Der konservative Regierungschef verliert die Vertrauensfrage im Parlament. Es geht um mögliche Vorteilnahme einer Firma im Besitz seiner Familie.
Genau ein Jahr ist es her, dass der Konservative Luís Filipe Montenegro nach einer spannenden Wahl die Sozialisten nach vielen Jahren in der Regierung ablöste. Doch schon wieder droht Portugal eine vorgezogene Parlamentswahl. Denn die Oppositionsparteien im Parlament haben Montenegro am späten Dienstagabend das Vertrauen entzogen angesichts von Berichten über Unregelmässigkeiten und möglicher Vorteilnahme einer Firma im Besitz seiner Familie. Das von Montenegro im Jahr 2021 gegründete Unternehmen Spinumviva soll von der Hotel-und Kasinogruppe Solverde monatlich 4500 Euro für Beratungstätigkeiten erhalten haben. Solverde ist seinerseits auf staatliche Lizenzen für den Kasinobetrieb angewiesen. Die Opposition warf Montenegro vor, im Dienst von Privatunternehmen zu stehen.
Vorhersehbare Abstimmungsniederlage
Montenegro stritt die Vorwürfe ab, aber angesichts seiner Minderheitsregierung, die nur über 80 der 230 Sitze im Parlament verfügt, war die Abstimmungsniederlage unvermeidlich. Das letzte Wort hat jetzt das Staatsoberhaupt Marcelo Rebelo de Sousa. Er muss entscheiden, ob er einen neuen Kandidaten für die Regierungsbildung ernennt oder gleich Neuwahlen ausruft. In der Vergangenheit hat sich der 76-Jährige bei politischen Krisen immer für einen neuen Urnengang entschieden. Portugiesische Medien haben bereits den 25. Mai ins Spiel gebracht.
Der sozialistische Oppositionsführer Pedro Nuno Santos hatte bislang mit seinen 78 Abgeordneten Montenegro bei wichtigen Abstimmungen unterstützt. Die beiden hatten Ende 2024 sogar noch einen gemeinsamen Haushalt eingebracht. Das Verhältnis verschlechterte sich allerdings, nachdem Montenegro sich geweigert hatte, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Rede und Antwort zu stehen. Seither wirft Nuno Santos ihm vor, lieber Neuwahlen zu riskieren, statt Einblick in seine privatwirtschaftlichen Aktivitäten zu gewähren.
Korruptionsvorwürfe kein neues Phänomen
Es ist bereits das dritte Mal, dass ein portugiesischer Ministerpräsident über Korruptionsvorwürfe stürzt. Montenegros Vorgänger, António Costa, war über den Verdacht von Vetternwirtschaft gestolpert: Der jetzige EU-Rats-Präsident trat im November 2023 zurück, nachdem schwere Vorwürfe gegen einige seiner engsten Mitarbeiter erhoben worden waren. Seinerzeit wurden Costas Wohnung und Amtssitz durchsucht, später stellte sich heraus, dass er von der Justiz fälschlicherweise mit seinem Namensvetter, dem damaligen Wirtschaftsminister António Costa Silva, verwechselt worden war.
Der grösste Skandal in Portugal waren allerdings der Aufstieg und der Fall des Sozialisten José Sócrates, der zwischen 2005 und 2011 Regierungschef war. 2014 wurde er verhaftet, zwei Jahre später konnten ihm Korruption, Geldwäsche und Steuerbetrug in grossem Stil nachgewiesen werden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, 34 Millionen Euro unterschlagen zu haben. Sócrates sass im Jahr 2015 mehr als neun Monate in Untersuchungshaft, juristisch ist noch immer nicht das letzte Wort gesprochen, nachdem ein Richter 2021 einige der Vorwürfe ausgeklammert hatte.
Montenegro gab bereits bekannt, bei Neuwahlen wieder als Kandidat für seine Mitte-rechts-Allianz Aliança Democrática (AD) antreten zu wollen. Laut einer von «Diário de Notícias», der grössten portugiesischen Tageszeitung, in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage liegen derzeit allerdings die Sozialisten von Pedro Nuno Santos mit 30,8 Prozent der Stimmen 5 Prozentpunkte vor der AD.