Donnerstag, Januar 30

Die Branche sollte sich nichts vormachen: In den nächsten Jahren werden die Fördermittel zunehmend versiegen. Aber das kann auch die Chance für eine Neuausrichtung sein. Eine radikale Idee.

Die Geschichte, wie es mit der Filmförderung in der Schweiz angefangen hat, könnte man so erzählen: Irgendwann in den sechziger Jahren hatte sich der Filmdienst der Schweizer Armee eine neue Kamera gekauft. Eine ordentliche Arriflex, 16 Millimeter. Diese wurde bei Schwarz Film gelagert, einem international renommierten Labor in Bern, wo ein Kameramann der Armee arbeitete. Grössen wie Jean-Luc Godard liessen dort ihre Filme entwickeln. Und auch ein junger Filmemacher namens Clemens Klopfenstein.

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An den Wochenenden stand die Kamera im Schrank, niemand brauchte sie. Klopfenstein, der den Mitarbeiter von Schwarz Film kannte, durfte die Arriflex amortisieren. Auch andere Berner Jungfilmer fingen so an. «Samstag-Sonntag-Filme» nennt Klopfenstein diese frühen cineastischen Gehversuche seiner Generation.

Unter der Woche habe man gearbeitet, damit man sich das Filmmaterial habe leisten können, erinnert sich der heute 80-Jährige. Aber die Kameramiete hat das Verteidigungsministerium den Jungen erlassen. «Das VBS ermöglichte die erste indirekte Filmförderung der Schweiz», sagt Klopfenstein und lacht.

Mann mit Spieltrieb

So geht Filmförderung nach Clemens Klopfenstein. Er weiss sich zu behelfen. Er ist ein Original. Der Mann mit der Hornbrille, die zwei Herzchen schmücken, hat das unabhängige Film- und Videoschaffen im Land geprägt wie kein anderer. Bei den Solothurner Filmtagen, die dieses Jahr ihre 60. Ausgabe absolvierten, war er von der Gründung an praktisch immer vor Ort.

Allerdings sass er dieser Tage zum ersten Mal überhaupt in einer Jury der Filmtage. In hiesigen Kuchen gehörte der Regisseur von «Das Schweigen der Männer» (1998) nie so richtig dazu. Der Bieler, der seit 50 Jahren mehrheitlich in Umbrien lebt, ist der unangepassteste Filmemacher der Schweiz. Geld braucht er nicht viel. «Filmförderung ist Arbeitslosenunterstützung», sagt er ein bisschen im Scherz. Aber nur ein bisschen.

Klopfenstein kam immer ohne grössere Mittel zurecht. Mittlerweile arbeitet er viel mit Social Media, Tiktok findet er gerade ziemlich gut. Ein Mann, der keine Berührungsängste hat. Einer mit Spieltrieb. Er macht einfach. Clemens Klopfenstein, kurzum, ist die Antithese zur Schweizer Filmszene.

Überschaubare Präsenz an Wettbewerben

In den vergangenen Tagen traf man in Solothurn, zwischen den Traditionsbeizen «Kreuz» und «Chutz», neben Klopfenstein auch alles, was im Selbstverständnis der Branche Rang und Namen hat: Das einheimische Filmschaffen versammelt sich jeweils im Januar an der Aare, um sich und seine Arbeiten zu präsentieren. Einerseits. Und andererseits, um über Filmpolitik zu reden. Selten zeigen sich die hiesigen Filmschaffenden so engagiert, wie wenn es um die Förderung geht. Solothurn ist das Davos des Schweizer Films.

Zunächst betonte man bei der Tagung im Stadttheater den Stolz auf das Erreichte. 2024 sei ein hervorragendes Jahr gewesen, hiess es unisono an dem Branchennachmittag, wo sich von der Promotionsagentur Swiss Films über die SRG bis zum Bundesamt für Kultur die wichtigsten Player für ihre Keynote-Speeches einfanden.

Hervorgehoben wurde die letztjährige Teilnahme als Gastland beim Filmmarkt in Cannes. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob der Auftritt etwas angestossen hat. In den Wettbewerben war die Präsenz von Filmproduktionen mit Swissness-Label wie immer: überschaubar.

Zwar freut sich die Branche über jeden Schweizerfranken, den sie in eine Koproduktion mit dem Ausland stecken kann. Aber es schleckt keine Geiss weg: Die einheimischen Regisseurinnen und Regisseure finden auf den grossen Festivals nicht nennenswert statt. Höchstens hat hin und wieder ein Romand einen Beitrag in einem Berlinale-Wettbewerb (Lionel Baier dieses Jahr), aber für die Goldenen Löwen und Palmen von Venedig und Cannes kommen Schweizer offenbar qua Geburt nicht infrage. Deutschschweizer erst recht nicht. Und wenn es da einmal ein Talent gibt, lässt man es kampflos ins Ausland ziehen (siehe Tim Fehlbaum von «September 5»).

Die Situation ist «schitter»

Die Festivals sind das eine. Der Schweizer Spielfilm hat aber auch an der Kinokasse ein schwaches Jahr hinter sich. Die Grossproduktion «Der Landesverräter» wollten gerade einmal 10 000 Zuschauer sehen. Auch das zweite aufwendige Historiendrama «Jakobs Ross» war mit 22 000 Zuschauern weit davon entfernt, die Kosten einzuspielen.

Die Probleme sind offensichtlich. Je länger der Branchennachmittag in Solothurn dauerte, desto deutlicher wurden sie immerhin artikuliert. Auf gut Schweizerisch ist die Situation «schitter». Dreifach: Die Leute gehen erstens nicht mehr allzu oft ins Kino. Erst recht nicht, wenn ein Schweizer Film läuft. Schweizer Spielfilme haben einen Marktanteil von nur 5 Prozent.

Zweitens wird das Geld knapp. Kulturförderung hat keine Priorität in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Im Gegenteil. Die Sparbemühungen sind erst am Anfang. Das Bundesamt für Kultur muss haushalten, der SRG droht die Halbierungsinitiative. Die fetten Jahre sind vorbei. Aber es gibt nicht nur weniger Geld und weniger Zuschauer. Sondern drittens, zu allem hin, auch mehr Filme.

Offenbar wollen die Jungen unvermindert zum Film. Oder die Alten können es nicht lassen. Jedenfalls berichtet das Bundesamt für Kultur von rekordvielen Fördergesuchen. In Solothurn haben die noch relativ neuen Co-Leiter der Sektion Film, Nadine Adler Spiegel und Laurent Steiert, nun gesagt, was sie von der Branche erwarten. Ein stärkerer Fokus auf die Auswertung ist ein Punkt. Wer einen Film machen will, sollte auch wissen, für wen er ihn machen möchte. Zielgerichteter produzieren: Das schadet sicher nicht.

Darüber hinaus hat man beschlossen, dass mehr Familienfilme gefördert werden sollen. Im Prinzip auch naheliegend: Leute, die mit Kindern ins Kino gehen, kaufen zwei Tickets oder mehr.

Und schliesslich soll es bei der Entwicklungsförderung keine zweite Chance geben. Fällt man einmal mit einem Stoff durch, ist er Makulatur. Das klingt hart, ist aber nötig, um die Flut von Einreichungen einzudämmen. Und es mag dafür sorgen, dass die Qualität der Dossiers besser wird.

Experiment: weniger Geld, dafür für alle

Die Vorschläge sind schlüssig. Aber sie können nur ein erster Schritt sein. Man sollte sich nichts vormachen, in den nächsten Jahren werden die Fördermittel zunehmend versiegen. Hunderttausende von Franken für einen Film aufzuwenden, der sich an einige hundert Menschen richtet, wird je länger, je schwerer zu rechtfertigen sein.

Volkswirtschaftlich geht die Rechnung auch kaum auf. Kino als Konjunkturpolitik ist keine Lösung. Und wenn Förderung vor allem noch ein Beschäftigungsprogramm ist, sind erst recht keine kreativen Impulse mehr von der Kunst zu erwarten.

Nach dem vierstündigen Präsentationsmarathon war alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Zum Schluss stand der Filmemacher Samir auf. Er rechnete vor, wie teuer Filmemachen geworden sei. Wegen der Nachhaltigkeit, der Richtlöhne und so weiter. Es brauche mehr Geld, forderte er bemerkenswert unbeirrt. Und fragte: «Woher nehmen?»

Besser wäre es, sich zu fragen, wie es mit weniger ginge. Die Anspruchshaltung von Samir ist sehr schweizerisch. Aber er liegt falsch. Filmemachen war nie günstiger. Die Technik ist erschwinglicher denn je. Statt sich nun auf vermeintliche Prestigeprojekte zu kaprizieren, könnte man sich entschieden breiter aufstellen. Die Förderung völlig vereinfachen: Es gibt weniger Geld? Gebt allen ein wenig. Das Giesskannenprinzip, aber radikal: Jeder bekommt ein paar Tropfen. Dann soll er schauen, wie er damit auskommt. Künstlerisch hineingeredet wird nicht mehr, die Kommissionen werden weggespart, Bürokratie abgebaut, das bisschen Geld gibt es praktisch ohne Auflagen.

Es wäre ein Experiment. Alles zusammenstreichen. Mehr Klopfenstein wagen.

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