Buchtipps
Die spannendsten, schönsten und berührendsten Werke des Sommers für Kinder und Teenager.
1. Anruf ins Weltall
Mal möchte man weinen, mal laut herauslachen, weil Karen Köhler mit so viel Witz und Wärme erzählt. Mit treffenden Formulierungen schildert sie das Empfinden der 10-jährigen Toni. Toni und ihre beste Freundin versuchen, mit einem selbstgebastelten Radio zu Tonis verstorbener Mutter Kontakt aufzunehmen, die sie irgendwo im Weltall vermuten. Stattdessen meldet sich eine Astronautin aus der ISS. Dieser berührende Roman handelt vom Trauern und Erinnern und davon, wie tiefe Liebe und Freundschaft trösten und Mut machen können.
Text: Andrea Lüthi
Karen Köhler: Himmelwärts
Hanser 2024. 192 Seiten, (ab 10 Jahren), Fr. 26.90, erhältlich bei Orell Füssli.
2. Doppelleben
Als Kind kam die Autorin Anna Dimitrova aus Bulgarien nach Deutschland. Sie kennt daher Situation und Gefühle ihrer 16-jährigen Hauptfigur, und ihre Empathie ist spürbar: Dessi fühlt sich nirgends zugehörig und führt ein Doppelleben. In rotzigen Dialogen widerspiegelt sich Dessis Lebenswelt. In ihrem Wohnquartier lästert sie als «Kanak Kid» über die «Almans» und trägt Jogginghose. Im Gymnasium zeigt sie sich mit blauen Kontaktlinsen und blonder Perücke. Das bringt überdreht-komische Situationen mit sich – bis Dessis Doppelspiel irgendwann auffliegt.
Text: Andrea Lüthi
Anna Dimitrova: Kanak Kids
Arctis 2024. 384 Seiten, (ab 14 Jahren), Fr. 29.90, E-Book 15 Franken, erhältlich bei Orell Füssli.
3. Katze und Kind suchen Nähe
Ein Kind kriecht durch die Katzenklappe und erfüllt so den Wunsch der Katze, nachts nicht allein zu sein. Die beiden tun sich gut. Aber irgendwann bleibt die Klappe zu und das Kind draussen. Dafür besucht die Katze bald das Kind. Der Text sagt wenig zum Hintergrund der Charaktere, aber ihr Wille, die Einsamkeit zu durchbrechen und Nähe zu erleben, tritt uns in starken Nachtbildern entgegen. Eine faszinierende Parabel über Sehnsucht nach Bezogenheit; sprachlich und bildnerisch einfach, aber vielschichtig im Nachhall.
Text: Hans ten Doornkaat
Armin Kaster (Text) / Sabine Rufener (Bild): Das Nachtkind
Jungbrunnen 2024. 32 Seiten, Fr. 26.90, erhältlich bei Orell Füssli.
4. Von Ängsten und Freuden
Der Verlag preist die Erlebnisse der kleinen Ada an, als ginge es um einen Katalog von Gefühlen. Das liegt im Trend, ist jedoch dumm, denn Erzählen ohne Gefühle klappt nicht. Doch Stefanie Höfler löst die Absicht so brillant und nuanciert ein, dass der Ärger verfliegt. Man muss Ada und ihren kleinen Bruder mit all ihren Freuden, Ängsten und Alltagsnöten einfach gern haben. Und wenn Philip Waechter die Stimmungen schmunzelnd zeichnet, kann man nur staunen ob so viel Charme. Einfach vorlesen, Episode um Episode, und sich verzaubern lassen.
Text: Hans ten Doornkaat
Stefanie Höfler (Text) / Philip Waechter (Bild): Ameisen in Adas Bauch
Beltz & Gelberg 2024. 136 Seiten, (ab 8 Jahren), Fr. 24.90, erhältlich bei Orell Füssli.
5. Rambazamba im kleinen Haus
Das Haus liegt nicht einfach idyllisch am Fluss. Auf der Rückseite ist die Strasse, und so kracht einmal ein Lastwagen in die Stube. Aber das eigentliche Thema ist, trotz oder vielleicht auch wegen vieler Leute (und einiger Hühner) auf engstem Raum, der Umgang miteinander. Es passiert einiges, auch Schwieriges, aber Herzlichkeit, Nachsicht und solidarisches Handeln prägen das Zusammenleben – und zwar glaubwürdig. Das kommt auch im Hörbuch zum Tragen, das die Schauspielerin Sascha Icks quirlig und doch eindringlich liest.
Text: Hans ten Doornkaat
Selma Noort: Das kleine Haus am Fluss
Übersetzt von Andrea Kluitmann. Gerstenberg 2024. 208 Seiten / Audio-Verlag 263 Minuten, (ab 10 Jahren), Fr. 24.90, E-Book 13 Franken, erhältlich bei Orell Füssli.
6. Sehnsucht nach Wurzeln
Ein verträumtes Buch, obschon es von einem ungewollten Wegzug erzählt, vielleicht gar von Migration oder Flucht. Diesen Erfahrungen hält der Text die Wünsche des betroffenen Kindes entgegen: Es möchte Wurzeln schlagen, ein Baum sein. Die grosszügigen Illustrationen folgen den Wunschbildern, bauen sie aus und bleiben doch zurückhaltend. In deren Zartheit aber steckt die Chance, dass wir mitschauend Hoffnungsspuren finden und mit dem Kind den Glauben an neues Wurzeln teilen.
Text: Hans ten Doornkaat
Andrea Hensgen (Text) / Hannah Brückner (Bild): Ich wäre gern ein Baum
Peter Hammer 2024. 32 Seiten, Fr. 28.90, erhältlich bei Orell Füssli.
7. Rätselhafte Hinweise
Ein tödlicher Unfall mit Fahrerflucht verbindet zwei Geschichten, in denen Schuldgefühle eine zentrale Rolle spielen. In der einen hinterlässt eine verschwundene Jugendliche geheimnisvolle Hinweise, in der anderen verlieben sich eine coole Skaterin und ein nerdiger Gamer zaghaft ineinander. Bis zu einem überraschenden Drehmoment versucht man als Leserin Zusammenhänge zu erraten und Andeutungen zu entschlüsseln. Dieser Roman bietet nicht nur Spannung, sondern überzeugt auch durch feine Charakterzeichnungen.
Text: Andrea Lüthi
Michael Sieben: Und dann springe ich
Carlsen 2024. 240 Seiten, (ab 14 Jahren), Fr. 16.90, E-Book 13 Franken, erhältlich bei Orell Füssli.
8. Sommertag
Ein Hitzetag in der City, zu heiss für Frauchen und erst recht für ihren Hund. Also fahren sie mit der S-Bahn ans Meer, vergnügen sich und kommen am Abend glücklich nach Hause. Das klingt alltäglich, ist aber so temporeich und mit Blick für Details gezeichnet, dass Mitgefühl und Mitlachen sich austoben können wie ein Hund am Strand. Mit knappem Text und lebendiger Kameraführung entwickelt sich da eine Bildfolge, die genial in die Breite erzählt und doch hineinführt in das Empfinden der Figuren.
Text: Hans ten Doornkaat
Doug Salati: Ein Tag am Meer
Übersetzt von Bernadette Ott. Aladin 2024. 40 Seiten, Fr. 24.90, erhältlich bei Orell Füssli.
9. Schabernack zum Vorlesen
Räuberkinder wohnen bekanntlich im Wald; in einem Haus, dessen Dach genau dort kaputt ist, wo die Badewanne druntersteht. Glück ist auch, dass der Räubersack von Greti und Jocke so gross ist, dass sie nur ab und an auf Diebestour müssen. Doch sich prügeln und vertragen kann man auch zu Hause. Davon erzählt die Illustratorin und Autorin Kristina Andres in den elf Räubergeschichten so übertrieben, dass das Freche stets ins Drollige kippt. Und eine Katze, die alles kann, wozu Kinder sonst Eltern brauchen, zaubert abends mit stillvergnügtem Schnurren eine wohlige Ruhe in die Hütte.
Text: Hans ten Doornkaat
Kristina Andres: Los, wir fangen einen Koch!
Moritz 2024. 96 Seiten, (zum Vorlesen ab 6 Jahren), Fr. 25.90, erhältlich bei Orell Füssli.
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Die Buchtipps stammen aus der Beilage «Bücher am Sonntag» der «NZZ am Sonntag».