Warum sich Christoph Eymann für einen Schuldenerlass einsetzt – und er das für liberal hält.
Wer sich in der Schweiz verschuldet, findet oft kaum mehr einen Weg, seinen Haushalt zu sanieren. Der Bundesrat will darum eine Gesetzesänderung, die zur Folge hätte, dass überschuldeten Privatpersonen – nach einer Frist von drei Jahren – die Restschulden verfielen. Das bundesrätliche Vorhaben ist umstritten: Die Linken sind dafür, die GLP ist es auch, die SVP klar dagegen – und bei Mitte und Freisinn sind die Meinungen geteilt. Ab Donnerstag berät die Rechtskommission des Nationalrats das Geschäft.
Klar für den Vorschlag spricht sich die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) aus. Zwei Drittel der Sozialhilfebezüger seien verschuldet, sagt der Skos-Präsident Christoph Eymann, «wir müssen diesen Menschen helfen, aus der Schuldenfalle herauszukommen».
Herr Eymann, warum soll der Staat entscheiden, wer seine Rechnungen bezahlen muss und wer nicht?
Weil es viele Leute gibt, die trotz grossen Anstrengungen ihre Schulden nicht mehr abtragen können. Und somit auch die Gläubiger chancenlos bleiben, je wieder an ihr Geld zu kommen. Die Betroffenen nennen wir «hoffnungslos Verschuldete». Mit dem Schuldenschnitt nach drei Jahren wollen wir erreichen, dass diese Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt kommen – und damit die Sozialhilfe entlasten.
Das ist doch ein Freibrief fürs Schuldenmachen.
Das sehe ich anders. In mehr als der Hälfte der Fälle sind Krankheit, Trennung, Jobverlust ursächlich für eine hohe Verschuldung. Die Perspektive fehlt, die Schulden je zurückzahlen zu können. Viele dieser Menschen werden sozialhilfeabhängig. Mit monatlich 1060 Franken, das sind 35 Franken pro Tag, besteht keine Chance, Schulden jemals zurückzuzahlen. Der Durchschnitt beträgt gemäss einer Studie 60 000 Franken. Heute können nur etwa 10 Prozent der Betroffenen ihre Schulden mindestens teilweise begleichen. Fast nie bezahlt jemand die gesamten Schulden zurück.
Welche Schuldner würden denn genau entlastet, welche nicht?
Das neue Sanierungsverfahren sieht so aus: Drei Jahre lang müssen die Schuldner alle Einkünfte über dem Existenzminimum wie bisher an den Gläubiger abtreten. Zudem gibt es die Verpflichtung, in dieser Zeit sich um ein regelmässiges Einkommen zu bemühen. Und es gibt eine weitere Absicherung: Dieses Verfahren darf man nur einmal alle zehn Jahre in Anspruch nehmen. Was auch noch gilt – aber eher selten passieren dürfte: Wer erbt, eine Schenkung erhält oder im Lotto gewinnt, muss den Gläubiger ebenfalls befriedigen.
Es gibt mittlerweile so viele Subventionen und Verbilligungen. Nur wer sich an alle Regeln hält und Vollzeit arbeitet, zahlt alles selbst. Der Mittelstand kommt sich doch berechtigterweise dumm vor.
Das verstehe ich. Aber in diesem Fall sage ich: Das eine tun, das andere nicht lassen. Der Mittelstand muss entlastet werden. Aber es geht ihm nicht besser, wenn man den Schwachen nicht hilft. Dass wir das tun müssen, steht in der Bundesverfassung. Und ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Schuldenschnitt die Sozialhilfe entlasten können. Es wird zum Gewinn für die Steuerzahler.
Gibt es dafür Zahlen?
Nein, wir haben bei der Skos keine Berechnungen. Aber wir wissen aus Studien, dass Kinder von verschuldeten Eltern kaum aus diesem Teufelskreis kommen. Die Kinder bleiben arm, verschulden sich häufiger selbst – und dies in einem der reichsten Länder der Welt. Das ist keine Chancengerechtigkeit.
Gerecht wäre doch, dass in einer liberalen Gesellschaft jeder für sich sorgt. Sie sind ein Liberaler, im Nationalrat waren Sie Teil der freisinnigen Fraktion. FDP-Nationalrat Philippe Nantermod findet die Idee etwa «schockierend».
Ich habe Verständnis für die Gläubiger, denen Geld zusteht, die es aber nie erhalten. Aber das ist jetzt auch schon so. Herrn Nantermods Position teile ich nicht – aber es ist halt ein Freisinniger, ich ein Liberaler. Das ist der Unterschied.