Dienstag, November 26

Ausgerechnet ein Planschbecken ist die Hauptfigur der in Zürich gezeigten Bühnenfassung von Kafkas berühmtester Erzählung.

In der Nachspielzeit der ziemlich genau neunzig Minuten dauernden Inszenierung hört man dann doch endlich wieder einmal einen fast authentischen Satz aus Kafkas «Verwandlung». Doch Lukas Vögler schafft das Kunststück, sich am Satz zu verschlucken. Er verhaspelt sich, obwohl – oder vielleicht gerade weil – Kafka-Sätze alles andere als komplizierte Gebilde sind.

Der Aussetzer ist symptomatisch für Leonie Böhms Stück «Die Verwandlung», das am Freitagabend in der Schiffbau-Box Premiere hatte. Die Bearbeitung hat etwa so viel mit Franz Kafka zu tun wie dieser mit Friedrich Dürrenmatt. Im Foyer im Schiffbau werden dem Publikum unverdrossen Reclam-Hefte von Kafkas 1912 entstandener Erzählung zum Kauf angeboten. Man könnte genauso gut Dürrenmatts «Physiker» oder jeden beliebigen Roman von Martin Suter verkaufen. Sie würden ihre Dienste nicht besser oder schlechter leisten für eine Aufführung, die mit Kafka nichts als das falsche Etikett gemeinsam hat. «Haltet den Dieb», möchte man rufen.

Doch Halt!, eine Verbindung gibt es. Zwei Jahre nach Niederschrift der Erzählung steht unter dem August 1914 in Kafkas Tagebuch: «Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.» Leonie Böhm hätte ihr Stück auch «Schwimmlektionen mit Franz Kafka» nennen können. Es wäre nicht falsch gewesen und jedenfalls nicht irreführender als die Ankündigung im Programmheft. Unter der Rubrik «Teil dieser Inszenierung» steht da: «Franz Kafka, Autor». Autor mag eine zutreffende, wenn auch etwas lakonische Bezeichnung sein für einen, der, wie es hier ebenfalls heisst, «zu Lebzeiten kaum Anerkennung fand».

Auf die Legende des zu Lebzeiten verkannten Autors hätte man getrost verzichten können, so wie Kafka es sich verbeten hätte, als Autor dieser Aufführung rubriziert zu werden. Aber immerhin hätte er, der grosse Schwimmer, womöglich Gefallen daran gefunden, dass die Hauptfigur dieser Inszenierung nicht etwa der Käfer aus seiner Erzählung «Die Verwandlung» ist, sondern ein Planschbecken, das den grössten Teil der Bühne einnimmt (Bühnenbild: Zahava Rodrigo). Zusammen mit einem kahlen Baumstamm, der sich über das Wasserbecken wölbt, ergibt sich damit eine wunderbare Spiellandschaft, die zu vielerlei Turnübungen und Wasserspielen einlädt.

Übungen in Lebensrettung

Also Schwimmlektionen mit Kafka. Vereinfacht könnte man es so zusammenfassen: Eine Schauspielerin (Eva Löbau) und zwei Schauspieler (Vincent Basse, Lukas Vögler) betreten etwas verzagt die Bühne und müssen sich erst einmal etwas warmlaufen. Allmählich kommen sie in die Gänge («Ich gebe mir jetzt einen letzten Schwung»), ermuntern sich gegenseitig («Wir werden uns hier schon wieder rausarbeiten») und zieren sich dann doch («Ich habe ein bisschen Angst vor der Begegnung mit euch»).

Zugegeben, das ist alles nicht besonders originell. Es ist sogar ziemlich abgedroschen und schülertheatermässig. Aber es ist lustig, ein wenig komisch zuweilen, weil mitunter plötzlich Kafka-Sätze zu hören sind, die, ganz aus dem Zusammenhang gerissen, plötzlich eine neue Bedeutung erhalten. Der zähe Anfang ergiesst sich dann wörtlich in eine lange Reihe von Schwimm-, Tauch- und Lebensrettungsübungen, bei denen naturgemäss Kafka-Sätze etwas untergehen, dafür der sinnfreie Klamauk in den Vordergrund rückt.

Aus dem Schwimmunterricht entwickelt sich unvermittelt eine Familienaufstellung: Eva Löbau findet sich in ihrer Glanzrolle als laszive Nixe und Pflegefachfrau für den ängstlichen Bruder (Lukas Vögler); dieser regrediert vom Rockgitarristen zum wasserscheuen Riesenbaby, der sich mit Wiegenliedern in den dann doch ausbleibenden Schlaf summen lässt. Was schliesslich Vincent Basse als Vater auf den Plan ruft, der nun mit einer wahnsinnshaften und grandios grotesk gespielten Berserker-Arie wieder Kafka-Sätze schmettern und seine Gewaltphantasien herausbrüllen darf.

Und weil alles nur halb so ernst gemeint ist und das Riesenbaby nicht wie der Käfer bei Kafka mit der Kehrschaufel beseitigt wird, mündet der Lärm in einen grossen, von der Elektrogitarre angestimmten Versöhnungschoral: Die Drei schwören sich ewige Liebe und treten als Trio mit ihrem Liedchen bei der Aufnahmeprüfung fürs Konservatorium an. Es folgt noch der verhaspelte Kafka-Satz. Dann Licht aus und johlender Applaus.

Weg mit Kafkas Zumutungen

Doch wozu Kafka, fragt man sich die ganze Zeit. Wozu der Etiketten-Schwindel? Wo doch Kafka und seine Erzählung höchstens homöopathisch dosierte Nebenrollen spielen. Glaubt man, damit das Publikum locken zu können, oder geht es darum, ein Stück Weltliteratur zu demontieren?

Wo die Kühnheit zum eigenen Wurf fehlt, mangelt es tatsächlich nicht an der Verwegenheit, Kafkas «Verwandlung» korrigieren zu wollen. Im Programmheft spricht man sibyllinisch von einem «transformatorischen Gegenentwurf zu Kafkas determinierter Welt», wo die Ordnung der Familie nur durch die Auslöschung ihres zum Ungeziefer verwandelten Mitglieds wiederhergestellt werden könne. Es gehe darum, so wird die Regisseurin zitiert, «das Abseitige, das Dreckige, das Ungeliebte umzuwerten – und zu umarmen».

Im Klartext heisst das: Kafka ist zu schmerzhaft, weil er zu radikal die Abgründe dessen zeigt, was dem Menschen möglich ist – seinesgleichen auszulöschen. Im Planschbecken wird Kafka weichgespült, bis der Skandal der Auslöschung in die ewige Liebe mündet und mit Eric Claptons Schlusschoral «Tears in Heaven» besiegelt werden kann: «Would you hold my hand / If I saw you in heaven?» Und das Theater wandelt sich mit dieser «Verwandlung» in die pädagogische Heilanstalt, die alle Unbill dieser Welt und auch Kafka in einem «transformatorischen Gegenentwurf» aus dem Blick schafft.

Soll man dankbar sein für diese auf das Gebiet der praktischen Lebenshilfe ausgeweitete Zuständigkeitszone der Kunst? Doch was ist von einem Theater zu halten, das Kafkas Zumutungen für unerträglich befindet und grossartige Schauspieler dazu degradiert, sie in der Wohlfühloase eines Planschbeckens bis zur Unkenntlichkeit weichzuklopfen? «Haltet den Dieb!», muss man jetzt doch noch rufen, verschont uns mit Lebenshilfe und lasst die Hände von Kafka.

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