Sonntag, April 20

Der Bundesrat will auch in der Schweiz Kollektivklagen zulassen. Davon profitieren würden laut einer Umfrage vor allem Anwälte, NGO und Aktivisten. Das Nachsehen hätten die Unternehmen.

Der kollektive Rechtsschutz war lange Zeit vor allem in den USA stark verbreitet. Eine professionelle Klageindustrie sorgt dort dafür, dass jeder jeden vor Gericht zerren kann. In der jüngeren Vergangenheit nahmen Sammelklagen jedoch auch in Europa stark zu. Innerhalb von nur fünf Jahren hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt, vor allem in Ländern wie Grossbritannien und den Niederlanden.

Die Schweiz kennt dieses Rechtsinstrument noch nicht. Bis anhin können Schadenersatzforderungen an Unternehmen nicht kollektiv, sondern nur auf Basis von Einzelklagen eingereicht werden. Vor allem bei geringen Schäden verzichten deshalb viele Geschädigte auf eine Klage. Doch das soll sich nun ändern: Nach mehr als zehn Jahren Diskussion berät am Donnerstag die Rechtskommission des Nationalrats eine bundesrätliche Vorlage zum kollektiven Rechtsschutz. Darin schlägt die Landesregierung vor, die bestehende Verbandsklage auszubauen und in Zukunft auch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zu ermöglichen, was faktisch einer Zulassung von Sammelklagen gleichkäme.

Im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen hat das Forschungsinstitut Sotomo im Auftrag der Wirtschaftsverbände Economiesuisse und Swissholdings eine Befragung bei gut 80 Fachpersonen von Unternehmen durchgeführt. Dies mit dem Ziel, grundlegende Einschätzungen zu den Folgen eines Systemwechsels in Erfahrung zu bringen. Die Verbände reagieren mit der Umfrage darauf, dass der Bund ihren Anliegen im Gesetzgebungsprozess zu wenig Beachtung geschenkt hat – so zumindest die Auffassung der Verbände.

Das Ergebnis der Befragung fällt eindeutig aus. Zwei Drittel der Unternehmen lehnen die Vorlage des Bundesrates ab. Nur ein Fünftel spricht sich für die Vorlage aus. Auffallend ist, dass die Abneigung gegen Sammelklagen besonders ausgeprägt ist bei Grossbetrieben, die das Instrument aus ihrer Tätigkeit in anderen Ländern kennen.

KMU, die sich auf den Binnenmarkt konzentrieren, stehen der Einführung von Sammelklagen sogar überwiegend positiv gegenüber. Sie sehen den Vorteil, dass sie selber als Kläger auftreten und vom Instrument der Sammelklage Gebrauch machen könnten. Die Mehrheit der befragten Fachpersonen hält dieses Szenario für unrealistisch.

Kein Nutzen für Konsumenten

Bloss die Hälfte der befragten Experten geht davon aus, dass die Einführung von Sammelklagen direkt den Konsumentinnen und Konsumenten nützt, was eigentlich der Zweck des Instrumentes wäre. Zu den massgeblichen Profiteuren des kollektiven Rechtsschutzes gehörten stattdessen Anwälte, Konsumentenorganisationen sowie Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen. Vier von fünf Befragten befürchten dabei, dass in der Schweiz eine kommerziell ausgerichtete Prozessindustrie entstehen würde, bei der Sammelklagen gezielt finanziert werden, damit die Investoren daraus einen Gewinn erzielen.

Zu den Verlierern gehörten laut den Experten die Unternehmen und der Wirtschaftsstandort Schweiz insgesamt. Auch Umwelt und Klima würden von Sammelklagen nicht profitieren, glauben die Experten. Sie halten es für zielführender, wenn stattdessen die bestehenden Instrumente zur Durchsetzung von Kollektivschäden gestärkt werden, so etwa die Mediation über eine Ombudsstelle oder Einzelklagen.

Die Vorlage des Bundesrats sieht diverse Einschränkungen für den klagenden Verband vor: Er darf nicht gewinnorientiert sein, muss seit mindestens zwölf Monaten bestehen, in den Statuten die Befugnis zur Interessenwahrung verankert haben und von der beklagten Partei unabhängig sein. Nach Auffassung des Grossteils der Fachleute sind diese Hürden jedoch unzureichend und bergen ein beträchtliches Missbrauchspotenzial.

Furcht vor Schauprozessen

So fürchten die Unternehmen, dass etwa Nichtregierungsorganisationen vermehrt öffentlichkeitswirksame Gerichtsverfahren gegen Unternehmen in der Schweiz anstrengen könnten. Da bei einem längeren, medial begleiteten Prozess ein Reputationsschaden entstehen könnte, wären Betriebe, die sich mit einer drohenden Klage konfrontiert sehen, häufig gezwungen, sich auf aussergerichtliche Vergleiche einzulassen.

Erwartet wird dabei, dass die Firmen aufgrund des höheren Klagerisikos mehr Ressourcen für die Rechtsabteilungen einkalkulieren und für den Fall, dass sie in einen Prozess involviert werden, Rückstellungen tätigen. Die Mehrheit der befragten Experten geht davon aus, dass zumindest ein Teil der Unternehmen die zusätzlichen Kosten auf die Kundschaft abwälzen würde.

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