Montag, November 18

Von Volkswagen bis Bosch: Die Krisenmeldungen vor allem aus dem deutschen Autosektor häufen sich. Die trüben Aussichten belasten auch die in der Schweiz kotierten Zulieferer und ihre Investoren. The Market geht der Frage nach: Welche Unternehmen sind krisentauglich, welche leiden besonders?

Die folgende Aufzählung von Hiobsbotschaften deutscher Unternehmen ist nicht einmal vollständig: Volkswagen erwägt, erstmals in Deutschland Werke zu schliessen; BMW meldete für das dritte Quartal einen Absatzrückgang in China um 30%; der Zulieferer Bosch wird die Ziele für 2024 verfehlen und schliesst nicht aus, noch mehr als die bereits angekündigten 7000 Stellen zu streichen.

Zudem ist Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt worden: Er ist der Ansicht, Mercedes-Benz, BMW und Volkswagen würden sein Land mit ihren Fahrzeugen überschwemmen, und hat angedroht, die Zölle auf EU-Importe bis zu 20% zu erhöhen.

«Ein heisses Thema»

Manuel Bottinelli, Portfoliomanager bei Peter J. Lehner & Partner, bemerkt dazu, der Autosektor sei derzeit «ein heisses Thema» unter Investoren. Die Schwäche der deutschen Autohersteller habe auch die an der Schweizer Börse gehandelten Titel von Zulieferern unter Druck gesetzt: So haben die Aktien von AMS Osram, die Halbleiter und Beleuchtungslösungen anbietet, in diesem Jahr 70% verloren und die von Komax, die Maschinen zur Kabelverarbeitung herstellt, mehr als 40% eingebüsst.

Die Unternehmen selbst wollen die Lage nicht dramatisieren, wie Bottinelli an der Swiss Equity Conference festgestellt hat. An dem von der Zürcher Kantonalbank organisierten Anlass standen in der vorletzten Woche auch mehrere Autozulieferer den Investoren und Analysten Red und Antwort. Der Tenor habe zum einen gelautet, dass für die schweizerische Zulieferindustrie der chinesische Markt inzwischen so wichtig sei wie der deutsche, wenn nicht wichtiger.

Zum anderen führten die Unternehmen aus, dass sich die Lage nicht wesentlich verschlechtert habe. Nur habe sich die anfänglich erhoffte Erholung im Automarkt heuer nicht eingestellt, sodass die Prognosen von Mal zu Mal nach unten angepasst werden mussten.

Bescheidenes Wachstum

Tatsächlich ist die Autobranche kein Wachstumsmarkt. Gemäss den Prognosen von S&P Global Mobility dürfte die Produktion von Leichtfahrzeugen in diesem Jahr um 2,1% auf 88,5 Millionen abnehmen. Für das nächste Jahr rechnet der Finanzdienstleister mit einer Zunahme um 1,8% auf 90,1 Millionen. Bis 2031 soll die Zahl an produzierten Leichtfahrzeugen stetig auf 98,2 Millionen steigen, was einer bescheidenen Wachstumsrate von 1% pro Jahr entspräche.

Nicht eingerechnet in dieser Kalkulation ist eine mögliche Rezession, die als Damoklesschwert über den Märkten schwebt. Auch deshalb ist es angebracht, die in der Autoindustrie tätigen Unternehmen auf ihre Krisentauglichkeit hin zu überprüfen.

Georg Fischer: ins Risiko gegangen

Ein aufschlussreiches Fallbeispiel liefert Georg Fischer. Bis 2013 bildete Automotive, auf Gussteile spezialisiert und später in Casting Solutions umbenannt, die grösste der drei Divisionen des Konzerns. Doch die Schaffhauser bauten zielsicher die weniger zyklische und rentablere Division Piping Systems aus: 2023 wagten sie einen grossen Schritt mit der Übernahme des Rohrleitungsherstellers Uponor.

Damit ging die GF-Führung ein finanzielles Risiko ein. Bis dahin war der Konzern für seine vorsichtige Finanzierungspraxis bekannt.

Als Folge des Uponor-Kaufs haben die Nettofinanzschulden per Ende Juni fast das Vierfache des Betriebsergebnisses Ebitda betragen. Das sei für einen Emittenten mit einem Investment-Grade-Rating «zu hoch», urteilt Fabian Keller, Partner des unabhängigen Kreditresearch-Unternehmens Independent Credit View (I-CV). Damit habe GF «einen gewissen, zuvor erarbeiteten Vertrauensvorschuss verspielt».

Das liegt auch daran, dass GF den anfänglichen Plan, die Übernahme teils mit einer Kapitalerhöhung zu refinanzieren, im Februar aufgab. Wie ein Konzernsprecher erklärt, sei dieser Entscheid «im Kapitalmarkt positiv aufgenommen» worden. Der Aktienkurs zog nach dem Verzicht auf eine bei Aktionären unbeliebte Kapitalerhöhung kurzfristig auch an – bevor er erneut fiel.

Die Neuausrichtung

Ende Oktober meldete GF, mit Machining Solutions ihre kleinste, teils auch die Autoindustrie beliefernde Division zu verkaufen. Diese Fokussierung ist von der Börse honoriert worden, kommt aber alles andere als zu einem idealen Zeitpunkt. Der wäre vor etwa zwei Jahren gewesen, als diese Division weit profitabler war, resümierte die Helvetische Bank. Sie vermutet, der Industriekonzern habe jetzt verkauft, weil die hohen Schulden «die unternehmerische Flexibilität wohl zu sehr eingeschränkt» haben.

Es scheint, dass die in finanzieller Gratwanderung ungeübte GF-Führung zum falschen Moment ins Risiko ging. Sie prüft nun auch für Casting Solutions alle Optionen. Die Helvetische Bank stellt sich einen Verkauf dieser Division, im Prinzip ein Autozulieferer mit erheblicher Ausrichtung auf die deutsche Autoindustrie, im gegebenen Umfeld aber nicht einfach vor.

Für Kreditanalyst Keller macht die Neuausrichtung von GF grundsätzlich Sinn, da sich der Konzern damit auf das höhere Margen und Cashflow generierende Geschäft mit Rohrleitungssystemen fokussiere und zusammen mit den Verkäufen die Entschuldung beschleunigt werde: «Letzteres ist auch zwingend notwendig.»

AMS Osram: eine grosse Erblast

AMS Osram liefert eine Bestätigung dafür, dass eine zu hohe Verschuldung sich letztlich unheilvoll auf den Aktienkurs auswirkt. Noch unter dem alten Management hatte AMS 2020 die Grossübernahme des Lichtspezialisten Osram abgeschlossen und eine Fabrik in Malaysia für 800 Mio. € für ein damaliges Schlüsselprojekt, die MicroLED-Produktion, bauen lassen.

Das Unternehmen geriet in finanzielle Nöte, der Aktienkurs brach ein. Im Verlauf von 2023 übernahm ein neues Management mit CEO Aldo Kamper und Finanzchef Rainer Irle das Ruder. Der neuen Crew wird anders als den Vorgängern Bodenhaftung bescheinigt, und sie setzt ihre Strategie konsequent um. Im Zuge davon hat sich, sagt Kreditanalyst Keller, «die Kredibilität der Unternehmensführung erhöht».

Verletzliches Finanzprofil

Doch das neue Management hatte einen schwierigen Start. Um der Schuldenlage einigermassen Herr zu werden, musste es gegen Ende 2023 eine grosse, für die Aktionäre schmerzhafte Kapitalerhöhung durchführen. Im vergangenen Februar ereilte die Aktionäre ein weiterer Schock: Das MicroLED-Schlüsselprojekt wurde vom Kunden, Apple, storniert. Für die kostspielige Fabrik in Malaysia muss zwingend ein neuer Nutzer gefunden werden, eine Lösung ist erst für 2025 zu erwarten.

Zudem kommt das Marktumfeld AMS Osram, die 52% des Umsatzes mit der Autoindustrie macht, nicht entgegen: Die Zahlen für das dritte Quartal 2024 sind zwar solide ausgefallen. Aber der Ausblick auf das laufende vierte Quartal und das erste von 2025 sei, so die Zürcher KB, «etwas schwächer als erwartet». Darin spiegelt sich die fortlaufende Baisse des Automobilmarktes.

Keller von I-CV sagt, das Finanzprofil von AMS Osram bleibe mit dem schwachen Cashflow und der nach wie vor hohen Zinslast sowie Verschuldung verletzlich: «Das Unternehmen ist nicht aus dem Schneider, und die Entwicklung muss im schwachen Nachfrageumfeld eng verfolgt werden.»

Wichtige Finanzkennzahlen

Es stellt sich die Frage, welche Kennzahlen die Anleger heranziehen sollen, um die Krisentauglichkeit von Autozulieferern zu prüfen. Bezüglich der Finanzlage gibt das Verhältnis von Nettofinanzschulden zum Ebitda dienliche Hinweise. Allgemein gilt ein Verhältnis von unter 2 als erstrebenswertes Ziel. Doch für stark zyklische Unternehmen, wie es von der Autoindustrie abhängige Zulieferer sind, empfiehlt es sich, ein Polster zu besitzen, also statt Nettoschulden eine Nettoliquidität aufzuweisen.

Finanz- und Ratingexperte John Feigl zieht zur Bewertung der Unternehmensstabilität das Verhältnis von freiem Cashflow zur Nettofinanzverschuldung heran: Ein Verhältnis über 20% gelte als Zeichen einer robusten Finanzlage, eines unter 10% werde als Warnsignal gewertet. Dahinter steckt die Überlegung, dass ein Unternehmen in der Lage sein muss, die Schulden aus dem freien Cashflow innerhalb von fünf Jahren zurückzuzahlen.

Bei AMS Osram oder Autoneum, die Komponenten für den Lärm- und Hitzeschutz bei Fahrzeugen fertigt, würden sich die entsprechenden Werte aktuell in Richtung von 15 oder gar 10% bewegen, schätzt Feigl. Das bedeute, «dass die Unternehmen im Fall von Cashflow-Schwierigkeiten ihre Schulden nur schwer bedienen könnten».

Eine kritische Schwelle

Die Profitabilität gibt Feigl ebenfalls Auskunft über die Belastbarkeit von Unternehmen. «Eine Ebit-Marge unter 5% deutet auf eine geringe Krisenresistenz hin.» Autoneum erreichte 2023 einen Betriebsgewinn auf Stufe Ebit von 4,3% des Umsatzes. Die kleine Feintool, eine vorab auf den Automobilbereich fokussierte Spezialistin für Umformen, Feinschneiden und Elektroblechstanzen, schaffte 3,5%.

Auch an den Zielen zeigt sich, dass das Potenzial dieser Unternehmen eher bescheiden ist: Autoneum und Feintool streben mittelfristig eine Ebit-Marge von 6 bis 8% an. Zum Vergleich: Ems-Chemie, die rund 60% ihres Umsatzes mit der Autoindustrie erwirtschaftet, erreichte letztes Jahr einen Wert von 22,5%. Nicht überraschend zeigt sich auch, dass sehr rentable Unternehmen meist auch solide finanziert sind: Ems hatte Ende Dezember eine Nettoliquidität von 232 Mio. Fr.

Innovationskraft als Kriterium

Klar ist, der Automarkt bleibt schwierig, und die langfristigen Wachstumsprognosen sind bescheiden. Die Anleger müssen genau darauf achten, wie die Unternehmen sich im Markt positioniert haben und wie es um ihre Fähigkeit bestellt ist, sich mit ihren Produkten und mit Innovationen von der Konkurrenz abzuheben.

Aus Sicht von Portfoliomanager Bottinelli ist zum Beispiel Autoneum «eine Spur weniger innovativ als andere Autozulieferer», weshalb er einem Engagement in diesen Aktien vorsichtig gegenübersteht. Ems sei dagegen sehr innovativ und schaffe es ausgezeichnet, sich in ihrer Nische gegenüber der Konkurrenz zu differenzieren. Dem von der Haupteignerin Magdalena Martullo-Blocher hervorragend geführten Unternehmen gelingt es, für seine Hochleistungskunststoffe ständig neue Anwendungen zu finden und so das Wachstum im Automarkt zu übertreffen.

Die historische Wende

Von zentraler Bedeutung für die Zulieferer ist «die historische Wende im Autosektor», wie es der Finanz- und Ratingexperte Feigl ausdrückt. Zwar erleben die Verbrenner in Europa zurzeit eine erstaunliche Renaissance, doch auf Dauer sei der Übergang zur Elektromobilität unvermeidlich. Regulatorische Anforderungen sowie technologische Innovationen, aber letztlich auch das Konsumenteninteresse würden immer stärker in Richtung einer emissionsfreien Mobilität weisen. Prognosen zeigen etwa, dass in Europa bis 2030 gegen drei Viertel der Neuzulassungen auf Elektroautos entfallen könnten.

Für die Autozulieferindustrie verheisst der Wandel laut Feigl «einerseits neue Wachstumschancen, insbesondere im Bereich der elektrischen Verkabelung und bei Leichtbaumaterialien, andererseits aber auch Herausforderungen.» Ein Unternehmen wie Autoneum könnte infolge der hohen Abhängigkeit von Verbrennungstechnologien stark unter Druck geraten, je mehr sich die Elektromobilität im Markt durchsetzt.

Nicht zu sorgen brauchen sich die Anleger im Fall der Ems-Gruppe: Sie ist mit ihren Produkten heute schon sehr stark, teils mit über hundert Anwendungen, in Modellen der tonangebenden chinesischen Elektroautohersteller wie BYD oder Nio vertreten.

Komax wirft Fragen auf

Ein umstrittener Fall ist Komax, die rund 75% des Umsatzes im Bereich der Fahrzeugverkabelung erzielt. Das Unternehmen sieht sich als Profiteur der Elektromobilität, da E-Autos verglichen zu Verbrennern 20 bis 30% mehr Verkabelung benötigten, um die zusätzlichen elektrischen Komponenten wie Batterien und Steuergeräte zu verbinden. Zudem spiele ihm der Trend zur Automatisierung in die Hände: Heute würden noch 80% der Kabelverarbeitung manuell erfolgen und nicht durch Maschinen, wie sie Komax anbietet.

Begrenzt werden diese Wachstumschancen laut Feigl aber durch Entwicklungen bei Herstellern wie Tesla oder deutschen Marken, die verstärkt auf modularisierte, weniger kabelintensive Architekturen setzen. So soll bei Teslas Cybertruck eine Technologie genutzt werden, die die Verkabelungsmenge bis zu 40% reduzieren könnte. Auch Innovationen in drahtloser Datenübertragung könnte etwa die Nachfrage nach traditionellen Kabelsystemen verringern.

Zudem sieht sich Komax zusehends chinesischer Konkurrenz gegenüber. Unter Marktteilnehmern tauchte auch die Sorge auf, die Position des Unternehmens sei in China nicht stark genug. Dem trat es entgegen durch die im März erfolgte mehrheitliche Übernahme von Hosver, dem im Land führenden Hersteller von Maschinen zur Verarbeitung von Hochvoltkabeln.

Die Anlagequalität der Zulieferer

The Market schätzt die Anlageeignung der behandelten Autozuliefereraktien so ein: Ems-Chemie ist qualitativ herausragend, und die Aktien sind in Schwächephasen stets ein Kauf.

Bei AMS Osram arbeitet das neue und Vertrauen verdienende Management auf einen Turnaround hin. Doch über dem Unternehmen, das mit seiner weiterhin angespannten Finanzlage noch nicht aus dem Schneider ist, schwebt das Damoklesschwert einer Rezession und damit verbunden eines Markteinbruchs.

Komax sprach im Juni eine Gewinnwarnung aus. Im ersten Halbjahr gingen der Umsatz und noch mehr die Ergebniszahlen um zweistellige Prozentraten zurück. Das Management sagt, es handle sich um ein zyklisches Tief, wie man es schon oft erlebt habe. Die Sorge aber bleibt: Auch strukturelle Gründe könnten das Wachstumspotenzial begrenzen.

Autoneum und Feintool sind klein und abhängig von grossen Kunden, wenig profitabel und stark zyklisch. Das sind alles Merkmale, die Investoren an Autozulieferern nicht schätzen.

Die Aktien von Georg Fischer werden künftig eine höhere Anlagequalität aufweisen und die Bewertung sollte steigen – wenn die Neuausrichtung abgeschlossen und die Trennung vom einstmals dominierenden Automobilgeschäft vollzogen ist.

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