Montag, Oktober 7


Tipps

Wir stellen Schweizer Ausstellungen vor, die ortsspezifische Arbeiten zeigen und in denen man sieht, was Kunst kann, wenn sie nicht nur auf Sockeln und in den üblichen Räumen gezeigt wird.

Zu viel Beton oder Dichtestress-Koller – es gibt etliche Gründe, um die Stadt in den Sommermonaten hinter sich zu lassen. Eine der schönsten «Raus aus der Stadt»-Ideen, nicht nur für Kunstaffine, ist die Flucht zu liebevoll kuratierten Ausstellungsformaten, die das Ländliche mit Kunstbetrachtung verbinden. Das alles hat auch nichts mit blank polierten Galerien- und Museumsböden zu tun. Die Programme sind eher als Einladungen zu verstehen, die sich an ein breites Publikum richten und die Anwohner und Besucher auf galante Weise miteinander in Verbindung bringen.

Die Formate sind umso spannender, da sie oft Aspekte wie Geschichte, Geografie, Industrie, Klima oder Wirtschaft berücksichtigen. Häufig nehmen die Künstler und Künstlerinnen Bezug, erschaffen ortsspezifische Arbeiten oder rücken sonst Unbemerktes in den Fokus. Der Ort wird also nicht einfach durch die Kunstwerke korrumpiert, sondern auf recht vielfältige Weise erfahrbar. Man entdeckt Läden oder Leerstehendes, Landschaften, die sich durch Erdrutsche neu gebildet haben, ehemalige Industrieareale oder oft Gesehenes, was durch künstlerische Intervention neu und anders betrachtet werden muss.

Wir empfehlen drei Ausstellungsformate, die sich für einen Sommerausflug eignen, der gut und gern auch zwei Tage dauern kann.

1. «Backstage» Engelberg

Wie der Name dieses Ausstellungsformates schon andeutet, entdeckt man hier nicht nur das, was man gewöhnlich mit der Klostergemeinde Engelberg verbindet – wie Wandern, Skifahren, Golfen. Die von Dorothea Strauss kuratierte Ausstellung lenkt den Blick hinter die Fassaden, in einen Tunnel, einen ehemaligen Schuhmacherladen, ein Billetthäuschen, eine ehemalige Schlachterei, einen alten Eiskeller, Dachböden, schlafende Kegelbahnen und vieles mehr. So hat man Engelberg noch nie gesehen, und das tut gut, bewegt man sich doch im Alltag oder eben an derartigen Freizeitorten meist nur auf platt getretenen Pfaden oder schaut und macht, was alle anderen auch im Fokus haben.

Wirklich überraschend hier in Engelberg ist, dass an jeder Station Schüler oder Pensionierte, Frauen und Männer die Gäste empfangen und passioniert die Räume einführen, die man betritt. Herzlich ist’s, und man stellt fest, dass man im üblichen Tourismusmodus eines Wanderers wohl nicht so ins Gespräch mit den Engelbergern käme.

53 Künstler und Künstlerinnen aus 18 Nationen bespielen das Ausstellungsformat, darunter Zilla Leutenegger, Olaf Nicolai, Francis Alÿs, Fabian Marti, Sabine Kühnle, Daniele Buetti und Ingeborg Lüscher. 21 Stationen werden zu einem Werk-Parcour aus Soundstücken, Skulpturen, Zeichnungen, Objekten, Video oder Fotografien und lockern steif gewordene Alltagsgemüter.

«Backstage Engelberg» zeigt Arbeiten, die zum grossen Teil für die Ausstellung erschaffen wurden, andere sind älter, haben aber einen Bezug zu Engelberg oder sind universell lesbar. Die Werke rütteln, verzücken, berühren. Geschichte, Klima, Wirtschaft, Tourismus, Sozialpolitik, aber natürlich auch individuelle Themen, das zeitlose und eigene Erleben sind Punkte zum Andocken und Engelberg als ein Universum zu erkunden, in dem es nicht um Ausschluss und Einseitigkeit, sondern um Verbundenheit, Austausch und Vielfalt geht.

«Backstage Engelberg» läuft bis einschliesslich 18. August und entstand auf Initiative des Galeristen Peter Kilchmann, der Dorothea Strauss als Kuratorin einlud. Die beiden gründeten auch den Verein «Backstage Engelberg». Alle Informationen finden sich auf der Website.

2. Biennale Bregaglia

Seit 2010 findet die Biennale Bregaglia (bis 2020 noch unter verschiedenen Namen) im Zweijahresrhythmus im wild-romantischen Bergell statt. In diesem Jahr kuratierte die Tessinerin Misia Bernasconi die Biennale unter dem Thema «Architektur und Gärten». Die kleine Gemeinde Bondo, fürchterlich bergsturzgeplagt im Jahr 2017, mit zirka 200 Einwohnern, ist der Mittelpunkt der Biennale. Ein aufschlussreiches und interessantes Rahmenprogramm verbindet aber das gesamte Bergell von Isola (CH) bis nach Chiavenna (IT).

Zehn ortsspezifische Werke von nationalen und internationalen Künstlern und Künstlerinnen, darunter der Japaner Kotoaki Asano (1972), die Irin/Schweizerin Lisa Collomb (1982) oder die Schweizerin Athene Galiciadis (1978) werden ausgestellt. Alle Arbeiten entstanden in Bezug auf Bondo oder das Bergell im Allgemeinen. Wie schon in Engelberg sind die künstlerischen Interventionen keine lärmenden Paukenschläge, sondern sensibel-geschickte Vermittler zwischen Natur, Dorfgemeinschaft, Architektur und Kunst. Die Werke gliedern sich ein, ordnen sich dem Gegebenen unter und fokussieren auf das Bestehende.

Wunderbar poetisch, mit Licht und Wind spielend, ist die Arbeit von Kotoaki Asano (siehe Artikelbild) namens «Wind Pavillon», die aus drei Teilen besteht. Jeder der drei Pavillons ist aus einem anderen Material – Nylonfäden, feine Stahlseile und Baumwollgewebe und Nylonnetz. Als künstlerische Intervention erscheinen sie zart und fragil, und doch schwingt etwas Beschützendes mit.

Auch die oben gezeigte Arbeit von Athene Galiciadis hat etwas von einem Schutzraum. Hier im Freien hat Galiciadis aus Blache etwas erschaffen, unter dessen Dach es wachsen soll: Tomaten, Petersilie und Basilikum. Obschon ein Schutzraum, bleibt er zugänglich für alles, was aus der Natur kommt: die Vögel, die Insekten, der Wind, die Sonne. Und auch für die Besucher oder Dorfbewohnerinnen ist der Raum zugänglich. In der Arbeit liegt etwas Pures, Leichtes und Einladendes, womit der Schutzraum den Status einer hermetischen Abgeschlossenheit verliert.

Alle Informationen zur Biennale Bregaglia und zum Rahmenprogramm finden sich hier. Nehmen Sie die lange Anfahrt zum Anlass, das Bergell gerade für mehrere Tage zu besuchen. Hier finden sich Tipps zu Übernachtsmöglichkeiten. Die Biennale endet am 28. September 2024. Bondo wurde 2017 von mehreren Bergstürzen stark getroffen. Die Wiederaufbauarbeiten des Dorfes sind noch nicht abgeschlossen, das Betreten der Installationen sowie der Ausstellungsorte geschieht auf eigene Gefahr.

3. Klöntal-Triennale

Die Klöntal-Triennale unter dem Titel «In a State of Flow» wird am 31. August 2024 eröffnet. In diesem Jahr nicht im Klöntal selbst, sondern im Legler-Areal, einem Überbleibsel der ehemaligen Textilindustrie in Diesbach, Glarus Süd. Die Klöntal-Triennale, die in diesem Jahr zum dritten Mal stattfindet, richtet den Blick in die Vergangenheit und Zukunft gleichermassen. Das Areal, nah am Wasserkraft gebenden Fluss Linth, steht seit 2002 leer – was mit dem Areal passieren wird, ist unklar.

Die Bedeutung des Ortes zeigt sich mitunter im Umstand, so in einem Text einer der Klöntal-Contributer, Regula Bochsler, dass in den 1980ern die Hälfte des in Europa gewobenen Denim vom Textilunternehmen Legler produziert wurde. Contributer Claudia Kock Marti beschreibt die rege Kulturszene der 1980er Jahre oder Boris Previsic die Energielandschaft Glarus. All das und noch viel mehr lässt sich digital schon jetzt hier erfahren: zur Einstimmung und als Denkanstoss.

Die Kuratorinnen Séverine Fromaigeat und Sabine Rusterholz Petko haben, neben den Contributers, Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die Transformationen vom Gestern ins Heute und in die Zukunft zu fokussieren oder reflektieren.

Bilder der Arbeiten für die Klöntal-Triennale gibt es momentan nicht, aber wer sich schon jetzt mit den Künstlern auseinandersetzen möchte, hier eine Auswahl der über zehn teilnehmenden Künstler: Chloé Delarue, Izidora I Lethe, Raul Walch, Veronika Spierenburg, Julie Monot oder Tabita Rezaire, die das Industrieareal mit Performances, Objekten, Installationen und Werken aktivieren werden.

Die Vernissage der Klöntal-Triennale findet am 31. August von 14 bis 22 Uhr statt. Alle Infos finden sich hier.

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