35 Jahre lang hat die Politik auf Kosten der Armee gespart. Das solle sich per sofort ändern, verlangt die Offiziersgesellschaft der Panzertruppen. Sie will massiv mehr Geld, Soldaten und Panzer. Sicherheitspolitiker halten die Forderung für unrealistisch.
2023 präsentierte die Armeespitze ein neues Zielbild. Sie wollte damit aufzeigen, wie das Schweizer Militär nach Jahrzehnten des Abrüstens wieder verteidigungsfähig werden soll. Einen Zeithorizont nannten die Autoren nicht. Es sei Sache der Politik, das Tempo der Wiederausrüstung zu bestimmen, so die Argumentation. Benannt wurden aber die Kosten: Für die komplette Umsetzung brauche es total 50 Milliarden Franken, so die Armeeführung. Das Zielbild erhielt in Politik und Medien rasch die Übernamen «Einkaufszettel» oder «Armeewunschliste».
Die Offiziersgesellschaft der Panzertruppen (OG Panzer) geht nun noch einen Schritt weiter. In einem Positionspapier fordert sie 100 Milliarden Franken für die Wiederausrüstung – also rund das Doppelte des Plans der Armeespitze. Die Armee solle im Ernstfall nicht nur Tage, sondern Wochen und Monate durchhalten können, schreibt die OG Panzer.
In den letzten 35 Jahren wurden laut Berechnungen der Panzeroffiziere rund 144 Milliarden Franken beim Militär eingespart. Die Folge seien gravierende Ausrüstungs- und Fähigkeitslücken. Die Schweizer Armee könne ihre Souveränität «nicht mehr glaubwürdig verteidigen», mahnt die OG Panzer in ihrem Positionspapier, über welches SRF am Dienstag berichtete.
Die Zeit dränge, sagt der Präsident der OG Panzer, Oberstleutnant im Generalstab Erich Muff, auf Anfrage. Die Offiziere machten sich grosse Sorgen. Schweizer und internationale Nachrichtendienste stellten fest, dass sich die geopolitische Lage in den Jahren 2027–2029 massiv verschärfen könnte. Der Krieg in der Ukraine könnte sich ausweiten. Auch die Schweiz müsse sich vorbereiten und in der Lage sein, sich «am Boden» zu verteidigen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis «der erste Schuss fällt und eine Spirale der Gewalt» sich zu drehen beginne.
Bereits vor zwei Wochen forderte dieselbe Offiziersgesellschaft doppelt so viele Kampf- und Schützenpanzer wie bisher. Jetzt legt sie nach. Auch die Logistik müsse kriegstauglich werden mit gepanzerten Fahrzeugen und «adäquater Bewaffnung». Ausserdem solle die Schweizer Rüstungsindustrie gestärkt und ausgebaut werden.
Die OG Panzer fordert auch einen massiven Ausbau des Personalbestands von heute 147 000 auf effektiv 250 000 Soldaten. Damit sollen etwa die Panzereinheiten deutlich vergrössert werden. Den Zivildienst wollen die Panzeroffiziere gleich ganz abschaffen.
Reto Nause, Mitte-Sicherheitspolitiker und Präsident der Allianz Sicherheit Schweiz, teilt die Sorgen der OG Panzer. Ihre Analyse sei zutreffend: Die Armee sei «weit weg von verteidigungsfähig», das sicherheitspolitische Umfeld deutlich gefährlicher geworden. Doch als Mitglied der Finanzkommission bleibt Nause nüchtern: «Ohne ausserordentliche Finanzierung ausserhalb der Schuldenbremse wird das nicht gehen.» 100 Milliarden, das sei fast so viel, wie der Bund in einem ganzen Jahr ausgebe.
Ähnlich äussert sich Andrea Gmür-Schönenberger, Präsidentin der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats. Sie begrüsst das deutliche Signal der Miliz-Offiziere: «Sie kennen die Ausrüstung aus dem Alltag – und wissen, dass sie zwingend und rasch erneuert werden muss.» Unverständlich sei für sie, dass beim Bundesrat der Ernst der Lage offenbar immer noch nicht angekommen sei: «Die Vorschläge für die Stärkung der Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit sind bislang immer vom Parlament gekommen, nie von der Regierung.»
Von einem «unangemessenen Rundumschlag» spricht ihr Pendant im Nationalrat, die Sozialdemokratin Priska Seiler Graf. Sicherheit sei mehr als nur Armee: Auch Polizei, Nachrichtendienst und Bundesanwaltschaft spielten zentrale Rollen. Nur in eine Richtung zu investieren, sei kurzsichtig. «Wir müssen Sicherheit ganzheitlich denken – mit realistischen Szenarien.» Dass russische Truppen bis an die Schweizer Grenze vordringen, hält sie für wenig wahrscheinlich.
FDP-Ständerat Josef Dittli warnt ebenso vor Übertreibung. Die Forderungen der OG Panzer seien «Extremforderungen» und wirkten überrissen. Es sei wichtig, «nicht konzeptionslos zu investieren», sagt Dittli. Zuerst müsse der Bundesrat einen eigenen Plan für die Armee vorlegen. Erst dann könne die Politik entscheiden, welche Fähigkeiten Priorität hätten und wie viel dies kosten würde.
Das Parlament möchte das Armeebudget unabhängig von den jetzigen Forderungen bis im Jahr 2032 fast verdoppeln, auf knapp zehn Milliarden Franken. Wie dieser Ausbau finanziert werden soll, ist unklar.