Montag, Oktober 7

Die antisemitischen Vorfälle in der Schweiz haben stark zugenommen. Das jüngste Beispiel stammt aus einem Ort, der immer wieder wieder Schlagzeilen produziert. Doch jetzt sind die Umstände ganz andere.

In Davos gibt es eine lange Geschichte von Konflikten mit Juden. Doch nun ist es erstmals zu einem tätlichen Angriff gekommen, wie die «Südostschweiz» berichtet. In der Nacht auf den Freitag griffen zwei Männer einen 19-jährigen Orthodoxen auf der Strasse an, sie bespuckten ihn und prügelten auf ihn ein. So schildert es das Opfer. Verletzt wurde dieses bei der Attacke nicht.

Die Täter, die beide etwa Mitte 30 sind, sollen «Free Palestine!» gerufen haben. Die Kantonspolizei Graubünden bestätigte am Sonntag, dass eine Anzeige eingegangen ist: Sie habe Ermittlungen aufgenommen, diese bezögen sich auf zwei unbekannte Personen. Der attackierte Mann stammt aus Grossbritannien, kennt Davos aber gut, weil er dort in einer Talmudschule studiert hat. Diese schloss im Frühling ihre Tore, daraufhin kehrte der Mann nach England zurück – nun verbringt er seine Ferien in den Bündner Bergen.

Jonathan Kreutner, der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), ist entsetzt. Er hat mit dem Opfer telefoniert und ist am Montag nach Davos gefahren, um den jungen Mann zu treffen. Er geht davon aus, dass der Angriff keinen direkten Zusammenhang hat mit den Konflikten zwischen Einheimischen und den orthodoxen Touristen, die in den vergangenen Jahren immer wieder ein grosses mediales Thema waren.

Aufgeheizte Stimmung

Für Empörung sorgte insbesondere die Meldung im vergangenen Februar, dass der Betreiber eines Davoser Bergrestaurants keine Sportgeräte mehr an Juden vermieten wollte. Im Juli wurde der Mann deshalb zu einer bedingten Geldstrafe und zu einer Busse verurteilt. Wegen der Palästina-Rufe und weil die Täter laut dem Opfer wohl keine Einheimischen waren, sieht Kreutner die Attacke nun eher vor dem Hintergrund der aufgeheizten Stimmung wegen des Nahost-Konflikts.

«Ein solcher Angriff hätte auch irgendwo anders in der Schweiz passieren können, in Zürich oder Basel», sagt Kreutner. Denn seit den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober in Israel und dem Beginn der Angriffe der israelischen Armee auf den Gazastreifen haben die antisemitischen Vorfälle auch hierzulande stark zugenommen.

Im März versuchte in Zürich ein 15-jähriger IS-Anhänger einen 50-jährigen orthodoxen Juden mit einem Messer zu ermorden. Kürzlich konnte der Sicherheitsdienst der Zürcher Gemeinde Agudas Achim einen Brandanschlag auf die Synagoge verhindern. Der Täter war ein psychisch verwirrter 32-jähriger Schweizer. Ein extremistisches Motiv hatte er vordergründig nicht. «Doch so etwas passiert nicht in einem luftleeren Raum, genauso wenig wie der Angriff nun in Davos», sagt Kreutner.

Er beobachtet, dass es wegen der Kriegsführung in Gaza vermehrt zu einer unreflektierten Kritik an der Politik Israels komme, die teilweise zu einem Hass auf alles Jüdische führe. «Gewisse Leute können nicht mehr differenzieren und machen auch die Juden generell und überall für die israelische Politik verantwortlich.» Holocaust-Vergleiche oder bestimmte Formen der Gaza-Proteste an verschiedenen Schweizer Unis sind laut Kreutner ein Auswuchs dieser Haltung.

Man könne nicht jede jüdische Person oder Institution permanent vor Angriffen schützen, sagt Kreutner. «Aber es sollten sich alle ihrer Verantwortung bewusst sein, sachlich mit dem Konflikt in Nahost umzugehen – und so die Stimmung nicht noch weiter anzuheizen.» Der SIG fordert in einer Stellungnahme «mehr Zurückhaltung in der Tonalität».

Sonst alles ruhig in Davos

In Davos wäre derzeit eigentlich die rund dreiwöchige Hochsaison des jüdischen Sommertourismus’, in der gewöhnlich viele ausländische Orthodoxe anreisen. Doch laut Kreutner sind derzeit etwa ein Drittel weniger Juden in Davos als sonst. Das habe einerseits damit zu tun, dass viel weniger Leute aus Israel gekommen sind. Und andererseits damit, dass der Fasten- und Trauertag Tischa Be’aw, an dem die Hochsaison beginnt, in diesem Jahr auf ein spätes Datum fällt. Dadurch bleibt Familien nicht mehr viel Zeit bis zum Ende der Schulferien.

Dass die Saison – abgesehen von der Attacke vom Freitag – harmonischer verläuft als in der Vergangenheit, hat aber nicht nur mit der kleineren Touristenschar zu tun. Sondern auch mit der grösseren Anzahl der Schweizer Juden, die als Vermittler zwischen den Davosern und den ausländischen Gästen auftreten. Es ist eine der zehn Massnahmen, die eine Task-Force unter Leitung des früheren Spitzendiplomats Michael Ambühl ausgearbeitet hat, damit Davos endlich zur Ruhe kommt.

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