Mittwoch, März 19

Als Zulieferer für Industriebetriebe ist die Zuger Firma Bossard am Puls der Wirtschaft und muss mit geopolitischen Risiken umgehen können. Mit Blick auf Schweizer Unternehmen vermisst der Konzernchef aber manchmal den Ehrgeiz, international zu wachsen.

Herr Bossard, bei Boeing-Flugzeugen sind Teile vom Rumpf abgefallen, weil sie nicht korrekt montiert waren. Was denken Sie als Schrauben-Spezialist, wenn Sie so etwas lesen?

Wir nutzen den Fall bei uns im Verkauf als Beispiel, wie wichtig Verbindungstechnik ist. Die fehlenden Schrauben bei Boeing hatten vielleicht einen Wert von ein paar Dollar. Doch der Zwischenfall liess den Börsenwert von Boeing um Milliarden von Dollar sinken. Wir liefern selber in die Luftfahrtindustrie und kriegen dadurch Einblick in die Qualitätssicherung. Dort wird alles doppelt und dreifach kontrolliert. Ich finde es darum sehr erstaunlich, dass so etwas überhaupt passieren kann.

Wie kann man solche Fehler verhindern?

Ein Ansatz sind Montageprozesse, bei denen man eine Etappe nicht abschliessen kann, wenn nicht alle Handgriffe erledigt sind. Für einen Schienenfahrzeughersteller haben wir einen Logistik-Koffer entwickelt. Dort ist in der richtigen Reihenfolge alles drin, was der Monteur braucht. Er weiss dann, dass alle nötigen Teile verbaut sind, sobald der Koffer leer ist.

Zuerst muss die Firma aber auch alle Teile haben. Eine Hauptsorge während Corona waren die gestörten Lieferketten. Ist die Problematik vorbei?

Es kommt nach wie vor zu Störungen der Schiffstransportrouten. Auch wir hatten das Problem, dass eine Fracht im Panamakanal steckengeblieben ist. Doch die Lage hat sich deutlich entspannt, und die Preise für den Transport sind wieder gesunken, wenn auch nicht auf das Niveau von vor Corona. Ein Grund für die Normalisierung ist, dass sich die Firmen breiter aufgestellt haben und nicht mehr von einem Zulieferer oder einem Land abhängig sind.

Betreiben Sie bei Bossard vermehrt Nearshoring und beschaffen Ihre Ware in näher liegenden Ländern?

Bossard hatte bereits viele Jahre vor Corona die Politik, Schlüsselprodukte von verschiedenen Herstellern aus verschiedenen Kontinenten zu beziehen. Wenn wir nur alles bei einem einzigen chinesischen Anbieter einkaufen würden, wäre das vielleicht ein wenig billiger, aber eben auch riskanter. Doch so war für uns selbst die Corona-Zeit eigentlich gar nicht so dramatisch. Beispielsweise konnten wir einen grossen Kunden in der Medizinaltechnik, der plötzlich deutlich mehr Laborgeräte produzierte, immer mit allem beliefern. Wir kaufen weltweit über eine Million verschiedene Produkte ein. Mit Komplexität arbeiten wir also schon lange.

Wie wichtig ist China für Sie?

Man muss unterscheiden zwischen Spezial- und Standardartikeln. Etwa 60 Prozent der Produkte lassen wir speziell für Kunden herstellen – zum Beispiel Schrauben mit einer ganz bestimmten Form aus einem speziellen Material. Solche Produkte kommen meistens nicht aus China. Die restlichen 40 Prozent des Sortiments sind Standardwaren. Diese kommen hauptsächlich aus China, Indien und Osteuropa. China ist ein wichtiger Beschaffungsmarkt, aber es gibt Alternativen. Hingegen ist Taiwan für uns wesentlich wichtiger als China.

Tatsächlich?

Taiwan ist der Beschaffungsmarkt für Spezialschrauben. Dort kauft die Welt ein. Wenn der Taiwan-China-Konflikt eskalieren würde, hätte das weitreichende ökonomische Folgen für die ganze Weltwirtschaft. Als Absatzmarkt ist China für uns in Asien das wichtigste Land, aber das verschiebt sich stark nach Indien. Seit die Inder mit der Initiative «Make in India» um Investoren werben, beobachten wir bei vielen unserer Kunden, dass sie ihre Aktivitäten von China nach Indien verschieben.

Momentan nehmen die Spannungen zwischen China und dem Westen wieder zu. Was heisst das für westliche Firmen, wenn dieser Konflikt vielleicht unter einem Präsidenten Donald Trump eskaliert?

Jede Firma sollte sich überlegen, ob für sie der chinesische Markt relevant ist und ob es einen Sinn ergibt, das Marktpotenzial zu erschliessen – insbesondere auch mit lokalen chinesischen Kunden. Natürlich machen wir uns Gedanken für den Fall, dass China weiter abgeschottet würde oder es zu Sanktionen käme.

Was tun Sie konkret?

Idealerweise stellt man sich so auf, dass das Geschäft mit den chinesischen Kunden im Ernstfall aus dem Konzern herausgelöst und an das lokale Management verkauft werden könnte. Es braucht also eine Art Sollbruchstelle und die Möglichkeit von lokal gehosteten IT-Systemen. Aus heutiger Sicht wird «China für China» für uns wichtig bleiben; und ich bin der Meinung, dass China auch langfristig im globalen Handel eine wichtige Rolle spielen wird.

Der Autohersteller Tesla ist ein wichtiger Kunde von Bossard. Wie stark profitiert Bossard von der Elektromobilität?

Ursprünglich hatten wir uns entschieden, nicht im Bereich der Autozulieferer tätig zu sein, weil es dort um hohe Volumina mit hohem Preisdruck geht. Mit Tesla kamen wir 2009 in Kontakt, als es um die Entwicklung der Batterieplattform und um Muster für Prototypen ging – dann folgte die Serienproduktion für Model S – und es ergab einen Sinn, die Reise fortzusetzen. Der Einstieg kam über die technische Beratung.

Was liefern Sie an Tesla?

Heute liefern wir spezielle Sortimente für den Leichtbau, beispielsweise Nieten, um das Gehäuse der Batterieplattform zu montieren. Im Ökosystem von Tesla haben sich dann weitere Möglichkeiten mit anderen Herstellern in den USA, Europa und Asien ergeben. Der Markt wächst immer noch; jedoch hat sich die Wachstumskurve mit fehlenden staatlichen Anreizen für Elektrofahrzeuge kürzlich etwas abgeflacht.

Wie viel kostet das Bossard-Material, das in einem Elektroauto steckt?

Das ist sehr unterschiedlich. Zwischen unter hundert und mehreren hundert Dollar. Es mag sich nach wenig anhören, trotzdem sind wir kein billiger Schüttgutanbieter.

Wie meinen Sie das?

Uns gibt es seit 193 Jahren. Wir haben schon sehr viele Projekte gesehen. Egal ob es um ein tolles Auto oder eine stilvolle Kaffeemaschine geht, an die Schrauben denkt man immer erst am Schluss. Da ist es wichtig, dass wir nicht nur Verbindungselemente anbieten.

Warum?

In einem Industriebetrieb hat jeder unterschiedliche Bedürfnisse: Der Einkäufer will die Produktkosten reduzieren, der Produktionsleiter will effizient produzieren, und der Ingenieur will ein innovatives und sicheres Produkt. Darum möchten wir nicht wie einst üblich nur mit dem Einkauf, sondern auch mit der Produktion und dem Ingenieur sprechen. Denn dann wird vielleicht klar, dass es gar nicht vier verschiedene Arten von Schrauben für die gleiche Anwendung braucht, sondern nur eine. So helfen wir den Kunden, Zeit und Kosten zu sparen. Je weniger Teile es braucht, desto einfacher werden auch die Bewirtschaftung der Vorräte, das Nachbestellen und die Logistik.

Wie gut aufgestellt sind denn Schweizer Industriebetriebe?

Ziemlich gut. Hierzulande wurde ja schon früh viel automatisiert, damit der Standort mit dem Ausland mithalten kann. In mittelgrossen Betrieben wird tendenziell noch weniger automatisiert – natürlich ist das immer eine Abwägung zwischen Investitionen und Nutzen. Mein Gefühl ist, dass es einigen Schweizer Firmen am «Drive» fehlt, um zu wachsen und Marktanteile zu gewinnen. Wir sind vermutlich etwas erfolgsverwöhnt und sollten wieder ambitionierter denken und handeln.

Sie kommen mit den unterschiedlichsten Branchen in Kontakt. Können Sie etwas zur Stimmung in der Industrie sagen?

Ich war erstaunt, als ich im April den erneuten Rückgang des Schweizer Einkaufsmanager-Indexes gesehen habe. Das ist ja in der Regel ein Vorlaufindikator für die Industrieproduktion. Die Bewegung hängt auch damit zusammen, dass viele Firmen nach den Erfahrungen mit der Corona-bedingten Lieferkettenproblematik ihre Lager gut aufgefüllt haben und nun erst einmal Vorräte abbauen. Gleichzeitig haben sich viele Leute in der Pandemie mit Heimelektronik, Velos oder Gartengeräten eingedeckt und brauchen so rasch keinen Ersatz. Dennoch glaube ich, dass sich die Lage auf das Jahresende hin weiter normalisieren wird. Erfreulich ist, dass sich der Franken wieder abgeschwächt hat.

Hilft den Firmen der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz?

Ja, wenn KI so eingesetzt wird, dass sie strategische Initiativen unterstützt und Menschen befähigt, effizienter zu arbeiten. Nein, wenn KI um der Technologie willen eingesetzt wird. Auch KI wird vermutlich kurzfristig überschätzt und langfristig unterschätzt. Mich erinnert es an die Diskussion, als plötzlich alle über Digitalisierung sprachen. Man muss sich einfach pragmatisch anschauen, wie und wo KI zur Strategie der Firma passt. Ein schlechter Prozess, der mit KI erweitert oder ersetzt wird, ist immer noch ein schlechter Prozess.

Wo wenden Sie KI in Ihrer Firma an?

Bei Bossard nutzen wir maschinelles Lernen schon seit Jahren, indem wir Verbrauchsdaten von Material bei Kunden täglich erfassen und so die Wiederbeschaffung optimieren: kleinere Lagerbestände und weniger Express-Übungen bei der Belieferung. Oder Microsofts Programm Copilot macht uns eine Zusammenfassung, wenn wir eine Offerte für ein Übernahmeziel auf dem Tisch haben. Aber es braucht überall eine gesunde Kombination mit der NI, der natürlichen Intelligenz. Interessant ist auch, welche Branchen von der KI-Welle profitieren. So schiessen derzeit beispielsweise Firmen im Bereich Kühlung und Lüftung wie Pilze aus dem Boden – weil immer mehr solche Anlagen für Datenverarbeitungszentren benötigt werden.

Börsenkotierte Familienfirma

dba. Daniel Bossard (54) ist seit 2019 CEO von Bossard. Das Handelsunternehmen mit Sitz in Zug ist ein Spezialist für Verbindungstechnik. Die Firma beliefert Industriebetriebe mit Schrauben sowie Logistiklösungen für Kleinteile und berät Kunden bei der Digitalisierung der Fertigungsprozesse. Mit über 2900 Mitarbeitenden hat Bossard 2023 einen Umsatz von gut einer Milliarde Franken erwirtschaftet. Das Unternehmen ist an der Börse kotiert und wird via die Kolin-Holding von der Gründerfamilie Bossard kontrolliert.

SEF 2024

dba. Am Swiss Economic Forum (SEF), das am 6. und 7. Juni in Interlaken über die Bühne geht, wird Daniel Bossard zum Thema «Mensch und Technologie als Game Changer» diskutieren. Die Schweizer Wirtschaftskonferenz findet dieses Jahr zum 26. Mal statt, und zwar unter dem Motto «When the Going Gets Tough». Es werden rund 1300 Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik erwartet.

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