Donnerstag, November 14

Justin Welby hat sich als oberster Geistlicher der Anglikaner immer wieder zu politischen Fragen geäussert. Nun beugt er sich öffentlichem Druck wegen seiner Rolle in einem sadistischen Missbrauchsskandal.

Der Fall des sadistischen Kirchenrechtlers John Smyth gilt als schlimmster Missbrauchsskandal in der Geschichte der Church of England. Die Zeugenaussagen der weit über hundert Opfer des Klerikers erschüttern die britische Öffentlichkeit bis heute. Nun hat der Skandal auch das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Justin Welby, erfasst: Nach zunehmendem öffentlichem und kircheninternem Druck wegen seiner Rolle im Fall Smyth hat der Erzbischof von Canterbury am Dienstag seinen Rücktritt angekündigt.

Trotz Hinweisen nicht gehandelt

Welby wird vorgeworfen, den jahrzehntelangen Missbrauch von weit über hundert Knaben und jungen Männern durch Smyth nicht öffentlich gemacht zu haben. «Es ist völlig klar, dass ich die persönliche und institutionelle Verantwortung für die lange und erneut traumatisierende Zeit zwischen 2013 und 2024 übernehmen muss», heisst es in einer Mitteilung des 68-Jährigen.

Welby soll bereits in den achtziger Jahren erste Hinweise auf Fehlverhalten von Smyth erhalten haben, mit dem er ein kollegiales Verhältnis pflegte. Laut einem neuen Untersuchungsbericht erhielt die Leitung der anglikanischen Kirche 2013 konkrete Informationen über den Missbrauch. Doch unterliessen es Welby und seine Entourage, die Polizei zu informieren oder Smyth intern zur Rechenschaft zu ziehen.

«Ich hoffe, diese Entscheidung macht deutlich, wie ernst die Church of England die Notwendigkeit einer Veränderung und unser tiefes Engagement für eine sicherere Kirche nimmt», erklärte Welby. «Ich trete von meinem Amt zurück, in tiefer Trauer mit allen Opfern und Überlebenden von Missbrauch.»

Brutale Züchtigungen

Smyth war innerhalb der anglikanischen Kirche als Anwalt tätig gewesen, aber auch als Leiter religiöser Lager für Knaben. Dort soll er die meisten seiner Opfer kennengelernt und ihr Vertrauen gewonnen haben. In der Folge lud er die Knaben und jungen Männer in sein Zuhause ein, wo er sie unter dem Vorwand, sie müssten für ihre Sünden büssen, brutalsten körperlichen Züchtigungen unterzog.

Die von Gebeten begleiteten Missbräuche dauerten vielfach Jahre an, da sich viele Opfer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Smyth befanden und sich ihrem Schänder nicht entziehen konnten. Wegen der Stockschläge und Peitschenhiebe auf die nackte Haut erlitten viele Opfer blutige Verwundungen und nachhaltige psychische Schäden.

Nachdem die Kirchenleitung in England 2013 offiziell über die Vorfälle in Kenntnis gesetzt worden war, setzte sich Smyth nach Simbabwe ab, wo er erneut religiöse Lager für Jugendliche leitete und laut dem Untersuchungsbericht seinen Missbrauch fortsetzte. Smyth starb 2018 in Südafrika, nachdem er in seiner kirchlichen Karriere mindestens 115 Knaben und junge Männer malträtiert hatte.

Spirituelle und politische Rolle

Welby wurde 2013 zum Erzbischof von Canterbury und damit zum spirituellen Oberhaupt der anglikanischen Kirche mit weltweit rund 80 Millionen Mitgliedern ernannt. Vor seiner Weihung war der verheiratete Vater von sechs Kindern für eine Ölfirma tätig gewesen, was Hoffnungen weckte, er werde die kriselnde Kirche als kompetenter Manager durch kontroverse Debatten rund um die Homo-Ehe, Missbrauchsskandale oder die Weihung von Frauen führen.

Intern verfolgte Welby einen Kurs einer vorsichtigen Modernisierung und rang sich etwa dazu durch, Segnungen für homosexuelle Paare zu befürworten. Gleichzeitig verfolgte er eine Politik der Nulltoleranz, wenn bei Missbräuchen die kircheninterne Aufsicht versagt hatte. Dies fiel nun im Fall Smyth auf Welby selber zurück.

Im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit stand Welby, als er im Frühjahr 2023 Charles III. zum britischen König krönte. Der Monarch ist das nominelle Oberhaupt der anglikanischen Kirche, während dem Erzbischof von Canterbury die Rolle des spirituellen Oberhaupts zukommt.

In dieser Funktion sass Welby auch im britischen Oberhaus und äusserte sich immer wieder zur Tagespolitik. So kritisierte er den harten migrationspolitischen Kurs der abgewählten konservativen Regierung scharf und stellte sich gegen Pläne zur Liberalisierung der Sterbehilfe. Dass der Erzbischof von Canterbury nun über seine Rolle in einem brutalen Missbrauchsskandal stolpert, ist auch ein Schlag für die moralische Autorität der Church of England.

Exit mobile version