Nasa-Sensoren, Maschinen für Wattestäbchen, hochpräzise Werkzeuge: Vier Schweizer Industriebetriebe schildern, wie sich Trumps Politik auf ihr Geschäft auswirkt – und weshalb US-Firmen kaum von hohen Zöllen profitieren dürften.
Tag für Tag der bange Blick auf das Smartphone: Was hat er nun wieder getan? US-Präsident Donald Trump versetzt mit seinen Ankündigungen und Posts nicht nur Finanzmärkte und globale Grosskonzerne in ständige Unruhe, sondern auch die Chefs Tausender Industriebetriebe, die selten im Rampenlicht stehen.
Die Kistler Group etwa, ein Winterthurer Unternehmen, das sich auf hochpräzise Sensoren und Messinstrumente spezialisiert hat, beobachtet die Lage genau. «Wir haben einen Konzernleitungs-Chat, in dem wir die jüngsten Entwicklungen laufend verfolgen und besprechen. Zudem haben wir bereits seit Januar eine Task-Force, die sich mit den Zöllen beschäftigt», sagt der CEO Marc Schaad.
Die Produkte aus Winterthur werden unter anderem in der Automobilindustrie, der Medizintechnik sowie der Luft- und Raumfahrt eingesetzt. Sogar die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa gehört zu den Kunden. Diese bezieht Kistler-Sensoren, um zu testen, ob Satelliten und Triebwerke robust genug sind, um einem Raketenstart standhalten zu können. Auch für Tests am James-Webb-Weltraumteleskop, mit dem die Entstehung unseres Universums erforscht wird, wurde Kistler-Technologie eingesetzt.
Insgesamt erzielt die Kistler-Gruppe 15 Prozent ihres Umsatzes in den USA. Nachdem Trump Zölle von 31 Prozent auf Schweizer Produkte ankündigt hatte, verhängte Kistler ein Moratorium für Aufträge aus den USA. «Wir mussten erst einmal durchrechnen, wie unsere Preise anzupassen sind, um keine langfristigen Verpflichtungen mit unkalkulierbaren Zollkosten einzugehen», so Schaad.
Die Jahrespläne wurden überarbeitet, in den Rechnungen sollten die Zollkosten gegenüber den Kunden ausgewiesen werden. Eine Woche nach dem sogenannten «Liberation Day» hatte das Unternehmen die wichtigsten Änderungen beisammen – nur um zu erfahren, dass Trump die Zölle für 90 Tage aussetzt.
20-Mann-Betrieb: «Wir haben eine sehr gute Stellung»
Der Rückzieher des US-Präsidenten gibt etwas Luft. Nicht nur den Exportfirmen in der Schweiz, sondern vor allem auch den Kunden in den USA. Gespräche mit Kistler und drei weiteren Schweizer Industriebetrieben zeigen, dass die Zölle grösstenteils auf die Amerikanerinnen und Amerikaner abgewälzt worden wären.
Die Schweizer Exporteure zeigen sich selbstbewusst, was ihre Preismacht betrifft. Kistler geht davon aus, mindestens 80 Prozent der Zoll-Mehrkosten an die Kunden weitergeben zu können.
Auch die Falu AG aus Rüti (ZH) ist vorsichtig optimistisch: «Wir haben in den USA einen einzigen Grosskunden, und der ist zumindest kurz- und mittelfristig stark von uns abhängig», sagt der CEO Guy Petignat. Der Betrieb mit 20 Mitarbeitern beliefert die Firma U.S. Cotton mit Maschinen und Ersatzteilen für die Produktion von Wattestäbchen. Die Maschinen von Falu produzieren 50 Wattestäbchen – pro Sekunde.
Die rund 150 Milliarden Wattestäbchen, die pro Jahr in den USA verkauft werden, stammen laut Petignat zu grossen Teilen von seinem Kunden mit Sitz in North Carolina. «Die Maschinen und Ersatzteile, die U.S. Cotton für die Produktion ihrer Wattestäbchen braucht, kann innerhalb der Staaten aber kaum jemand liefern. Da haben wir eine sehr gute Stellung.»
Die Produktion und der Unterhalt solcher Maschinen sei eine absolute Nische, in der weltweit nur ganz wenige Firmen tätig seien, so der CEO der Falu AG: «Auf dem amerikanischen Markt haben wir eigentlich nur einen einzigen italienischen Konkurrenten als ernstzunehmenden Wettbewerber.»
Trotz dieser starken Marktposition will Falu die Partnerschaft mit U.S. Cotton nicht gefährden, indem man die Marktmacht ausnutzt. Stattdessen soll mit dem Kunden eine Lösung gefunden werden, mit der beide Seiten leben können.
Benachteiligung gegenüber EU und Japan würde schmerzen
Die Fraisa Holding AG, ein Hersteller von Fräsern, Bohrern und Gewindebohrern für die industrielle Metallbearbeitung, will die Zölle ebenfalls an die 300 bis 400 amerikanischen Endkunden weitergeben. «Wir gehen davon aus, dass 80 Prozent unserer US-Kunden Preiserhöhungen akzeptieren würden, weil unsere Produkte für viele ihrer Anwendungen relevant sind», sagt der CEO Thomas Nägelin.
Das Unternehmen mit Hauptsitz in Bellach (SO) erzielt in den USA 8 Prozent seines Umsatzes. Ein Wegfall von 20 Prozent im amerikanischen Markt würde einen Umsatzrückgang von 2 bis 3 Prozent bedeuten. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen bereits Rückstellungen gebildet. Nägelin: «Die Berechnung und die Höhe von Trumps Zolldrohungen gegen die Schweiz hat uns überrascht. Dass etwas kommt, hatten wir aber erwartet.»
Was sich in den Gesprächen mit den Exporteuren immer wieder zeigt: Die angedrohten Zölle von 31 Prozent an sich halten die meisten für verkraftbar. Stärker beschäftigt die Unternehmen die Tatsache, dass Konkurrenten in Japan (24 Prozent), Deutschland und dem Rest der EU (20 Prozent) bessergestellt sein könnten als die Schweiz – und das zusätzlich zum billigen Euro.
Einige Unternehmen wie die Fraisa Holding AG, die neben der Schweiz auch einen Produktionsstandort in Ungarn hat, könnten versuchen, den EU-Standort vorübergehend etwas stärker auszulasten. Das geht aber längst nicht in jedem Fall, wie das Beispiel von Kistler zeigt: Bei der Gruppe, die neben Winterthur auch in Deutschland eine grosse Produktion hat, verfügt jeder Standort über eigene Kernkompetenzen. Eine Verlagerung von Kapazitäten würde Jahre dauern.
Die Rego-Fix AG wiederum muss sich nicht einmal mit solchen Gedanken befassen. Das Unternehmen, das hochpräzise Werkzeughalter, Spannzangen und Spannmuttern exportiert, produziert ausschliesslich mit den 280 Mitarbeitenden im Werk Tenniken im Kanton Baselland.
Im Ausland beschäftigt das Unternehmen ebenfalls 80 Mitarbeitende, diese arbeiten aber ausschliesslich im Vertrieb. «Eine Ungleichbehandlung gegenüber Deutschland und Japan, wo unsere Mitbewerber sitzen, wäre für uns deshalb sehr schmerzhaft», sagt Pascal Forrer, der in einigen Monaten die Geschäftsleitung übernimmt.
Das Schlimmste sind nicht die Zölle, sondern die Unsicherheit
Rego-Fix ist seit 1988 mit einer Niederlassung in den USA vertreten und beschäftigt dort über 30 Mitarbeitende. Die Produkte werden vor allem in Schlüsselindustrien wie der Luftfahrt, der Medizinaltechnik und der Dentaltechnik eingesetzt. «In diesen Bereichen ist die US-Industrie nach wie vor stark, allerdings sind die Firmen massgeblich von europäischen oder japanischen Zulieferern abhängig», so Forrer.
Laut der Unternehmensleitung wäre die bestehende amerikanische Vertriebsgesellschaft ein Vorteil, falls die Zölle von 31 Prozent in drei Monaten doch noch kommen sollten. Dadurch könne man die Verkaufspreise in Dollar selbständig festlegen – sprich, in welcher Höhe die Zölle an die Kunden weitergegeben werden. Des Weiteren hat Rego-Fix bereits Monate vor Trumps Zollankündigungen die Lagerkapazitäten in den USA erhöht. Das schützt ein paar Monate vor Zöllen, aber nicht auf ewig.
Falls einzig die Zölle von 10 Prozent bestehen bleiben sollten, die Trump für sämtliche Importe beibehalten will, könnten die meisten Schweizer Exporteure wohl ruhig schlafen. Und wenn der Zollstreit der USA mit China weiter eskaliert, könnten Industriebetriebe aus der EU und der Schweiz sogar plötzlich einen Wettbewerbsvorteil haben gegenüber den wenigen Produzenten aus den USA: Diese müssten auf Rohstoffe und Vorprodukte aus Fernost nämlich plötzlich viel mehr bezahlen.
Ein Grund zum Feiern wäre das aber nicht, darin sind sich die Firmenchefs einig. Für sie ist das Schlimmste an der derzeitigen Situation die weltweite Unsicherheit, in der kaum ein Unternehmen grosse und langfristige Investitionen tätigen will – ganz egal, ob es um den Kauf von Wattestäbchen-Maschinen, teurer Sensoren oder sonstiger Präzisionsinstrumente geht.
Was für die Firmen unter den gegebenen Umständen schon gar nicht infrage kommt, ist eine Produktionsstätte in den USA. Präsident Trump ruft mit seiner unberechenbaren Art zahlreiche Prozesse in Bewegung. Die Reindustrialisierung der USA gehört aber wohl nicht dazu. Vielmehr dürfte sein Treiben dazu führen, dass Unternehmen versuchen werden, die Abhängigkeit von der grössten Volkswirtschaft der Welt zu verkleinern.