Von den Bergen bis zur Stadt: Zahnradbahnen verbinden Tourismus mit urbaner Mobilität in einzigartigem Design. Zwei Beispiele veranschaulichen, warum die Kletterzüge aktuell bleiben.
Die Türen schliessen sich, dann folgt ein sanftes Ruckeln, und die Fahrt beginnt. Die nächsten dreissig Minuten geht es gemächlich bergan, mit gerade einmal Tempo 15 – eine Entschleunigungsfahrt. Doch das stört hier niemanden, im Gegenteil. Denn mit jedem Höhenmeter wird die Strecke steiler, das Bergpanorama spektakulärer, fast zum Greifen nah dank den nahezu voll verglasten Wagen. Hinter jeder Kurve wartet eine neue Perspektive, 1653 Höhenmeter später ist Pilatus Kulm erreicht, die Endstation.
Angesichts von Hyperloop-Projekten, Magnetschwebebahnen und High-Speed-Zügen scheint die Pilatusbahn aus der Zeit gefallen zu sein. Doch keines dieser rasanten Verkehrsmittel wäre in der Lage, die Kulm zu erreichen – sie sind für die Ebene gemacht. Die mit 48 Prozent extrem steile Strecke von Alpnachstad zur Bergstation braucht das betagte Zahnrad. Eigentlich ein Anachronismus aus dem 19. Jahrhundert, als die touristische Erschliessung der Berge begann.
Dank dem Zahnrad war die Rigi ab 1871 bequem zu erreichen, 1889 folgte der Pilatus. Dort wird auch heute noch weitgehend auf den ursprünglichen Gleisen gefahren. Das gilt auch für die Zürcher Dolderbahn, die von Hottingen nach Adlisberg führt und fest in den urbanen Verkehrsverbund integriert ist. Ein Alltagsgefährt also, ganz anders als die Pilatusbahn.
Zahnradbahnen, ob sie nun Dolderbahn heissen oder Pilatusbahn, haben noch etwas gemeinsam. Ihre Rollmaterialien, wie Züge und Waggons im Fachjargon heissen, sind stets auf die jeweilige Strecke zugeschnittene Einzelstücke mit besonders langer Nutzung. Irgendwann aber ist das Ende der Lebenszeit erreicht, sei es aus wirtschaftlichen, aus technischen Gründen oder der auslaufenden Zulassung wegen.
Nach 51 Jahren erhält die Dolderbahn demnächst neue Wagen, bei der Pilatusbahn wurden von 2021 bis 2023 die 80 Jahre alten Züge sukzessive erneuert. Zahnradbahnen gelten nicht nur aus technologischer und ökonomischer Warte herausfordernd, auch das Design der Bahnen, also Exterieur wie Interieur, sind speziell.
Einladend, transparent, natürlich barrierefrei, robust und langlebig sollen die Bahnen sein. Und: Wird eine Bahn ausgemustert, sollte die Nachfolgerin visuelle Merkmale der alten aufgreifen, weil generationenübergreifende Wiedererkennung sinnvoll ist. Daher sind bei solchen Projekten in der Regel Designer involviert – zum Beispiel Industriedesign-Agenturen wie Milani Design aus Thalwil, wo verschiedene Bahnprojekte für die SBB entstanden. Oder das Designkonzept für die Dolderbahn.
«Es ist schon ein Unterschied, ob man einen IC oder die beiden Triebwagen der Dolderbahn neu gestaltet. Ein IC bietet aufgrund der hohen Stückzahlen mehr Spielraum für eine individuelle Gestaltung. Bei der Dolderbahn bestand die Herausforderung darin, mit raffinierten Designlösungen eine zur Bahn und zum Quartier passende Gestaltung zu entwickeln», sagt Therese Naef, CEO der Innovations- und Produktdesignagentur Milani. «Alle Zürcher kennen die Dolderbahn und die schöne Strecke, man nutzt sie als Pendler, Tourist oder in der Freizeit.»
Jede Gruppe habe eigene Anforderungen, die das Design zusammenführen müsse. Das betrifft vor allem das Innere der Bahn, während das Äussere zur Geschichte passen muss. «Bei unserer Arbeit haben wir stets die nächsten 50 Nutzungsjahre im Blick, es geht also nicht um modisch-hippe, sondern um langlebige Gestaltungslösungen», ergänzt Naef. Das gelte insbesondere für das Exterieur: Während das Interior meist nach 15 Jahren einem sogenannten Refurbishment, also einer Modernisierung, unterzogen werde, bleibe die äussere Erscheinung unverändert.
Zeitlos, aber modern, so nennt Naef diese Gratwanderung bei der Findung der angemessenen Formensprache. «Wir haben das traditionsreiche Erscheinungsbild der Bahn und die Umgebung, insbesondere den Dolderwald sowie die Haltestellen betrachtet und inspirativ einfliessen lassen.» Grosse Fenster sorgen für einen hellen, weiten Innenraum und öffnen den Blick in die Umgebung. Warme Materialien stehen für ein angenehmes Ambiente, der Wald findet sich als abstrahiertes, lichtspielendes Motiv auf den Glaswindfängen am Eingang wieder.
Die aussen wie innen goldgelb akzentuierten Türen ermöglichen den schnellen Wechsel der Fahrgäste und damit die enge Taktung der Fahrten. Das Goldgelb leitet sich aus dem herbstlichen Wald ab, das modifizierte Rot der Wagenkästen und die kleinen LED-Leuchten in den klar strukturierten Fronten setzen Analogien zu den alten Triebwagen.
Autonomes Fahren muss noch warten
Die Dolderbahn wird auch künftig mit Fahrern unterwegs sein – die autonome Option wurde zwar eingehend geprüft, aus technischen, betrieblichen und finanziellen Gründen entschied man sich aber dagegen. «Das Fahrpersonal bekommt nun wie gewünscht einen abgetrennten, privaten Arbeitsplatz mit Sichtkontakt zu den Fahrgästen», so beschreibt Naef diese Neuerung. Das erhöht die subjektive Sicherheit, mobil beeinträchtigten Menschen kann das Personal weiterhin assistieren.
Die Bahn ist vom Perron aus dank Spaltüberbrückung stufenlos zugänglich. Der durchgängig niveaugleiche Innenraum bietet unter anderem Platz für zwei Rollstühle oder Kinderwagen, die vergleichsweise wenigen Sitze bestehen aus leicht zu reinigenden Holzschalen, deren Profil ein Wegrutschen während der geneigten Fahrt verhindert. Auch der in einem prägnanten, schwarzblauen Ton gehaltene Fussboden ist mit einer rutschhemmenden Oberfläche versehen.
«Die barrierefreie Nutzung ist sehr wichtig. Darum waren die relevanten Verbände früh in den Beschaffungsprozess mit einbezogen», so Oliver Obergfell von den VBZ. «Als Designer denken wir immer von allen Nutzern her, schliesslich geht es um die optimale Verbindung von Funktionalität und Ästhetik», erläutert Therese Naef. Im Herbst wird die neue, fein gestaltete Bahn in Betrieb gehen und dann im Zehnminutentakt täglich bis zu 3000 Menschen transportieren.
Milani Design kam nicht seitens des Herstellers Stadler Rail ins Projekt, sondern durch die Dolderbahn-Betriebs-AG – gerade bei Bahnprojekten ist dies eher üblich als die Ausnahme. So geschah dies auch bei der Pilatusbahn.
Die neuen Triebwagen der Pilatusbahn, in Doppeltraktion – also mit zwei Triebwagen – unterwegs, hat Thomas Küchler aus Schliern bei Köniz gestaltet. Küchler gilt als Spezialist für Bergbahnen und hat unter anderem die Cabrio-Bahn für das Stanserhorn entworfen. Anders als die Dolderbahn ist die Pilatusbahn rein touristisch ausgerichtet und nur im Sommer unterwegs.
«Die Fahrt ist so wichtig wie das Ziel», sagt Küchler, «daher war unsere Grundidee, so viel Bergpanorama wie möglich zu zeigen.» Will heissen: Jeder Sitzplatz – und es gibt nur solche – bietet eine definierte Aussicht.
Die grossen Fensterflächen an den Seiten ergänzt das bis auf den Stromabnehmerbereich durchgehend verglaste Dach, «das ist die wohl grösste Neuerung im Design». Aufgrund der Streckenneigung teilt sich die Kabine in sechs gestufte Abteile, wobei das unterste barrierefrei ausgeführt und rollstuhltauglich ist.
Anders als bei der Dolderbahn sind die Führerstände nicht separiert, sondern Teil der Kabine und werden für die Fahrt ausgeklappt. Auf diese Weise erhöht sich die Kapazität auf 48 Personen. Die Formholzsitze sind gepolstert, der Boden besteht aus – wie vom Betreiber und vom Designer explizit gewünscht – echtem Parkett. «Aus Brandschutzgründen hat das mehrere Versuche gebraucht, aber wir haben die Zulassung bekommen.»
Möglichst markantes Erscheinungsbild
Überhaupt müsse die neue Bahn, obwohl nur auf eigenem Trassee unterwegs, den Vorgaben des aktuellen Eisenbahngesetzes entsprechen und zum Beispiel in jedem der offenen Abteile eine Gegensprechanlage aufweisen. Die viele Technik wollte möglichst komprimiert untergebracht werden, schliesslich war das Ziel, ein «edles, warm-helles und luftiges Reisegefühl» zu vermitteln, wozu voluminöse Schalt- oder Kabelkästen nicht passen.
Ganz gelang dies nicht, zumal auch Komponenten, die sonst im Chassis verbaut sind, wegen des dortigen Platzmangels in die Kabine wanderten. Auf eine Klimaanlage wurde zugunsten natürlicher Lüftung durch Schiebe- und Dachfenster verzichtet. Im Gegensatz zu den betagten Vorgängerfahrzeugen befinden sich Türen nun auf beiden Seiten der Wagen, der Passagierwechsel läuft schneller, der Halbstundentakt ist somit machbar.
Das Äussere der Triebwagen sollte möglichst markant ausfallen, also «instagrammable» sein. Das sollen transparente Fronten mit breiten LED-Signaturen übernehmen sowie der umlaufende, mit weichen Radien gestaltete Wagenrahmen in Pilatus-Rot. Er fasst die dunkel getönten Fenster, Türprofile und Dichtungen ein.
Bestellt wurde der Gestalter Küchler von den «sehr designaffinen» Betreibern, Lieferant der Triebwagen ist erneut Stadler Rail, der Wagenkasten wurde vom Seilbahnspezialisten Calag in Langenthal in Leichtbauweise gefertigt. «Jedes Gramm zählte, weil das alte Trassee ein strenges Gewichtslimit setzte», erklärt Küchler.
18 Tonnen wiegt nun ein Triebwagen, der Antrieb leistet 154 Kilowatt und bringt Bergbegeisterte nun in nur 19 Minuten hinauf zur Station Pilatus Kulm. Auf den 4,6 Kilometern werden satte 1635 Höhenmeter überwunden. Mit ihren 48 Prozent maximaler Steigung gilt sie als steilste Bahn der Welt und nutzt daher eine besonders bergtaugliche Locher-Zahnstange mit seitlichem Eingriff des bahnseitigen Zahnrades. 1889 erstmals befahren, ist die Zahnstange noch immer kaum verschlissen und nahezu im Originalzustand.
«Bei derlei Projekten sind die technischen Leitplanken sehr extrem», erläutert Küchler, «mit der notwendigen Expertise lässt sich stets etwas mehr herauskitzeln als ursprünglich gedacht.» Erfahrung, ein Gespür für die technische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit gehörten zur Designarbeit stets dazu, bestätigt Therese Naef. «Es geht immer auch darum, den Entwurf für alle Beteiligten optimal zu erstellen, dazu gehört auch die Produktion.»