Dienstag, Oktober 8
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


Bekanntes Ranking

Auch in diesem Jahr wurde die Rangliste der «World’s 50 Best Restaurants» in grossem Rahmen vorgestellt. Überraschungen gab es nur wenige, aus Schweizer Sicht bleibt das Ranking gähnend langweilig. In Berlin, in Barcelona oder in Bangkok geht hingegen die Post ab.

So ganz schlecht scheint es der Gastronomie nicht zu gehen. Dieser Eindruck drängte sich jedenfalls auf, wenn man die Berichterstattung der gerade eben präsentierten Liste der «World’s 50 Best Restaurants» verfolgte. Allerlei europäische Köche und Wirtinnen waren höchstpersönlich nach Las Vegas gereist, um sich ehren und sehen zu lassen.

Das Rezept des Ratings scheint aufzugehen, von Jahr zu Jahr mehr. Sponsoren sind der Veranstaltung treu, das Medieninteresse ist gross, und vor allem ausserhalb von Europa bedeutet ein Platz in den Top 100 – die ursprünglichen 50 sind ja längst erweitert worden – fast ebenso viel wie die drei Sterne im «Guide Michelin».

Restaurants in Metropolen bevorzugt

Für etablierte Köche wie Andreas Caminada dagegen dürfte die Auszeichnung nur das Tüpfelchen auf dem i darstellen. Der Chef von «Schloss Schauenstein» rangiert zuverlässig unter den Besten (dieses Mal auf Platz 47); weitere Kollegen in der Eidgenossenschaft sind den Votern allerdings kein Begriff. Selbst einem Aufsteiger wie Sven Wassmer wurde kein Zugang zur vermeintlichen Elite gewährt.

Zufall kann man das nicht nennen. Das System der «50 Best» bevorzugt ganz offensichtlich Restaurants in Metropolen. Unter den ersten zehn Lokalen der Liste stehen nicht weniger als neun in Gross-, fast immer auch Hauptstädten; Mexico-Stadt, Kopenhagen, Lima oder New York sind vertreten. Lediglich das Grillrestaurant «Asador Etxebarri» befindet sich im Baskenland auf dem Lande, und Caminadas Fürstenauer Lokal stellt eine weitere Ausnahme von der Regel da.

Die deutsche Küche mausert sich, Asien und Südamerika sind im Trend

Wer die weltweit populärste Restaurantliste nun als hundertprozentig albern abtäte, machte dennoch einen Fehler. Ein paar Trends nämlich lassen sich schon ablesen. Deutschland etwa ist im Vergleich zu früher gut vertreten, auch wenn für die Rating-Macher bloss Berlin und München zu existieren scheinen. Der Einstieg des Berliner «Coda», eines lediglich Desserts servierenden Restaurants auf Platz 62, ist sehr erfreulich, weil sich an ihm zeigt, dass aussergewöhnliche Ideen gewürdigt werden.

Zahlreich vertreten sind auch Asien und Südamerika. Dass Bangkok auf der Liste besonders gut wegkommt, ist durchaus nachvollziehbar. Im «Le Du» habe ich letztes Jahr sehr gut gespeist, das «Potong» bietet ein cooles Gesamtkonzept, und dass Koch Gaggan Anand auf Rang neun steht, ist angesichts dessen extrovertierter und marketingaffiner Persönlichkeit fast zwangsläufig. Doch ehrlich gesagt: Keines der drei Lokale würde von mir die Drei-Sterne-Auszeichnung erhalten. Sie sind zwar höchst lebendig und fahren ein kurzweiliges Konzept, aber erreichen in ihren Speisen nicht durchweg die für drei Sterne notwendige Komplexität.

Die neue Lockerheit: Ein Besuch bei Oriol Castro drängt sich auf

Doch um die Sterne und um die althergebrachten Kriterien der Gastrotester geht es in vielen hochplatzierten Betrieben auf der Liste gar nicht. Es geht um ungezwungenen Spass auf hohem kulinarischem Niveau. Solchen kann man bei Oriol Castro haben, einem der Macher der neuen Nummer eins der Liste, des «Disfrutar» in Barcelona, im Pariser «Septime» (Nummer elf) oder im Madrider «Diverxo» (Nummer vier).

Zwei meiner Favoriten allerdings stehen, vergleichsweise abgeschlagen, auf den Plätzen 76 und 77. Sowohl im «Flocons de Sel» in Megève als auch im «Grenouillère» in La Madelaine-sous-Montreuil habe ich mich nicht nur wohlgefühlt, sondern auch ein Essen auf Drei-Sterne-Niveau genossen. Die Verbindung zwischen grosser Gourmetküche und moderner Trendgastronomie: Sie kann gelingen. Und in beiden Restaurants sind garantiert eher Tische zu bekommen als in Oriol Castros «Disfrutar».

Exit mobile version