Hongkong oder Singapur werden die Schweiz als führenden Offshore-Finanzplatz überholen. Die Schweizer Banken unterschätzen den Schock des CS-Untergangs und die asiatische Konkurrenz.
Ist sie zu mächtig? Ist sie zu gefährlich? Am Schweizer Finanzplatz dreht sich derzeit fast alles um die UBS. Sie ist nach dem Untergang der Credit Suisse die einzig verbliebene international tätige Vermögensverwalterin. Daneben gibt es nur noch eine Handvoll spezialisierter Privatbanken.
Die UBS, zusammen mit der ehemaligen CS und Traditionsbanken wie Julius Bär, Pictet oder Lombard Odier, sichert der Schweiz bis anhin den Spitzenplatz als weltweit wichtigste Destination für Offshore-Gelder – trotz Steuerstreit, dem Ende des Bankgeheimnisses und der CS-Krise. Bis jetzt kann die Schweiz ihren Platz behaupten.
Doch es droht Gefahr. Aufstrebende Finanzplätze wie Hongkong oder Singapur werden die Schweiz in den nächsten Jahren an der Spitze ablösen. Die Berater von BCG schreiben in einer Studie, dass das spätestens in vier Jahren der Fall sein werde. Bemühungen seitens der Schweiz, ihre Spitzenposition zu verteidigen, sind nicht auszumachen.
Paradedisziplin des Schweizer Banking
Auch Sergio Ermotti ist besorgt, dass der Schweizer Finanzplatz abgehängt wird. Der UBS-Chef nutzt diese Sorge als Argument für eine internationale Grossbank, die Politik und Behörden nach der CS-Krise nicht mit höheren Auflagen behindern sollten. «Hongkong wird uns laut Prognosen schon im Jahr 2027 übertreffen, Singapur wächst dreimal so schnell wie die Schweiz», sagte er an der Universität Luzern im Juni. Ausländische Finanzzentren würden profitieren, wenn die Schweiz die UBS dabei einschränke, eine führende Präsenz im Ausland beizubehalten.
Tatsächlich gehört das Verwalten von Offshore-Geldern zu den traditionellen Paradedisziplinen des Schweizer Banking. Es begründete den internationalen Ruf des Finanzplatzes. Offshore-Gelder sind Vermögenswerte, die ausserhalb des Wohnsitzlandes des Kunden verwaltet werden. Das sind oft Länder mit vorteilhaften politischen und steuerlichen Rahmenbedingungen wie die Schweiz, aber auch Luxemburg, Singapur oder die USA.
Wollte man Geld «in Sicherheit» bringen, vertraute man es einer Schweizer Bank an. Doch diese Zeiten sind spätestens seit 2017 und der Einführung des automatischen Informationsaustauschs vorbei. Damit endete auch der Status der Schweiz als sicherster Hafen für deklarierte und andere Vermögen.
Ihr Ansehen als Offshore-Finanzplatz hat nicht nur wegen des Steuerstreits gelitten; auch die Pandemie, die unkritisch von den USA und der EU übernommenen Sanktionen gegen Russland und der CS-Kollaps haben das Image angekratzt. Und im schnell wachsenden asiatischen Markt buhlen vermehrt auch lokale Banken wie DBS, Bank of Singapore oder UOB um die reichen Kunden.
Ausländische Banken sind nicht besser
«Vor der grossen Finanzkrise galten ausländische Banken als qualitativ hochwertiger als inländische Marken. Diese Wahrnehmung hat sich verändert. Heute sind asiatische Banken ebenbürtig», sagt Joseph Poon, Leiter des Private Banking von DBS, der grössten Bank Singapurs. Er leitete zuvor das Geschäft mit sehr reichen Kunden für die UBS in Südostasien und war in Topjobs bei Julius Bär und JP Morgan tätig.
Private Banking ist auch in Südostasien ein lukratives Geschäft. Im ersten Semester vergrösserten sich die verwalteten Vermögen von DBS im Wealth Management um 24 Prozent auf umgerechnet 256 Milliarden Franken. «Während Covid haben asiatische Kunden festgestellt, dass der Zugang zu lokalen Banken besser ist als zu ausländischen», sagt Poon.
Asiatische Kunden lassen sich auch weniger von westlichen Marken blenden. Sie legen vor allem Wert auf Verlässlichkeit. Nicht gut kam an, dass sich einige westliche Banken wie Barclays oder Edmond de Rothschild nach einigen Jahren einfach wieder aus Singapur zurückzogen. Aber auch die Ereignisse rund um die Übernahme der Credit Suisse im März 2023 haben viele geschockt.
Nicht nur der Kollaps einer vermeintlich sicheren Schweizer Bank, sondern besonders die durch eine staatliche Behörde – die Finma – angeordnete Abschreibung von AT1-Anleihen der CS in Höhe von 16 Milliarden Franken sorgte für Empörung. Viele reiche Asiaten hatten solche Anleihen im Portfolio. Sie erlitten Totalverlust.
«Wie konnte das die Finma zulassen?», sagt ein Vermögensverwalter, der nicht namentlich genannt werden möchte. «Am Freitag vor der CS-Rettung versuchten Berater die Kunden zu beruhigen, am Sonntag verloren sie alles», sagt er. An einem einzigen Wochenende sei viel Vertrauen gegenüber Schweizer Banken kaputtgegangen.
Ähnliche Schockwirkung hatte die Tatsache, dass die Schweiz die Russland-Sanktionen der EU und der USA unkritisch übernahm. Das war für manche ein Anlass, zumindest einen Teil ihres Vermögens an lokale Banken zu übertragen, die sie bereits für Alltagsgeschäfte nutzten. Sie wünschen zwar weiterhin eine Verbindung zu einer globalen Bank, viele würden aber keine Geschäfte mit einer Schweizer Bank mehr machen.
Der Trend bei reichen Asiaten und vermögenden Familien, sich regionaler aufzustellen, hat zwar bereits vor Jahren eingesetzt. Er wurde durch diese jüngsten Ereignisse aber deutlich beschleunigt.
Enormer Vermögenstransfer: Family-Offices profitieren
Reiche Familien würden nach einer besseren Diversifizierung in Länder suchen, die sie für weniger risikoreich halten würden, sagt Zann Kwan vom Raffles Family Office aus Singapur. Sie ist dort für Investments in digitale Assets zuständig. «Die Familien wollen sich nicht auf eine einzige Bank oder ein einziges Finanzzentrum verlassen.» Das sei einer der Gründe, warum Singapur in letzter Zeit so hohe Zuflüsse sehe.
Zudem würden asiatische und westliche Banken mittlerweile als gleich sicher betrachtet, sagt Kwan. Aber anstatt mit vier oder fünf verschiedenen Banken zusammenzuarbeiten, sei es für reiche Familien effizienter, das Geld einem sogenannten Multi-Family-Office anzuvertrauen. Das ist eine Vermögensverwaltungsfirma, die das Geld mehrerer Familien anlegt. Raffles betreut typischerweise Vermögen zwischen 100 und 300 Millionen Dollar – darüber lohnt es sich für die Familien, ein eigenes Office zu betreiben.
So buhlen neben den Banken auch unzählige Family-Offices um Vermögen reicher Kunden. Fast täglich werden in Hongkong und Singapur neue solcher Offices eröffnet. Beide Finanzplätze hätten es diesen Vermögensverwaltern leichtgemacht, sich niederzulassen, sagt Henry Chui, Leiter Private Wealth für die Region Asien-Pazifik bei Partners Group, einem Schweizer Anbieter von privaten Anlagen. Chui schätzt, dass es mittlerweile etwa 2500 Family-Offices in Hongkong gibt, rund 1500 in Singapur.
«Hongkong war traditionell besser, Vermögen vom chinesischen Festland anzuziehen, da es kulturell näher ist. Singapur hat eine buntere Mischung von Kunden aus der ganzen Welt.» Viel Geld kommt da aus Indien, Indonesien und anderen südostasiatischen Ländern. Die Pipeline an reichen Kunden ist voll. Asien vereint nunmehr fast ein Viertel aller Millionäre der Welt oder gleich viel wie Westeuropa.
«Die Kunden werden von Privatkunden zu Private-Banking-Kunden.» Viele seien Unternehmer und würden durch ein erfolgreiches Unternehmen oder einen Börsengang reich, sagt Joseph Poon von DBS. Zudem finde ein enormer Vermögenstransfer statt. Patriarchen, die in den 1990er Jahren reich geworden seien, seien daran, ihr Vermögen an die nächste Generation zu übertragen.
So haben auch die lokalen Anbieter ihr Angebot für Millionäre ausgebaut. DBS hat schon vor zehn Jahren das Private Banking von Société Générale in Hongkong und Singapur übernommen. Und im Nachgang der CS-Krise hat die Konkurrentin Bank of Singapore neue Kundenberater angestellt, auch um ehemalige CS-Kunden aus China und Südostasien abzufangen.
Singapur mit Schweizer Qualitäten erfolgreicher
Denn die asiatisch-pazifische Region bleibt hochattraktiv. Gemäss dem World Wealth Report der UBS wachsen die Vermögen in Asien seit der Finanzkrise 2008 viermal schneller als in Europa. Doch nicht nur in China wachsen sie weiter. Auch in Indonesien und Taiwan gibt es immer mehr Reichtum. Für Schweizer Vermögensverwalter ist es die wichtigste Wachstumsregion ausserhalb Europas, da die USA für die meisten tabu sind.
Noch kann die Schweiz ihren Spitzenplatz als populärste Destination für Offshore-Gelder halten, vor allem dank Zuflüssen aus Westeuropa und dem Mittleren Osten. Und bis 2028 wird sie diese Stellung verteidigen können, glauben die Experten von BCG. Danach sah es aus, als werde Hongkong die Schweiz überholen. Doch wegen der wirtschaftlichen Abkühlung fliessen weniger Vermögen aus China. So ist derzeit Singapur der schärfste Konkurrent der Schweiz. Bis 2028 wird der dortige Finanzplatz schneller als Hongkong und auch Dubai wachsen.
Und das mit einem Geschäftsmodell, das stark an die Schweiz erinnert: ein sicherer Hafen, der westliche Werte teilt. Zudem punktet Singapur mit politischer Stabilität und einer zukunftsorientierten, unternehmensfreundlichen Regierungspolitik. Es ist ein Einfallstor für den gesamten asiatischen Markt.
Die Schweiz als Offshore-Finanzplatz vermag zwar auch noch zu wachsen. Dabei verlässt man sich auf Altbewährtes: die gute Finanzmarktinfrastruktur, die «Neutralität», die Stabilität und das historische Image. Das sind solide Argumente, doch um an der Spitze zu bleiben, genügen diese alten Rezepte offensichtlich nicht mehr.