Donnerstag, Oktober 3

Die Regierungschefs Polens und Deutschlands wollten die bilateralen Beziehungen verbessern. Doch zahlreiche Streitfragen vermiesen den «Neustart». Jetzt ist der Ton noch rauer geworden.

Vordergründig geht es nur um eine Ehrung. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sollte am Donnerstag in Potsdam den renommierten M100-Medienpreis erhalten, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz für ihn die Laudatio halten. Alles war bestätigt. Bis am Montag beide absagten: offiziell wegen «Terminkonflikten» und «innenpolitischer Verpflichtungen».

Weil das nach Vorwand klingt, wurden verschiedene Medien rasch hellhörig. Wenn gleich zwei Regierungschefs ein symbolträchtiges Treffen absagen – schliesslich geht es um die Ehrung von Tusks Einsatz «für die Stärkung der Demokratie, der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der europäischen Verständigung», – steckt vielleicht mehr dahinter? Anonyme Quellen trugen dem Newsportal «Euractiv» zu, die Absage hänge mit bilateralen Spannungen wegen des Anschlags auf die Gaspipeline Nord Stream 2 zusammen.

Tusk will, dass Berlin «schweigt oder sich entschuldigt»

Da sich weder Warschau noch Berlin zur Causa äussern, bleibt dies unbewiesen. Klar ist aber, dass der Streit um die Pipeline die Beziehungen seit über einem Jahrzehnt vergiftet. Jüngst hatten deutsche Ermittler die polnische Regierung beschuldigt, die Verhaftung des Tatverdächtigen für die Sprengung vor zwei Jahren sabotiert zu haben. Tusk reagierte undiplomatisch. Jene, welche die Pipelines mit Russland zusammen gebaut hätten, sollten «sich entschuldigen und schweigen», statt Polen Vorwürfe zu machen. Damit war die deutsche Regierung unter Angela Merkel gemeint.

Dieser raue Umgangston überraschte – gerade von Tusk, der nach acht Jahren die Macht von der rechtsnationalistischen Regierungspartei PiS übernahm. Von ihr war man die antideutsche Rhetorik gewohnt, aber der Liberalkonservative wollte die Beziehungen zu Berlin verbessern. Rasch war von einem «Neustart» die Rede.

Berlin und Warschau lancierten gemeinsame Regierungskonsultationen und erweckten das Weimarer Dreieck mit Paris zu neuem Leben. Die Unterstützung der Ukraine gegen Russlands Invasion sollte ebenso als Kitt dienen wie die gemeinsame proeuropäische Haltung. Kontroverse Themen wie die Forderung von Tusks Vorgängerregierung nach 1300 Milliarden Euro an Reparationen für Deutschlands mörderischen Terror im Zweiten Weltkrieg wurden entschärft.

Doch die Gegensätze verschwanden unter einer pragmatischeren Regierung in Warschau nicht einfach, wie sich das wohl manche in Berlin erhofft hatten. So stimmte Tusk gegen den EU-Migrationspakt. Und obwohl er keine Phantasiesummen als Reparationen erwartete, wollte er ein klares Zeichen der Anerkennung historischer Schuld. Die Regierung in Berlin hat zwar den Bau einer Gedenkstätte beschlossen. Als Scholz Anfang Juli aber 200 Millionen Euro Entschädigung für die überlebenden NS-Opfer anbot, empfanden dies in Polen selbst liberale und proeuropäische Kreise als beschämend wenig.

Polen bleibt misstrauisch gegenüber Deutschland

Die angedachte verteidigungs- und geopolitische Kooperation blieb zudem vage. Zwar stärkt Deutschland die Nato-Ostflanke mit zusätzlichen Einheiten. Doch die Polen setzen bei Waffengeschäften weiterhin primär auf die USA. Und obschon Berlin heute der zweitgrösste staatliche Unterstützer der Ukraine ist, bleibt Warschau bezüglich der deutschen «Zeitenwende» misstrauisch. Der Streit in der Ampelkoalition um die Finanzierung der Hilfe für Kiew und die Warnungen von Scholz vor einer Eskalation mit Moskau tun wenig, um die Zweifel an Deutschlands Standfestigkeit zu beseitigen.

Die für die Regierung in Berlin katastrophal ausgefallenen Regionalwahlen in Thüringen und Sachsen haben die schwelenden Spannungen mit Polen noch verstärkt. Zum einen hat Scholz seither seine Forderungen nach einem raschen Waffenstillstand mit neuem Nachdruck gestellt, laut Medienberichten sogar zum Preis von territorialen Zugeständnissen der Ukraine.

Zum anderen sorgen die Diskussionen in Berlin um die Zurückweisung von Migranten aus sicheren Drittstaaten für rote Köpfe. «Ein solches Vorgehen ist aus polnischer Sicht inakzeptabel», sagte Tusk am Dienstag. Dieses sei rein innenpolitisch motiviert. Er fordert stattdessen mehr Hilfe Deutschlands bei der Sicherung der Nato-Ostgrenzen, wo sich sein Land in einem hybriden Krieg sieht, weil Weissrussland aussereuropäische Migranten nach Polen schickt. Diese leitet Warschau meist direkt nach Deutschland weiter.

Keine dieser Streitfragen hat alleine das Potenzial, eine grössere Krise in den bilateralen Beziehungen auszulösen. Doch in der Summe sorgen sie für Irritationen, die offenbar beiden Seiten die Lust am festlichen Beisammensein bei der Preisverleihung genommen hat. Dabei wäre diese wohl eine gute Gelegenheit gewesen, die Probleme anzusprechen.

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