Montag, Dezember 23

Die «Ulyssia» setzt neue Massstäbe in der Welt der Superjachten. Sie bietet Luxuswohnungen auf Weltreise. Der Schweizer Milliardär Frank Binder verwirklicht damit einen Traum, der weit über das hinausgeht, was bisher auf den Meeren unterwegs war.

Eine Luxusjacht in doppelter Grösse der opulenten «Eclipse» des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch? Man kann sich kaum vorstellen, dass ein solches Monstrum realisierbar wäre. Ist es aber, denn der Schweizer Frank Binder, Erbe der Merck-Pharmadynastie, lässt demnächst ein solches Schiff bauen.

Die «Ulyssia» ist eine Motorjacht, die alle Vorstellungen sprengt. Mit 324 Metern Gesamtlänge ist sie 55 Meter länger als die legendäre «Titanic», das bis vor hundert Jahren denkbar grösste Schiff überhaupt. Und der schwimmende Superlativ ist nur 41 Meter kürzer als das derzeit grösste Kreuzfahrtschiff «Icon of the Seas».

Doch Frank Binder, der 66-jährige gebürtige Zürcher mit Domizil Monaco, sieht die riesige Jacht nicht etwa als fahrende Vergnügungsinsel für den Eigenbedarf, sondern als mobiles Immobilienprojekt für besonders gut Betuchte, die das luxuriöse Wohnen mit dem Kreuzfahrterlebnis verbinden wollen.

Die Gigajacht verfügt im fertigen Zustand über 133 Kabinen – oder besser gesagt Wohnpaläste, darunter 10 Penthäuser und 22 Gästewohnungen, die bis zu 300 Personen Platz bieten sollen. Alain Gruber, CEO der eigens für den Vertrieb der schwimmenden Wohnungen gegründeten Ulyssia Residences AG mit Sitz in Zug, geht eher von einer durchschnittlichen Belegung von 200 Gästen an Bord aus.

Die Eintrittspreise für die Luxusapartments sind hoch. Für das kleinste Logis mit 1216 Quadratmetern Wohnfläche werden rund 11 Millionen Franken fällig. Das grösste Penthouse an Bord mit 10 570 Quadratmetern kostet knapp 60 Millionen Franken. Hinzu kommen jährliche Unterhaltsgebühren in Höhe von 3 bis 4 Prozent des Kaufpreises. Echte Interessenten müssen ihre Zahlungsfähigkeit unter Beweis stellen und dürfen nicht weniger als 25 Millionen Franken Nettovermögen aufweisen.

Binder und sein Team haben hehre Ziele, wenn es um die Mitbewohner auf der schwimmenden Luxusimmobilie geht. Es gibt ein strenges Prüfverfahren, wie es bei Binders Unternehmen heisst. Der Mix der Eigentümer soll zu je einem Drittel aus Europäern und Nordamerikanern bestehen, dazu 20 Prozent aus Australien, Südafrika, Singapur und Japan. Der übrige Anteil soll aus aller Welt kommen.

Alle erdenklichen Annehmlichkeiten zum Wohnen

Die Eigentumswohnungen bieten – ganz unabhängig von ihrer Grösse – offene Küchen und Terrassen, Fensterflächen in Raumhöhe und repräsentative Empfangsräume. Zur allgemeinen Nutzung durch die Bewohner und Gäste stehen zudem verschiedene Restaurants, Wellnessbereiche der Schweizer Firma Chenot und Sportstätten für Padel-Tennis und Pickleball bereit, dazu ein Tauchklub mit zwei Tauchbooten und eine voll ausgerüstete Garage für die Privatfahrzeuge der Passagiere.

Im Heckbereich gibt es einen aufblasbaren Steg, an dem kleine Boote und Jetski anlegen können. Er bietet einen Rahmen für einen Schwimmbereich mit Meerwasser. Nicht fehlen dürfen bei solchen Dimensionen an Bord auch ein Theater, eine zweistöckige Bibliothek, ein Kinderhort mit Schulbereich und ein Business-Zentrum. Und für schnelle Transporte an Land sind zwei achtplätzige Helikopter eingeplant.

Ebenfalls vorgesehen sind lebenswichtige Einrichtungen wie auf Kreuzfahrtschiffen, etwa Rettungsboote, ein Ärztezentrum mit MRT (Magnetresonanztomograf) sowie Bereiche wie Unterkünfte für die Besatzung. Diese soll aus etwa doppelt so vielen Personen bestehen, wie Gäste an Bord sind.

Die Luxusjacht soll keineswegs wochenlang in einem Hafenbecken vor Anker liegen. Geplant sind Schiffsbewegungen wie auf Kreuzfahrten rund um die Welt. Entsprechend soll die «Ulyssia» jeweils drei bis sieben Nächte in jedem Hafen verbringen, um den Bewohnern die Zeit zu geben, die jeweiligen Landdestinationen intensiv zu erkunden.

Die Einwohner des Wohnschiffs erhalten jeweils drei Jahre im Voraus Vorschläge vom Management zur geplanten Reiseroute, über die sie abstimmen können. Die Ulyssia Residences AG plant jedes Jahr zwei grössere Expeditionen, eine in einem warmen Klima wie dem Indischen Ozean oder der Südsee, eine zweite im Polarmeer.

Thomas Lauber, Chef der Wettinger Firma Executive Yachting und seit mehr als dreissig Jahren Experte für exklusive Jachtreisen, begegnet dem Projekt «Ulyssia» mit Skepsis. «Diese schwimmende Immobilie hat mit dem Gedanken des Yachting nichts zu tun», sagt er. «Wer eine Jacht hat, will seine Privatsphäre, seine Freiheit und den Gedanken der Selbstbestimmung geniessen. Er entscheidet, wo er hinfährt, wo er ankert, wann die Reise weitergeht, und das oft spontan. Als Eigner einer Residenz auf der ‹Ulyssia› muss er sich stets mit den Mitbewohnern absprechen. Die Spontaneität geht verloren.»

Lauber warnt auch vor den Einschränkungen der Privatsphäre und der fehlenden Ruhe an Bord. «Da gibt es dann ein Kommen und Gehen, ständig starten und landen Helikopter – das hat mit Erholung wenig zu tun.» Er glaubt, dass für vermögende Kunden ein Jachtkauf oder eine Superjachtmiete eine passendere Lösung seien, um Privatsphäre und Selbstbestimmung zu erzielen.

Peter Hürzeler, CEO von Ocean Independence, einem internationalen Unternehmen für Jachtcharter und -verkauf, hat ähnliche Bedenken wie Thomas Lauber: «Wir sehen den Begriff ‹Jacht› in diesem Zusammenhang etwas differenzierter, da ein 324 Meter langes Schiff nicht die Individualität und Flexibilität einer reinen Privatjacht für einen Einzeleigner bieten kann. Dennoch ist ‹Ulyssia› ein hochspannendes Projekt, an dem auch einige unserer Kunden interessiert sind – quasi als Ergänzung zu ihrer Privatjacht.»

Wechselnde Welten vor der Wohnungstür

Frank Binders Idee zum Bau der «Ulyssia» kam vor rund zwanzig Jahren, als er erstmals von der privaten Superjacht «World» und ihrem Wohnkonzept hörte, wie er der «Times» erzählte. «Die Welt kommt zur Wohnungstür: Die Idee hat mich gepackt, und ich begann, die Grundrisse der Jachtwohnungen zu studieren.» Zunächst wollte der Unternehmer ein Apartment auf der «World» kaufen, doch fehlte ihm die Zeit, um die Wohnung an Bord zu nutzen.

Der Architekt Binder gründete 1999 das Unternehmen Landbell, das heute zu den Weltmarktführern im Bereich von Abfallentsorgung und Recycling-Logistik gehört. Zu seinem Imperium gehören eine Biotech-Firma und ein Jachthandel in der Schweiz sowie ein Unternehmen für Schiffsdesign und -Engineering in Monaco.

Inzwischen ist Binder bereit, mehr Zeit in ein eigenes Superjachtprojekt zu investieren. «Es ergab sich die Möglichkeit, mit dem Entwicklungsteam der World zusammenzuarbeiten», sagte der Milliardär mit dem Faible für die hohe See der «Times». Er entschloss sich, das Konzept des schwimmenden Luxuswohnkomplexes weiterzuentwickeln und die «Ulyssia» zu bauen. Dabei will er Konzepte umsetzen, die beim Bau der «World» vor 22 Jahren noch nicht möglich waren.

Dazu gehört etwa ein möglichst umweltfreundlicher Antrieb. Das hybride System soll einerseits Strom aus Solarzellen an Bord verwenden und andererseits Bio-Treibstoff wie Methanol verbrennen. Binder schwebt ein Anteil von rund 70 Prozent erneuerbarer Energie für den Antrieb vor.

Für das Design der Luxusjacht zeichnet der norwegische Architekt Espen Öino mit seinem Team verantwortlich. Der in Oslo geborene Schiffsgestalter entwickelt sei mehr als zwanzig Jahren Superjachten für Kunden in aller Welt. Seine Firma hat ihren Sitz wie der Auftraggeber Frank Binder in Monaco. Die «Ulyssia» ist nach Angaben von Öino das bisher grösste Projekt seines Designunternehmens.

Den Innenbereich entwerfen die Jachtinterieur-Expertin Francesca Muzio und weitere Jachtspezialisten, darunter Kravitz Design, das Studio des Rockstars Lenny Kravitz.

Hersteller bekommt deutsche Staatshilfe

Mit dem Bau der «Ulyssia» beauftragte Binder die Meyer-Werft im norddeutschen Papenburg. Das Traditionsunternehmen besteht seit mehr als 225 Jahren. Es kennt sich mit dem Bau gigantischer Schiffe mit hoher Wasserverdrängung aus und hat bereits die «Icon of the Seas» sowie zahlreiche weitere Kreuzfahrtschiffe gebaut.

Jüngst geriet die Werft jedoch in Schieflage, laut Unternehmenskommunikation ist sie «durch die Folgen der Corona-Pandemie, des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie explodierender Rohstoffpreise in diese finanzielle Notlage geraten».

Zwar verfügt das Unternehmen über Aufträge im Wert von 11 Milliarden Euro bis in das Jahr 2031. Der Liquiditätsengpass wurde aber durch die Tatsache beschleunigt, dass in der Werftbranche üblicherweise 80 Prozent des Baupreises erst bei Ablieferung des Schiffes bezahlt werden. Der Grossteil des Schiffsbaus muss also vorfinanziert werden, so auch bei dem rund 1,7 Milliarden teuren Projekt der neuen Luxusjacht.

Doch der Bau der «Ulyssia» ist sichergestellt, denn der deutsche Staat und das Land Niedersachsen haben gemeinsam rund 80 Prozent der Anteile an der Meyer-Werft übernommen und «investieren zudem 400 Millionen Euro zur Finanzierung der bestehenden festen Aufträge», wie die Werft im September bekanntgab. Nicht nur die gut 3000 Angestellten der Meyer-Werft atmen auf, sondern auch mehr als 20 000 Mitarbeiter bei Zulieferern und Dienstleistern des Unternehmens.

Aus technischer Sicht hat der Jachtexperte Thomas Lauber keine Bedenken: «Ein solches Schiff kann die Meyer-Werft sicher bauen, es ist von den Dimensionen mit einem Kreuzfahrtschiff vergleichbar und stellt keine unerwarteten Anforderungen an die Konstruktion.»

Der Bau des riesigen Schiffs soll in den kommenden Monaten beginnen und dürfte vier bis fünf Jahre dauern. Das sollte Frank Binder und seinem Unternehmen genügend Zeit geben, um die Luxuswohnungen zu verkaufen. «Sicherlich spricht dieses Geschäftsmodell eine kleine Marktnische an», sagt Lauber. «Der Trend geht in Richtung Wasser als Freizeitort, und grosse Kabinen sind eine gute Idee.»

Auch Peter Hürzeler von Ocean Independence glaubt an den Verkaufserfolg von Ulyssia Residences. «Wir bemerken bei unserer Klientel ein Interesse an ‹Ulyssia›, da das Projekt ein äusserst luxuriöses Image ausstrahlt und ‹fractional ownership› auch im Yachting zunimmt. Dass es für die Apartments auf ‹Ulyssia› einen Markt gibt, steht ausser Frage.»

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