Freitag, Oktober 4

Eine neue Studie der akademischen Degrowth-Literatur kommt zu verheerenden Schlüssen. Die Anti-Wachstums-Bewegung hängt verklärten Zielen nach. Doch das bedeutet nicht das Ende der Welt.

Es ist eine drastische Perspektive, die Teile der Gesellschaft umtreibt – in der entwickelten Welt spätestens seit den «Grenzen des Wachstums» des Club of Rome oder dem Brundtland-Report «Our Common Future» der Uno. Richtet die Menschheit die Welt zugrunde, weil sie zu sehr auf Wachstum aus ist und dabei zu viele Ressourcen verbraucht? Und führen ungebremst wachsende CO2-Emissionen dazu, dass sich das Klima derart aufheizt, dass grosse Landstriche bald nicht mehr normal bewohnbar sein werden?

Die klassische Ökonomie hält solchen Befürchtungen die Beseitigung sogenannter externer Effekte entgegen und setzt auf technologischen Fortschritt. Von diesem Ansatz halten manche allerdings wenig. Für sie ist klar: Es braucht radikalere Ansätze, nämlich eine Abkehr vom inhärent auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten Kapitalismus. Sie fürchten, dass im Zeichen des Wachstums immer mehr Menschen immer mehr nicht erneuerbare Ressourcen nutzen. Also braucht es neue Lebensformen, die zu einer Schrumpfung der Ressourcennutzung führen. Degrowth oder Postgrowth sind die Stichworte dazu.

Ein verheerendes Fazit

In der Wissenschaft hat sich um diese Stichworte herum eine eigene Literatur entwickelt. Eine soeben in der akademischen Zeitschrift «Ecological Economics» veröffentlichte Literatur-Review unterzieht diese nun einer systematischen Analyse. Näher untersucht werden 561 seit 2007 veröffentlichte Studien, bei denen die Begriffe Degrowth oder Postgrowth in Titel oder Zusammenfassung vorkommen.

Mit einer statistisch-linguistischen Analyse identifizieren die Autoren die wichtigsten Themen, um die sich die Degrowth-Literatur demnach dreht.

Die Auflistung zeigt, dass neben Standardfragen wie denjenigen nach einer «grünen Transition» und «Grenzen und Knappheit» ideologisch aufgeladene Allerweltsbegriffe wie «Umweltgerechtigkeit» dominieren.

Laut den Autoren der Review erfüllen nur 9 der 561 Studien ihre Anforderungen an ein theoretisches Modell. Nur 8 enthalten demnach eine empirisch-quantitative Analyse. Bei den meisten Beiträgen handle es sich um wenig repräsentative Fallstudien oder um qualitative Umfragen mit einseitig ausgewählten Befragten. Oberflächlichen Analysen folgten oft durch die Untersuchungen nirgends gestützte, weitreichende Politikempfehlungen.

Die Degrowth-Artikel nähmen selten bis nie Bezug auf die umfangreiche klassische Wachstums- und Umweltliteratur, monieren die Autoren der Review. Weniger als 3 Prozent der Degrowth-Artikel sprechen dort zentrale Themen wie Umweltsteuern oder Subventionen an. Mit der politischen Machbarkeit von Empfehlungen beschäftigen sich sogar weniger als ein Prozent. Trittbrettfahren oder Verlagerungseffekte würden ausgeblendet, dabei seien Umweltprobleme ja von ihrer Natur her global. Zudem würden oft Ursache und Wirkung verwechselt, wenn etwa von der Covid-Pandemie auf die Wünschbarkeit wirtschaftlichen Schrumpfens geschlossen werde.

Praktisch nie gingen die Degrowth-Artikel auf das Umsetzungsproblem in der Umweltökonomie ein. Wieso sollten die Wähler einem negativen Wirtschaftswachstum und Verzicht auf Wohlstand zustimmen, wenn schon die Unterstützung für CO2-Steuern nicht hinreichend ist? Und mit welchen politischen Massnahmen sollte dies erreicht werden? Psychologische Studien deuten gar darauf hin, dass der Begriff Degrowth (anders als die grüne Transition) von einer Mehrheit der Bevölkerung als Bedrohung wahrgenommen wird.

Die Reviewer kommen denn auch zu einem verheerenden Schluss: Fast 90 Prozent der Studien transportierten Meinungen statt Analysen, schreiben sie. Degrowth könne noch nicht als ein signifikantes Feld akademischer Forschung bezeichnet werden. Zudem gebe es keine Anzeichen, dass sich dies über die Zeit verbessern werde.

Das harsche Urteil ist zumindest dadurch zu relativieren, dass es sich bei den Autoren der Literatur-Review um einen klassischen Umweltökonomen und einen Umwelt-Ökonometriker handelt, die entsprechende Massstäbe anlegen und offensichtlich dem Degrowth-Ansatz wenig abgewinnen können. Dennoch drängt sich die Schlussfolgerung auf: Degrowth ist, zumindest so, wie es wissenschaftlich daherkommt, eine Illusion.

Was die CO2-Emissionen zeigen

Auch wenn es die Ansprüche der Degrowth-Reviewer nicht erfüllen wird: Ein Blick aus der Vogelperspektive auf die historische Entwicklung bietet dennoch Ansätze für Antworten und auch für etwas mehr Zuversicht.

Erstens haben sich die CO2-Emissionen mit der Industrialisierung tatsächlich vervielfacht. Dabei verursachten die entwickelten Vereinigten Staaten und Europa bis in die 1980er Jahre hinein über die Hälfte aller globalen Emissionen.

Zweitens nehmen die Emissionen Europas und verzögert auch jene der USA trotz – oder vielmehr eher wegen – dem weiteren Wirtschaftswachstum und dem höheren Entwicklungsstand ab. Allerdings haben die schnell wachsenden Emissionen in China, Indien und weiteren Schwellenländern diese Reduktion bis ins zweite Jahrzehnt dieses Jahrhunderts mehr als überkompensiert. Seither zeichnet sich eine baldige Stabilisierung ab.

Treibende Kraft dahinter ist tatsächlich der technische Fortschritt. Die CO2-Emissionen, mit denen (eine kaufkraftbereinigte Einheit) wirtschaftliche Wertschöpfung hergestellt wird, haben in den vergangenen dreissig Jahren stark abgenommen. Besonders ausgeprägt und wirkungsvoll zeigt sich dies im hochindustrialisierten China.

Ein Degrowth-Szenario der anderen Art

Noch ist es nicht ganz so weit, doch neben der abnehmenden Emissionsintensität gibt es einen zweiten Faktor, der ein Szenario sinkender Emissionen als wahrscheinlich erscheinen lässt. Auch beim Bevölkerungswachstum zeigen alle Erfahrungen, dass es mit zunehmendem Wohlstand ebenfalls negativ wird.

Es gibt also ein Degrowth-Szenario der anderen Art, das Hoffnung auf einen nachhaltigeren Umgang mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten macht.

Determinanten des alternativen Degrowth-Szenarios

  • Je besser und (wegen der Verlagerungseffekte) koordinierter die steuerlich-ökonomischen Anreize zur Vermeidung von CO2-Emissionen ausgestaltet sind, umso eher wird der globale Ausstoss von Treibhausgasen sinken. Am besten wäre eine global koordinierte CO2-Steuer oder ein Emissionszertifikatehandel, mit dem die Menge der Emissionen vermindert würde. Ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus sollte nicht zu bürokratisch-protektionistisch ausgestaltet werden, kann aber allenfalls vorübergehend dazu dienen, Drittländer zum Mitmachen oder zum Einführen einer eigenen CO2-Steuer zu bewegen. Dieser Ansatz gilt für die Nutzung aller nicht erneuerbaren Ressourcen.
  • Je freier und schneller der technologische Fortschritt zu neuen «grünen» Lösungen führt, umso eher lassen sich CO2-Emissionen und andere Umweltschäden vermeiden.

Voraussetzung für beides ist nicht eine Rückkehr zu vorindustriellem Wirtschaften oder auch nur ein Schrumpfen der Wirtschaft. Im Gegenteil, Treiber der Verbesserungen ist technologiegetriebenes Wirtschaftswachstum – idealerweise gestützt durch eine kluge, international koordinierte Umweltpolitik.

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