Freitag, Oktober 18

Ein 31-jähriger Rumäne ist vom Bezirksgericht Zürich wegen qualifizierter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten und 15 Jahren Landesverweis verurteilt worden.

Die Website nennt sich «Chaturbate». Wie Wikipedia weiss, setzt sich der Name aus «chat» und «masturbate» für «masturbieren» zusammen. Es ist die grösste Website im Internet für «Camsex» und hat – laut Wikipedia – 4,1 Millionen Zuschauer im Monat.

Ein älterer Schweizer Firmeninhaber liess sich auf dieser Website durch eine damals 32-jährige Rumänin offenbar zu kompromittierenden sexuellen Handlungen verleiten, wie aus einer Anklage der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl hervorgeht. Im Rahmen des Videochats schickte er ihr entsprechende Fotos zu, offensichtlich freiwillig. Sie versuchte daraufhin, vom Chatpartner Geld erhältlich zu machen, zunächst erfolglos.

Dann schaltete sich der Ehemann der Rumänin ein. Der heute 31-jährige Familienvater, der gemäss eigenen Angaben in Rumänien ein Baugeschäft führt, erschien im November 2022 am Sitz der Firma des Chatpartners in Zürich und präsentierte dem Sohn des Geschädigten explizite Fotoaufnahmen, die der Vater an seine Ehefrau im Videochat übermittelt hatte. Der Rumäne stellte in Aussicht, das kompromittierende Bildmaterial zu veröffentlichen.

Schliesslich zeigte sich das Opfer bereit, 510 000 rumänische Lei zu bezahlen, was nach damaligem Wechselkurs 101 309 Franken entspricht. Das Geld wurde auf das Konto des Rumänen überwiesen. Dieser versprach im Gegenzug, das kompromittierende Bildmaterial zu löschen.

Zweiter Versuch ein Jahr später

Er hielt sich nicht daran. Ein Jahr später, im November 2023, meldete sich der Rumäne wieder beim Schweizer sowie bei dessen Rechtsvertreter. Er erklärte, die Chaturbate-Videochats befänden sich nach wie vor in seinem Besitz. Er drohte dem Schweizer, ihn und seine Familie zu zerstören und seine «Story» im Fernsehen und in Zeitungen zu veröffentlichen.

Der Rumäne kündigte an, in die Schweiz zu kommen, um die Angelegenheit «in einem persönlichen Gespräch» zu regeln. Dazu reiste er tatsächlich im Dezember 2023 mit einem Kollegen ein erstes Mal in die Schweiz ein, traf den Geschädigten aber nicht an.

Im März 2024 begab sich der Beschuldigte dann zusammen mit zwei Begleitern ein zweites Mal in die Schweiz. Diesmal war ein Termin in der Anwaltskanzlei des Rechtsvertreters des Geschädigten vereinbart worden. Dort wartete allerdings die Polizei auf ihn. Er wurde festgenommen und sitzt seit dem 25. März in Haft. In der Strafuntersuchung zeigte er sich geständig, so dass seine Verteidigerin mit der Staatsanwältin einen Deal abschloss und der Prozess in einem abgekürzten Verfahren durchgeführt wird.

Teil des Deals ist auch, dass er dem Opfer 110 000 Franken Schadenersatz und 10 000 Franken Genugtuung bezahlt. Er ist mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren wegen gewerbsmässiger oder fortgesetzter Erpressung und des Versuchs dazu sowie mit der Maximaldauer eines Landesverweises von 15 Jahren einverstanden. 207 Tage Haft hat er in der Schweiz bis zum Prozess abgesessen.

Erpressung auch in Österreich

Bei der Befragung vor Bezirksgericht Zürich gibt der Rumäne, der von Beruf Landschaftsingenieur ist, an, er habe in Rumänien mit seiner Firma einen ungefähren Jahresverdienst von 100 000 Franken erzielt. Er sei willens, den Schadenersatz und die Genugtuung zu bezahlen. Wenn man ihm Zeit lasse und er seine Firma wieder aufbauen könne, sei er auch in der Lage dazu, verspricht er.

«Warum haben Sie ihn erpresst?», fragt der Vorsitzende Richter. – «Für Geld», antwortet der Beschuldigte kurz und bündig. Er bereue aber enorm, was er getan habe. Er sei zuvor noch nie im Gefängnis gewesen. Er verspreche, er werde es nie wieder tun. Er vermisse seine Kinder im Alter von vier und sechs Jahren und wolle zurück in seine Heimat.

Ob eine grössere Organisation hinter diesem Delikt stehe, will der Gerichtsvorsitzende weiter wissen. Denn er sei ja sehr professionell vorgegangen. – «Auf gar keinen Fall», beteuert der Beschuldigte.

Österreich verlange jedoch seine Auslieferung, ebenfalls wegen schwerer Erpressung, ergänzt der Richter. Es handle sich offenbar um einen ähnlichen Fall; konkret die Erpressung eines älteren Herrn in Wien. – Nein, nein, es gehe in Wien um «etwas ganz anderes», versichert der Beschuldigte. Es gehe um Verträge zwischen verschiedenen Firmen. Weil er im Gefängnis gewesen sei, habe er das nicht regeln können.

Der Richter gibt seinem Erstaunen darüber Ausdruck, dass sich der Beschuldigte im März 2024 ein zweites Mal in die Schweiz getraut habe, und fragt ihn, ob das dreist, mutig oder dumm gewesen sei. – «Es war die grösste Dummheit», gibt der Beschuldigte zur Antwort.

Die Frage nach dem Verbleib des erpressten Geldes beantwortet der Rumäne nicht spezifisch. Er habe es ausgegeben. Wofür, wisse er auch nicht mehr, «verschiedene Sachen».

Das Bezirksgericht segnet den Urteilsvorschlag schliesslich ab und erhebt ihn zum Urteil. 24 Monate seien zwar etwas mild, «aber gerade noch vertretbar», dafür sei die Dauer des Landesverweises «an der Grenze». Der «Gesamtdeal» sei genehmigungsfähig, erklärt der Vorsitzende Richter.

Der Beschuldigte wird aus der Haft entlassen, und es wird nun seine Auslieferung nach Österreich geprüft. Das Gericht gibt sich optimistisch: Es gehe davon aus, dass der Beschuldigte in seiner Heimat versuchen werde, die Schadenersatzforderung zu regeln. Der Zürcher Gerichtskasse schuldet er nun auch noch rund 11 000 Franken Gerichts- und Verfahrenskosten.

Urteil DH240110 vom 17. 10. 2024, abgekürztes Verfahren.

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