen Debatten manchmal polemisch behauptet wird.
Aber beide Länder werden weiterhin grosse Anstrengungen unternehmen müssen, um die Netzwerke der Drogenhändler einzugrenzen. Die Infrastruktur mit den beiden Grosshäfen von Antwerpen und Rotterdam ist auch für Kriminelle einfach zu gut.