Montag, Oktober 7

Während Länder wie Grossbritannien Süssgetränke besteuern, setzt die Schweiz auf Eigenverantwortung. Doch bei Kindern ist das problematisch.

Er schmeckt verführerisch klebrig-süss, verstärkt den Geschmack des Essens, liefert rasch Energie. Wir lieben Zucker, und wir hassen uns dafür. Denn zu viel davon kann krank machen. Ein übermässiger Konsum erhöht das Risiko für Karies, Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Besonders viel Zucker ist in Süssgetränken enthalten. Grossbritannien hat deshalb 2018 eine Zuckersteuer auf Getränke erhoben, ein Schritt gegen Fettleibigkeit bei Kindern. Je mehr Zucker ein Getränk enthält, desto höher die Abgabe der Unternehmen an den britischen Staat.

Nun zeigt eine neue Studie: Seit Ankündigung der Zuckersteuer hat sich bei britischen Kindern der Zuckerkonsum durch Süssgetränke halbiert.

In der Schweiz sei man von einer solchen Entwicklung weit entfernt, sagt Corinne Légeret, Ärztin am Universitäts-Kinderspital beider Basel: «Wir sehen leider keine Abnahme beim Konsum von Süssgetränken bei Kindern und Jugendlichen.»

Die Schweiz setzt auf Freiwilligkeit

Légeret erzählt von übergewichtigen Kindern, von Kleinkindern, die bereits Anzeichen einer nichtalkoholischen Fettleber haben, an Diabetes Typ 2 leiden. Die Kinder erhalten im Kinderspital Hilfe. In vielen Fällen wären die Krankheiten und das Übergewicht vermeidbar gewesen, sagt Légeret, sie seien Folge einer schlechten Ernährung mit wenig Gemüse, viel Fett und vor allem: viel Zucker. Es ist die bittere Seite der süssen Versuchung.

In der Schweiz hat die Studie «menuCH» erstmals repräsentative Daten zum Ernährungsverhalten der Schweizer Bevölkerung geliefert. Schweizerinnen und Schweizer verspeisen pro Tag 100 Gramm Zucker, doppelt so viel, wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Aus den Daten wird nicht ersichtlich, wie viel Zucker Kinder hierzulande zu sich nehmen. Weltweit deuten Studien aber darauf hin, dass Kinder und Jugendliche noch mehr Zucker konsumieren als Erwachsene.

Laut «menuCH» nehmen wir fast 40 Prozent des zugesetzten Zuckers durch Süssgetränke zu uns. Ein Glas Rivella, Cola oder Sinalco lässt den Blutzuckerspiegel in die Höhe schellen. Mit wenigen Schlucken gelangen 30 Gramm Zucker in den Kreislauf. Oder anders formuliert: In einem grossen Glas sind zehn Stück Würfelzucker versteckt.

Die Weltgesundheitsorganisation hat Staaten empfohlen, eine Zuckersteuer auf Süssgetränke zu erlassen. Diese soll die Unternehmen dazu bewegen, den Zuckergehalt zu reduzieren, und Konsumenten zum Kauf von gesünderen Alternativen motivieren. 108 Länder haben eine Zuckersteuer eingeführt. Die WHO bemängelt jedoch, dass diese in vielen Ländern zu niedrig sei.

Die Zuckersteuer ist umstritten. Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse schreibt in einer Studie, dass die staatliche Regulierung ungesunder Lebensmittel wenig wirksam sei und zu einem «Bürokratiemonster» führe. Konsumentinnen und Konsumenten würden auf Ersatzprodukte ausweichen, die ebenso ungesund seien, aber nicht besteuert würden.

In Grossbritannien war die Einführung der Zuckersteuer nur einer von vielen Gründen, weshalb der Zuckerkonsum durch Süssgetränke gesunken ist. Gesundheitskampagnen informierten die Bevölkerung über den hohen Zuckergehalt in Süssgetränken, Schulen griffen die Thematik auf. Diese Massnahmen scheinen zu einem Umdenken in der Bevölkerung geführt zu haben.

Die Schweiz hat sich bislang gegen eine Zuckersteuer ausgesprochen, der Nationalrat und der Ständerat haben eine entsprechende Standesinitiative abgelehnt. Die Hersteller können den Getränken so viel Zucker zusetzen, wie sie wollen. Die Schweiz setzt auf Freiwilligkeit – und auf die Eigenverantwortung der Konsumenten.

«Kindern fehlt das Körperbewusstsein»

Doch Eigenverantwortung ist bei Kindern schwierig. Die Kinderärztin Légeret sagt: «Mädchen unter 8 Jahren und Jungen unter 10 Jahren fehlt ein gesundes Körperbewusstsein. Die Kinder leben im Moment und orientieren sich am kurzfristigen Genuss. Was ihnen langfristig guttut, ist ihnen egal.» Légeret appelliert deshalb an die Verantwortung der Eltern.

Der Konsum von Süssgetränken ist auch eine sozioökonomische Frage. Familien aus unteren sozialen Schichten griffen eher zu den klassischen Süssgetränken, sagt Légeret, zu Cola, Eistee, Sinalco. Légeret sagt: «Es ist wahnsinnig, wie viel Zucker man in Discountern für 80 Rappen erhält.»

Légeret berichtet von alleinerziehenden Müttern und Vätern, die im Alltag wenig Zeit für ihre Kinder hätten und denen es schwerfalle, Grenzen zu setzen. Sie sagt: «Viele dieser Eltern geben nach, wenn ihr Kind beim Einkaufen nach Süssgetränken schreit.» In der Ernährungsberatung des Kinderspitals vermittelt Légeret ihnen, dass das Ablehnen von Wünschen nichts mit fehlender Liebe zu tun hat, sondern bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.

Kinder aus wohlhabenden Familien trinken laut Légeret eher Wellness-Getränke, die aber nur vermeintlich gesund sind. Zum Beispiel Wasser, das mit Vitaminen angereichert und mit Fruktose gesüsst ist. Fruktose schmeckt doppelt so süss wie Kristallzucker und wird in der Leber abgebaut. Légeret sagt: «Fruktose begünstigt eine Verfettung der Leber stärker als Kristallzucker.»

Und was ist mit der Air-up-Trinkflasche, die pures Wasser zu Eistee, Cola oder Himbeerlimonade verwandelt? Bei dieser werden Duftringe auf den Trinkhalm gesteckt, sie enthalten Aromen, die beim Trinken freigesetzt werden und nur über die Nase wahrgenommen werden. Man riecht also das Aroma, schmeckt es aber nicht. Légeret sagt: «Diese Getränke sind zuckerfrei, das ist positiv. Aber die Kinder verlernen dadurch, wie Wasser eigentlich schmeckt: geschmacklos.»

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