Mittwoch, April 30

Temu flutet den europäischen Markt mit Billigwaren aus China. Mehrere Länder, darunter die Schweiz, ringen um den richtigen Umgang damit. Am weitesten geht Frankreich.

Am Sonntag ist Muttertag, und für den chinesischen Online-Händler Temu bedeutet das: Hochbetrieb. Ein Reiserucksack für 19 Franken, Kunstblumen für 7 Franken, ein doppelseitiges Klebeband für 90 Rappen – diese und weitere fragwürdige Geschenke bietet Temu derzeit für die Mütter dieser Welt an. Fast jedes Produkt ist heruntergesetzt, was man unschwer am pinkfarbenen Rabatt-Banner erkennt. Und auch darüber und darunter ist immer irgendwo eine Anzeige zu finden, die gerade blinkt oder sich bewegt. Die Botschaft ist so deutlich wie penetrant: Kauf das jetzt, sonst schnappt es dir jemand anderes weg.

Tiefstpreise, gepaart mit aggressivem Marketing – mit dieser Strategie ist Temu bis jetzt sehr erfolgreich. Letztes Jahr trat der Händler in den Schweizer Markt ein und erzielte laut Schätzungen von Analysten auf Anhieb einen Umsatz von 350 Millionen Franken. In Deutschland gibt jeder Vierte an, schon einmal etwas auf Temu gekauft zu haben.

Dem Erfolg folgt die Kritik. Temu, so heisst es, verkaufe massenweise Produkte mit schlechter Qualität und ohne Rücksicht auf die Umwelt. Zudem wird die Plattform regelmässig des Preisdumpings bezichtigt, mittlerweile steht auch der Vorwurf manipulativer Kaufanreize im Raum.

«Narrenfreiheit» für Temu?

Der jüngste Anstoss kommt vom deutschen Drogerie-Unternehmer Raoul Rossmann. «Es gibt in Deutschland eine Narrenfreiheit für fragwürdige digitale Geschäftsmodelle», sagte der Chef der Handelskette im Interview mit dem «Handelsblatt». Rossmann fordert von der Politik ein Durchgreifen. «Wenn Temu die Regeln nicht einhält, sollte es einfach abgeschaltet werden.»

Mit «Regeln» meint Rossmann die Anfang 2024 in Kraft getretene Digital Services Act der EU. Diese sieht strengere Vorgaben für grosse Online-Plattformen vor. Händlern wie Temu oder dem Fast-Fashion-Verband Shein ist es dementsprechend verboten, die Konsumenten mittels psychologischer Tricks zu manipulieren.

Doch genau dies mache Temu, behaupten die Verbraucherschützer. Wer die App benutzt, wird überflutet mit Hinweisen wie «Beeile dich! Über 132 Personen haben diesen Artikel in ihrem Warenkorb». Potenzielle Käufer werden so während des Bestellens unter Druck gesetzt.

Eine Gefahr für den Konsumenten

Auch in der Schweiz mehrt sich die Kritik. Die GLP-Ständerätin Tiana Moser forderte kürzlich in einer Interpellation «gleich lange Spiesse» bei Online-Marktplätzen. Eine Antwort des Bundesrats steht aus.

Dagmar Jenni ist Direktorin des Detailhandelsverbands. Sie sagt: «Konkurrenz belebt das Geschäft, aber es müssen für alle dieselben Wettbewerbsbedingungen gelten.» Das gelte beispielsweise für die Vorgaben an Produktsicherheit: Während es für in der Schweiz hergestellte Produkte bestimmte Vorschriften zur Qualität gibt, unterliegt Temu dieser Kontrolle nicht. Jenni sagt: «So können gesundheitsgefährdende Produkte an den Konsumenten gelangen, die eigentlich verboten sein müssten.»

Bei den Preisabschlägen, die Temu nonstop im Angebot hat, stellt sich laut Jenni die Frage, ob sie rechtens sind. In der Schweiz hätten sich Hersteller an die sogenannte Preisbekanntgabeverordnung zu halten; sie soll unter anderem verhindern, dass irreführende Angaben zu Preisen gemacht werden können, indem zum Beispiel mit Rabatten geworben wird, ohne dabei den Bezugspreis anzugeben.

Stichproben sind nicht möglich

Regulierungsbedarf sieht auch die Stiftung für Konsumentenschutz. Aktiv geworden sei man bisher nicht, sagt Lucien Jucker. «Wir haben noch keine ideale Lösung ausgearbeitet, aber das Thema wird kommen.» Das Problem sei die fehlende rechtliche Grundlage, um gegen Anbieter wie Temu vorzugehen. Dem Bund bleibe nur die Möglichkeit, die Produkte mit Stichproben zu untersuchen. «Und diese Kapazität haben die Behörden schlicht nicht. Dafür kommen zu viele Pakete jeden Tag in die Schweiz», sagt Jucker.

Bis die Schweiz eine Lösung gefunden habe, rät der Konsumentenschutz, «auf Käufe von sensiblen Sachen wie Spielzeug oder elektronischen Produkten zu verzichten». Temu wurde in der Vergangenheit kritisiert, weil es Schnuller mit gesundheitsgefährdenden Weichmachern oder Dampfgarer ohne Schutzleiter im Stecker verkaufte.

Weiter ist man in der Causa Temu in Frankreich. Das Land will Billiganbieter mit einem neuen Gesetz zur Einhaltung von Umweltstandards zwingen. Über ein Werbeverbot und Preisaufschläge wollen die Franzosen zudem gegen das Geschäftsmodell der Chinesen vorgehen. So soll auf Waren, die bestimmte Kriterien wie die Recyclingfähigkeit nicht erfüllen, eine Umweltabgabe von bis zu 10 Euro pro Artikel anfallen.

Die Vorlage wurde im März von den Abgeordneten der Nationalversammlung gebilligt. Jetzt muss ihr nur noch der Senat zustimmen.

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