Dienstag, November 19

Der Filmemacher Fabian Biasio gibt in einem Dokumentarfilm Einblick in die Psyche jener Sorte Velofahrer, die andere in den Wahnsinn treiben.

Im Verkehr wird der Mensch zum Tier, übernimmt atavistische Impulse. Kaum eine Debatte gleitet in der Stadt Zürich so schnell ins Reich dunkler Emotionen ab, wie wenn sich Velo- und Autofahrer um den knappen Strassenraum streiten.

Der in Zürich geborene Filmemacher und selbsterklärte Autohasser Fabian Biasio hat mit «Automania» einen sehr subjektiven Dokumentarfilm ins Kino gebracht, in dem er seiner eigenen Wut auf den Grund geht. Die Reise führt ihn von einem provokativen Verkehrsplaner über einen Konflikt mit der Polizei und eine Fahrt auf dem Nürburgring bis auf eine Autotour durch die USA. Das Ergebnis ist ernüchternd, aber unterwegs gewinnt man einen bemerkenswert ungefilterten Einblick in die Psyche jener Sorte Velofahrer, die andere in den Wahnsinn treiben.

Herr Biasio, Sie bezeichnen sich als Autohasser. Warum dieses extreme Gefühl?

In der Regel ist Hass etwas Schlimmes, aber in diesem Zusammenhang ist es für mich eher ein geflügeltes Wort, das ich mit einem Lächeln auf den Stockzähnen verwende. Das gab es schon in der Ökobewegung der achtziger Jahre. Man sagt leichthin: Ich bin ein totaler Autohasser! Meine Mutter wiederum sagte einmal, sie sei eine Velohasserin, weil sie auf dem Fussgängerstreifen bei Grün fast überfahren worden wäre. Fair enough.

Jetzt beschönigen Sie. Im Film zeigen Sie sich als aggressiven Velofahrer, der auf Motorhauben schlägt, Rotlichter ignoriert und provokativ in der Mitte der Strasse fährt.

Ich fahre in der Mitte, weil ich jemanden kannte, der ums Leben kam, als sich die Tür eines parkierten Autos plötzlich öffnete. Und wenn ich mich schon an die gleichen Verkehrsregeln halten muss wie ein Auto, dann soll ich mich auch gleich verhalten dürfen. Man erwartet von Velofahrern immer, dass sie sich kleinmachen und ausweichen. Für mich gibt es als Velofahrer in der Stadt nur eine Verkehrsregel, nämlich am Leben zu bleiben. Darum fahre ich manchmal bei Rot durch. Und das führt direkt zur interessanten Frage, warum es keine bessere Veloinfrastruktur gibt.

Einspruch. Jetzt begehen Sie den gleichen Fehler wie im Fazit am Ende Ihres Films: Sie tun, als wäre fehlende Infrastruktur eine hinreichende Erklärung für Ihre Wut. Aber über Verkehrsplanung liess sich ganz nüchtern diskutieren. Sie hingegen verlassen die Sachebene und werden emotional – geht das nicht anders?

Der Film bildet nicht meine ganze Entwicklung ab. Einiges fiel dem Schnitt zum Opfer. Eine Verkehrspsychologin sagte mir: Herr Biasio, es braucht doch einfach ein bisschen mehr Freundlichkeit im Verkehr, Freundlichkeit ist eine Form von Intelligenz. Was für ein schönes Zitat! Leider brachten wir es in der Endfassung nicht unter.

Warum haben Sie ausgerechnet das weggelassen?

Es ist doch Wischiwaschi, zu sagen: Seid ein bisschen entspannter auf dem Velo, dann geht es euch besser. Das Auto ist immer stärker, und wenn dich ein Lastwagen überrollt, bist du tot. Ich fahre ja selbst Auto, ich weiss, wie anders das Gefühl im Verkehr ist, wenn man all dieses Blech rundum hat.

Die Verkehrspsychologin rät Ihnen im Film, die Lösung für Ihr Problem bei sich selbst zu suchen, denn das System könnten Sie nicht ändern. Aber am Ende Ihrer Suche geben Sie dann doch wieder der Verkehrsplanung Schuld. Warum scheitert Ihr Therapieversuch?

Weil ich am System kranke, an einer unzureichenden Veloinfrastruktur.

Noch einmal: Woher kommt die Wut?

Sie haben recht, ich weiche aus. Schon das Design der heutigen Autos erweckt den Eindruck, dass sie dich auffressen wollen. Böse Visagen, zur Schau gestellte Potenz. Das macht etwas mit mir. Diese bösen Gesichter sind von den Designern aufgrund eines Kundenbedürfnisses erschaffen worden. Wenn Autofahrer mit meinem Leben spielen, nur weil sie die Macht dazu haben, dann werde ich richtig aggressiv.

Auf den Strassen der Stadt erlebt man viel Selbstgerechtigkeit. Diese Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, die alles rechtfertigt. Das sieht man bei Auto- wie bei Velofahrern.

Im Verkehr, so wie er heute abläuft, braucht es für die eigene Sicherheit eine gewisse Aggressivität.

Man könnte stattdessen vorsichtig fahren, die Regeln befolgen und sich im Zweifelsfall zurückhalten. Dann passiert auch nichts.

Ich erzwinge nichts, suche keine Konfrontation, ich bin ja immer der Schwächere. Andere empfinden mich darum als aggressiv, weil ich mein Vortrittsrecht kenne und wahrnehme. Ich fahre auch nicht überall bei Rot über die Kreuzung. Aber ich kenne zum Beispiel eine Stelle, wo ich sonst zwischen dem Bus und einem Lastwagen zerdrückt würde.

Im Film kommt das anders rüber. Eine Einstellung zeigt, wie Sie in der Mitte der Strasse fahren und einen Autofahrer «Arschloch» schimpfen, weil er nah auffährt. Gibt es Applaus aus der eigenen Bubble, wenn Sie solche niederen Instinkte bedienen?

Vertreter der Velolobby haben bei einer Spezialvorführung herzlich gelacht, weil sie sich in solchen Situationen selbst erkennen. Ich lache im Film ja auch über mich selbst – es ist eine Selbstironie in diesen düsteren Phantasien, mit dem Schlüssel ein Auto zerkratzen zu wollen. Es gab aber auch andere Reaktionen: Ein junger Mann aus der links-grünen Bubble fand den Film eine Frechheit, weil das Auto darin in starken Bildern verherrlicht werde.

Sie sprechen jene Szenen an, in denen Sie Ihrer Faszination für Autos nachgeben und im Cabrio durch die USA cruisen.

Genau, das ist ja auch etwas Tolles. Ich finde es schade, wenn man das nicht anerkennen kann. Ich habe einst die Taxi-Prüfung gemacht und behaupte von mir, dass ich ein guter Autofahrer bin. Als Kind wollte ich Pilot werden. Diesen Traum lebe ich im Auto aus, wenn ich diese Maschine mit der gleichen Nüchternheit bediene, alles genau nach Checkliste.

Das geht manchen schon zu weit?

Ich gehöre da mit meinen 49 Jahren aber zu einer anderen Generation als die Zwanzigjährigen. Die haben zum Teil eine sehr klare Meinung, was richtig ist und was falsch. Und über sich selbst lachen können leider nicht alle. Das finde ich übrigens bei SVP-Politikern angenehm: Die können das eher. Mauro Tuena kommt ja auch in einer Szene vor, dem ist das wahrscheinlich ziemlich egal. Der Film ist ja nicht todernst gemeint.

Es ist eine kurze, unangenehme Sequenz mit Tuena, weil Sie beide nur aufeinander einreden, statt sich zuzuhören.

Das stimmt, aber der Film ist ja auch als Heldenreise aufgebaut, und diese Szene kommt sehr früh im Film. Dramaturgisch musste da Spannung aufgebaut werden.

Um politisch etwas zu erreichen, braucht es doch gegenseitiges Verständnis. Müsste man mehr zuhören, statt sich zu beschimpfen?

Aus der Medienwirkungsforschung weiss man, dass Gewaltdarstellung im Film nicht zu mehr Gewalt führt, sofern man sie nicht als positive Problemlösungsstrategie darstellt. Darum glaube ich nicht, dass mein Film die Menschen anstachelt, im Gegenteil.

Anständige Velofahrer werden aufgrund von aggressiven Fahrern wie Ihnen manchmal von wütenden Autofahrern in Sippenhaft genommen. Dabei ist das nicht ihr «Krieg», sie wollen damit nichts zu tun haben.

Das verstehe ich. Das kommt jetzt vielleicht enttäuschend, aber ich bin kein Velorowdy. Auch ich finde, dass es Velofahrer gibt, die sich unmöglich verhalten. Würden sie in einem Auto sitzen, wären sie wahrscheinlich ähnlich unterwegs – das wären dann genau die, die mich aggressiv machen.

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