Sonntag, September 29

Dank starken Marktpositionen werden die Aktien der drei Schweizer Halbleiterzulieferer VAT Group, Comet und Inficon mit einem Aufschlag gehandelt. Weil das Trio zunehmend Aktionärswert generiert, eignet es sich für langfristige Engagements – wenn man dabei enorme Kursschwankungen in Kauf nimmt.

Es mag etwas überspitzt formuliert sein. Doch ohne die Komponenten von Schweizer Unternehmen ist der globale Halbleitermarkt undenkbar. Die Produkte von VAT Group, Comet und Inficon spielen wertmässig zwar bloss eine Nebenrolle. Bei Produktionsanlagen für die Herstellung von Halbleiterchips entfällt nur ein Bruchteil der Investitionen auf ihre Teile. Weil es sich aber um prozesskritische Elemente handelt, sind die drei Schweizer Gesellschaften für die globale Branche unverzichtbar: «Ohne sie geht gar nichts», sagt Vontobel-Analyst Michael Foeth.

Das Fundament der heutigen Wirtschaft sind Halbleiterchips, die Bausteine der digitalen Revolution, wie The Market im Startbeitrag zur Halbleiter-Serie darlegte. Ihre Herstellung ist anforderungsreich und sehr teuer. Eine neue Chipfabrik kostet mehrere Milliarden Dollar. Doch neue Maschinen werden erst dann installiert, wenn auf Jahre ausreichend Nachfrage besteht. Dieses Verhalten führt zu einem Schweinezyklus, Phasen von Überangebot und Mangel lösen sich regelmässig ab.

Am Gängelband der Kunden

Das ist der Grund, weshalb die Ergebnisse der in diesem Bereich tätigen Unternehmen extrem schwanken; bei den Zulieferern oft noch mehr, weil sie dem Kaufverhalten ihrer Kunden, der Anlagenbauer, vollumfänglich ausgesetzt sind. Freud und Leid teilen sie potenziert mit ihren Auftraggebern.

Derzeit beginnt ein neuer Aufwärtszyklus. Gemäss Branchenschätzungen werden in den kommenden zwei Jahren mehr als hundert neue Chipfabriken den Betrieb aufnehmen. Dafür braucht es neue Produktionsanlagen. Und weil die Herstellung neuer Generationen immer komplexer und teurer ist, können die Anlagenbauer und ihre Zulieferer mit lukrativen Aufträgen rechnen. «Halbleitermaschinen werden tendenziell teurer», erklärt Stifel-Analyst Jürgen Wagner. Vor allem für hochwertige Speicherchips brauche es vermehrt Plasma- und Vakuumlösungen, zwei Gebiete, in denen die Komponenten der Schweizer Unternehmen Weltklasse sind.

Auf die Unternehmen kommen gute Zeiten zu. Mit Blick auf den Beginn eines neuen Aufwärtstrends haben die Aktien der betroffenen Gesellschaften bereits seit zwei Jahren mit Kursavancen reagiert. Die Haussen entpuppten sich jedoch mehrfach als Fehlstarts. Die Folge davon: Jedes Mal wurden die nach oben strebenden Aktienkurse auf den Boden der Realität zurückgeworfen.

Wiederholte Fehlstarts in den Aufwärtstrend

2023 bremste ein Fachkräftemangel den geplanten Kapazitätsausbau, danach waren es die zinsbedingt höheren Baukosten sowie Budgetkürzungen wichtiger Akteure, die die Nachfrage dämpften und den Aufschwung verzögerten. Jüngst hat der angeschlagene Halbleitergigant Intel das Investitionsbudget deutlich gekappt. Trotz ihrer derzeit schwachen Verfassung gehört Intel zu den drei Konzernen mit den höchsten Investitionsausgaben.

Die Kursentwicklung der Aktien in diesem Sektor ist zudem so erratisch, weil die Chipfabriken erst im letzten Moment mit neuen Produktionsanlagen – die gut und gerne je über 150 Mio. $ kosten können – ausgerüstet werden. «Deshalb müssen die Zulieferer stets lieferbereit sein», erklärt Vontobel-Analyst Foeth. Das macht die Prognostizierbarkeit schwierig: «Die Visibilität der Unternehmen beträgt meistens nur drei bis sechs Monate», sagt Nejc Lavric, Analyst von Octavian.

Der wichtigste Richtwert für die Zulieferer sind die geplanten Investitionen ihrer Kunden in neue Maschinen zur Halbleiterfertigung (WFE, Wafer Fab Equipment). Gemäss Schätzungen von Marktexperten wird für 2025 ein Zuwachs von rund 17% erwartet, schon dieses Jahr soll mit einer Zunahme von 3,4% auf 109 Mrd. $ ein Höchstwert erreicht werden. Die Ausgaben für neue Produktionskapazitäten sollen nächstes Jahr um knapp 15% auf 112,8 Mrd. $ klettern (vgl. Grafik).

Dass nach einer zweijährigen Flaute Investitionsfreude zurückgekehrt ist, zeigen die seit Herbst 2023 steigenden Preise für Speicherchips. Doch lineare Erholungen sind in dieser Branche selten. So erwiesen sich die hohen Erwartungen an den Aufschwung Anfang dieses Jahres als verfrüht. «Die Investitionsbereitschaft ist zögerlicher geworden, nur im Segment der künstlichen Intelligenz wird investiert», konstatiert Stifel-Analyst Wagner.

Die Resultate der Schweizer Zulieferer für die erste Jahreshälfte sind denn auch weniger gut ausgefallen, als man sich das Anfang Jahr noch ausgemalt hatte. Weil aber Erwartungen und Prognosen seither nach unten angepasst wurden, fielen die im Sommer publizierten Semesterergebnisse schliesslich im Rahmen der (reduzierten) Erwartungen aus.

Beschränkte Anlagemöglichkeiten halten Bewertungen hoch

So flatterhaft die Stimmung im Halbleitergeschäft ist, eine Konstante gibt es: Im längerfristigen Vergleich glänzen die Aktien der Schweizer Zulieferer mit ausserordentlich hohen Bewertungen. Generell folgen sie zwar den Zyklen der globalen Halbleiterbranche, doch ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist überdurchschnittlich hoch und schwankt noch ausgeprägter.

In den vergangenen zehn Jahren lag das KGV des Trios (auf Basis des jeweils für die nächsten zwölf Monate prognostizierten Gewinns) stets über dem Branchendurchschnitt. Octavian-Analyst Lavric erklärt sich das mit den beschränkten Möglichkeiten in einem beliebten Anlagegebiet. «Innerhalb der Schweiz gibt es wenige Halbleiterzulieferer, in die man investieren kann», sagt er. Hinzu komme die allgemeine Bewertungsprämie, die Schweizer Aktien geniessen. «Alle drei Unternehmen haben ein erfahrenes Management, und es gibt jeweils nur wenige negative Überraschungen.» Dafür ist der Markt gewillt, einen stolzen Preis zu bezahlen.

Michael Foeth von Vontobel pflichtet dieser Einschätzung bei: «Die Qualität der drei Unternehmen ist gegeben, sie sind gut geführt, haben solide Bilanzen, starke Marktpositionen und erwirtschaften hohe Kapitalrenditen.» In der Tat können sich die Kapitalrenditen des Trios sehen lassen. Lediglich im Zyklustief verdienen VAT und Comet ihre Kapitalkosten nicht immer.

So homogen die hohen Bewertungen und die Rentabilität von VAT Group, Comet und Inficon sind, so unterschiedlich ist der Gegenwert, den ein Investor mit seinem Engagement in eines dieser drei Unternehmen erhält. Der gemeinsame Nenner ist die Kernkompetenz in der Vakuumtechnik. Produktmässig und strategisch unterscheiden sie sich hingegen stark.

VAT Group spürt die Zyklen am schnellsten und stärksten

Im Schweizer Markt ist VAT Group der Branchenprimus. Gemessen an der Börsenkapitalisierung, dem Umsatz, der Rentabilität, der Anzahl Mitarbeiter und der dominanten Marktposition bei den Hochleistungs-Vakuumventilen ist das Unternehmen aus dem St. Galler Rheintal zwei- bis viermal so mächtig wie Comet oder Inficon.

Die Schieber, Klappen und Drehteller zur Abgrenzung und Isolation sowie zur Steuerung der unter Vakuum stehenden Prozesskammern, in denen die Halbleiterchips gefertigt werden, müssen absolut präzise und zuverlässig funktionieren. Die Chips sind mittlerweile so klein, dass ein einzelnes Atom einen ganzen Siliziumwafer verunreinigen und wertlos machen kann.

Von den dreien ist VAT Group am längsten und am ausgeprägtesten auf den Halbleiterbereich ausgerichtet. Rund 75% der Einnahmen stammen aus dieser Branche. Bei den Vakuumventilen hält VAT einen globalen Marktanteil von 80%. «Das Unternehmen gibt für Forschung und Entwicklung so viel aus, wie der nächstkleinere Konkurrent Umsatz schreibt», quantifiziert Sitfel-Analyst Wagner die dominierende Marktposition von VAT.

Einen solch hohen Marktanteil in einem systemkritischen Bereich goutieren Abnehmer in der Regel nicht. Sie versuchen, mindestens einen zweiten Lieferanten zu haben. Um dieses Argument zu entkräften, offeriert VAT Group ihren Kunden eine geografische Diversifizierung, indem sie in Malaysia ein zweites grosses Werk aufbaut.

Der Ort ist geschickt gewählt, denn mittlerweile haben sich auch die Anlagenbauer vermehrt in diesem asiatischen Land niedergelassen und schätzen es, wenn sich ihre Lieferanten in der Nähe befinden. Bisher hat VAT Group in Malaysia vorwiegend Montagearbeiten gemacht.

Seit 2020 hat die Gesellschaft bereits mehr als 130 Mio. Fr. für Produktionskapazitäten ausgegeben. Und weil auch am Hauptsitz in Haag (SG) die Kapazitäten bis 2027 verdoppelt werden und Anfang 2025 das neue Innovationszentrum eröffnet wird, steckt sie in einer besonders regen Investitionsphase. Bis 2027 sollen jährlich 4 bis 5% des Umsatzes in Anlageinvestitionen fliessen, weitere 5 bis 6% der Einnahmen sind für Forschung und Entwicklung budgetiert.

Das zeigt, dass VAT Group ungeachtet des Branchenzyklus investiert, um genügend Kapazitäten zu haben und lieferfähig zu sein, wenn die Nachfrage einsetzt. Kurzfristig geht das zulasten der Marge, wie das Ergebnis des ersten Semesters zeigte.

Das kann sich die Gesellschaft jedoch leisten. Selbst im Branchentief bleibt die Rentabilität hoch. «Das Unternehmen hat in der jüngsten Flaute nur ungefähr 4 Prozentpunkte Marge eingebüsst; statt 35% waren es dann noch knapp 31%», sagt Octavian-Analyst Lavric. Mittelfristig peilt VAT Group eine Ebitda-Marge von 32 bis 37% an. Laut Vontobel-Analyst Foeth lag das Margentief in den letzten drei Krisen immer höher.

Dieses Kunststück ist nur möglich, weil das Unternehmen mit den Zyklen der Branche seit Jahren vertraut ist und in der Lage ist, darauf flexibel zu reagieren. Rund ein Viertel der Belegschaft sind Temporärkräfte, deren Zahl je nach Nachfrage auf- und abgebaut wird. Auch der Einkauf ist sehr flexibel, viele Fertigungsschritte werden an Externe ausgelagert. Seit Jahren fokussiert sich VAT auf Effizienz, Marge und Vertrieb, die hohen Volumen bringen Grössenvorteile.

Weil ihre Produkte früh im Bauprozess neuer Produktionsanlagen eingesetzt werden, spürt VAT Group den Zyklus am schnellsten. Mit einem breiteren Angebot will sie künftig eine noch wichtigere Rolle für ihre Kunden spielen. Rund um die Prozesskammer will sie benachbarte Produkte und Lösungen anbieten, um so bis 2027 den Share of Wallet (Umsatzanteil am gesamten Einkaufsvolumen des Kunden) auf 2 bis 4% zu verdoppeln. 2032 sollen dann sogar 4 bis 5% drinliegen. Das Bestreben der Anlagenbauer, ihr Zulieferernetz zu konsolidieren und noch mehr an sie auszulagern, spielt VAT Group in die Hände.

Im Nachzügler Comet steckt Potenzial

In dieser Hinsicht noch nicht so weit ist die Flamatter Comet. Sie hat erst vor einigen Jahren verstärkt auf das Halbleitergeschäft gesetzt. Rund die Hälfte der Einnahmen entfällt mittlerweile darauf. Auch das Produktportfolio von Comet sei noch nicht so weit wie das von VAT Group, sagt Vontobel-Analyst Foeth. Mit der Röntgentechnologie des Unternehmens können fertige Halbleiterchips zerstörungsfrei getestet werden. Auch in vielen anderen Anwendungen kommt sie zum Einsatz (Auto, Flugverkehr).

Initialzündung der Halbleiterstrategie war die von Heinz Kundert, dem früheren VAT-Konzernchef, 2019 gewonnene Kampfwahl zum Verwaltungsratspräsidenten von Comet. Das war aber mit regen Wechseln an der Konzernspitze verbunden. Mit Stephan Haferl bekleidet seit Herbst 2022 nun ein langjähriger Firmeninsider das Amt des CEO.

Noch hat das Unternehmen nicht die gewünschte Form gefunden. Das macht ein Engagement risikobehafteter, aber eröffnet auch grössere Gewinnchancen. «Im nächsten Aufschwung wird Comet vermutlich stärker als VAT wachsen», sagt Stifel-Analyst Wagner. Mit dem Einstieg in das Geschäft mit Hochleistungsgeneratoren, den grössten Teilmarkt, will die Gesellschaft 5 bis 10% des 1,5 Mrd. $ umfassenden Marktes erobern. «Die vielen Designwins zeigen mir, dass das Produkt wettbewerbsfähig ist», ergänzt Wagner.

Das Unternehmen war bisher stark von einem Hauptkunden (Lam Research) abhängig. Mit der Sortimentsverbreiterung sollte sich dies ändern. Zeit bleibt ihm offenbar. Den Zenit des neuen Halbleiterzyklus sieht das Comet-Management erst 2027.

Inficons Diversifikation wirkt stabilisierend

Die in Bad Ragaz (SG) domizilierte Inficon hat die Flaute im Halbleitermarkt dank Tätigkeiten in verschiedenen Branchen sowie einer starken Position im Segment Logikchips weniger heftig getroffen. Entsprechend weniger steigt jeweils der Aktienkurs, wenn die Halbleiterbranche und besonders die Speicherchips boomen.

Das Unternehmen spezialisiert sich auf drei Schlüsseltechnologien, Gasanalyse, Lecksuche und Vakuummessgeräte. Strategisch habe der Halbleiterbereich an Bedeutung gewonnen, sagt Octavian-Analyst Lavric. Vor zehn Jahren machte er noch ein Drittel der Einnahmen aus, nun sind es 50% oder mehr. Das machte sich in Form einer steigenden Bewertung bezahlt.

Inficons Komponenten kommen in einer Vielzahl von Gebieten zur Anwendung, in der Klimatechnik, dem Automobilbau, bei Solarzellen, für Leckdetektoren und in der Fertigung von Flachbildschirmen. Bei den Messgeräten im Vakuumbereich ist das Unternehmen Marktführer.

Auch was die Kunden betrifft, ist es breit aufgestellt. Sowohl bei den Anlagenbauern als auch bei den Halbleiterherstellern sei Inficon mit Produkten drin, erklärt Vontobel-Analyst Foeth.

Fazit: Die Aktien aller drei Unternehmen sind wegen ihrer robusten Marktpositionen qualitativ hochwertig. Die Börse belohnt das mit einem Bewertungsaufschlag. Mit VAT Group lassen sich die Halbleiterzyklen am besten spielen, bei Inficon lässt sich beschränkt daran partizipieren, dafür erhält man ein gewisses Sicherheitspolster. Comet birgt grössere Risiken, hat aber auch entsprechend viel Potenzial.

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