Donnerstag, Juli 4

Väter und Mütter können einen Teil ihres Elterngeldes auf die Grosseltern oder Dritte übertragen, wenn diese sich um ihre Kinder kümmern. Das Land ist in Sachen Familienpolitik ohnehin deutlich fortschrittlicher als andere.

In Schweden beziehen Väter und Mütter schon seit 1974 Elterngeld. Seither herrscht Gleichberechtigung: Beide Elternteile dürfen sich eine bezahlte Auszeit für ihre Kinder nehmen. Nun hat das Land einen weiteren Schritt für mehr Flexibilität im Berufs- und Familienleben der Eltern getan: Sie können seit 1. Juli einen Teil des Elterngeldes auf die Grosseltern übertragen.

Die neue Regelung gilt während maximal dreier Monate innerhalb des ersten Lebensjahres des Enkelkindes. 45 Tage können Eltern an die Grosseltern abtreten, bei Alleinerziehenden sind es 90 Tage. Eltern können auch entscheiden, ihr Kind von einer anderen dritten Person betreuen zu lassen. Das Gesetz hatte das schwedische Parlament bereits im Dezember verabschiedet, nun tritt es in Kraft.

Kein anderes Land in der EU lebt die Gleichstellung so ausgeprägt wie Schweden. Bei einer Umfrage des Europäischen Instituts für die Gleichstellungsfragen (Eige) erreicht Schweden die höchste Punktzahl. Mit 82,2 von 100 Punkten sind Schwedinnen und Schweden nahe dran an der völligen Gleichstellung. Deutschland erreicht bei dem EU-Vergleich nur 70 Punkte.

So bekommen Eltern in Schweden gleichberechtigt staatliche Förderung für zusammen 480 Tage pro Kind: Das sind 16 Monate, in denen sich die Paare ihrem Familienleben widmen können. Wenn Mehrlinge geboren werden, bekommt jeder Elternteil pro Kind zusätzlich 90 Tage Elterngeld. Die Partner teilen die Tage untereinander auf, wie sie wollen. Sie müssen einen Grossteil davon bis zum vierten Geburtstag des Kindes nehmen, 96 Tage dürfen sie bis zum zwölften Geburtstag des Kindes noch nutzen.

Das Elterngeld ist vergleichsweise grosszügig. Denn es wird nach dem letzten Bruttogehalt des Elternteils bemessen, der zu Hause bleibt. In den ersten zwölf Monaten bekommen Eltern dann 80 Prozent ihres ursprünglichen Lohns, häufig stocken Arbeitgeber aber auf 90 Prozent auf.

In der Schweiz haben Eltern keinen Anspruch auf Elterngeld. Die Elternzeit ist zwar vorgesehen, aber ohne staatliche Unterstützung. Viele Unternehmen bieten allerdings einige Wochen Lohnfortzahlungen an. Bei der Elternzeit haben Väter und Mütter in der Schweiz im europäischen Vergleich dennoch das Nachsehen, Gleichberechtigung gibt es kaum: Lediglich 14 Wochen, also dreieinhalb Monate, stehen Müttern nach der Geburt zu, Väter bekommen gerade einmal 2 Wochen.

Dreissig Jahre später als Schweden

In Deutschland gibt es Elterngeld erst seit 2007, mehr als dreissig Jahre später als in Schweden. Eltern dürfen zwar bis zu drei Jahre zu Hause bleiben, während der Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz vorhalten muss. Das Elterngeld ist aber auf maximal 14 Monate beschränkt.

Das Basiselterngeld bekommen Eltern in Deutschland für bis zu zwölf Lebensmonate des Kindes. Nur wenn beide Partner Elterngeld beantragen und einer oder beide nach der Geburt weniger verdienen als vorher, haben sie Anspruch auf bis zu 14 Monate Elterngeld. Das ist immer noch deutlich weniger als im schwedischen Regelfall.

Hinzu kommt: In Deutschland ist die Höhe des Elterngeldes gedeckelt. Je nach Einkommen erhalten Eltern zwischen 150 und maximal 1800 Euro monatlich.

Flexibilität im System gibt es in der Bundesrepublik kaum: Das Elterngeld auf andere Personen als die Eltern selbst zu übertragen, ist nur in Ausnahmesituationen möglich. Etwa, wenn diese nicht mehr leben, schwer krank oder schwer behindert sind und sich nicht selbst um die Erziehung kümmern können. Grosseltern bekommen nur Elterngeld, wenn ein Elternteil des Enkelkinds noch minderjährig oder in der Ausbildung ist. Ausserdem dürfen die Eltern in diesen Ausnahmefällen selbst kein Elterngeld beantragen.

Bessere Kinderbetreuung

Schweden bietet Eltern aber auch bei der Betreuung der Kinder deutlich mehr als andere Länder: Sie haben einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz. Die zuständige Kommune muss spätestens nach drei Monaten nach Geburt des Kindes einen Betreuungsplatz bereithalten – ob Kinderkrippe, Hort oder Kindertagesstätte. Bis zum achten Lebensjahr des Kindes haben Schweden zudem Anspruch auf reduzierte Arbeitszeiten.

In Deutschland gibt es erst seit 2023 einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für das eigene Kind, allerdings erst ab dessen erstem Geburtstag. In der Realität fehlen Kita-Plätze, viele Eltern bemühen sich schon vor der Geburt ihres Kindes um einen Platz. Wann sie ihn tatsächlich bekommen, ist eine andere Frage. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung errechnete Ende 2023, dass in diesem Jahr mehr als 400 000 Kita-Plätze fehlen.

In der Schweiz sind Kitas meist privat betrieben, Eltern zahlen entsprechend viel für die Betreuung ihrer Kinder. Die SP fordert in einer Gesetzesinitiative einen verfassungsmässigen Anspruch auf Kinderbetreuung ab dem Alter von drei Monaten und bis zum Ende der Grundschule. Der Bundesrat hat im September beschlossen, dem Parlament die Ablehnung zu empfehlen. Der Schweizer Bundeshaushalt würde mit Mehrkosten in Milliardenhöhe massiv belastet.

Die schwedische Wirtschaft profitiert davon. 84 Prozent der Schwedinnen mit Kindern sind laut Daten der Statistikbehörde Eurostat erwerbstätig, ein Grossteil von ihnen in Vollzeit. In Deutschland arbeiten 76 Prozent der Mütter, die meisten allerdings Teilzeit (66 Prozent). In der Schweiz sind etwa 55 Prozent der Mütter mit Kleinkindern erwerbstätig, nur 16 Prozent arbeiten Vollzeit.

Das ausgedehnte Sozialsystem Schwedens hat aber auch seinen Preis. Das Land rangiert mit einem Spitzensteuersatz von mehr als 52 Prozent unter den vier am stärksten belastenden EU-Mitgliedstaaten nach Finnland, Dänemark und Österreich.

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