Mittwoch, Oktober 2

Seit Jahren hinken Nebenwerte den Large Caps hinterher. Doch in Deutschland zeigt der kleinere der beiden Nebenwerte, der SDax, plötzlich deutliche Avancen. Ist das der Start eines Comebacks der Small Caps?

Investoren und Fondsmanager, die sich auf das Segment der Nebenwerte fokussieren, haben es nicht leicht. Seit fast zwei Jahren dauert mittlerweile die Underperformance von Aktien kleinerer und mittelgrosser Unternehmen gegenüber Large Caps an. Exemplarisch zeigt sich das in Deutschland an der Kursentwicklung des MDax, der die fünfzig grössten deutschen Werte umfasst, die nicht im Blue-Chip-Index Dax enthalten sind.

Zu knapp 27’000 Punkten notiert der Nebenwerteindex auf dem Stand von November 2019, der Dax konnte seitdem mehr als 40% zulegen. Beide Indizes holten nach dem Coronacrash von 2020 ihre Verluste rasch auf, der MDax zeigte sogar eine kräftigere Erholungsrally. Ab 2022 fielen beide anschliessend in einen Bärenmarkt, worauf sich im Oktober die Schere öffnete.

Seitdem eilt der Dax von Rekord zu Rekord, während der MDax in seinem Seitwärtstrend gefangen bleibt.

Haussieren also nur die grossen Namen an der Börse, während kleine und mittelgrosse auf der Strecke bleiben? Diesen Eindruck gewinnt man derzeit vor allem in den USA, wo das neue Allzeithoch des US-Leitindex S&P 500 bloss einigen wenigen Tech-Schwergewichten zu verdanken ist. Die Marktbreite in Übersee ist so dünn wie letztmals in der Finanzkrise von 2008/2009 (mehr dazu hier). Während das US-Leitbarometer seit Anfang Jahr 14% gutgemacht hat, ist der Small-Cap-Index Russell 2000 nicht vom Fleck gekommen.

Kleinere Unternehmen leiden unter Inflation

Historisch gesehen weisen Nebenwerte eine deutlich bessere Performance gegenüber Large Caps auf, wenn auch unter erhöhter Volatilität. Der Grund liegt hauptsächlich in den unterschiedlichen Wachstumsvoraussetzungen. Kleinere und dynamischere Unternehmen können wesentlich schneller wachsen als Konzerne, die bereits eine stattliche Grösse erreicht haben. Zudem spezialisieren sich kleinere und mittelgrosse Gesellschaften in der Regel auf eine Nische, in der sie zum Marktführer werden können.

Doch in den letzten Jahren machte den Kleinen vor allem die Inflation zu schaffen, die das Zinsniveau signifikant erhöhte. Small Caps sind in der Regel zwar nicht zwingend höher verschuldet als Grossunternehmen. Allerdings sind hier Schulden häufiger variabel verzinst, womit sich die Kreditkosten bei Zinsänderungen der Notenbanken schneller verändern. Zudem ist der Zugang zu Finanzierungen für kleine Unternehmen grundsätzlich schwieriger. Je kleiner die Firma, desto höher sind meist die Kreditanforderungen der Banken. Das gilt umso mehr, wenn Geld allgemein teurer wird.

SDax tanzt aus der Reihe

Dass viele Nebenwerteindizes nicht wieder hochkommen, hat also guten Grund. Umso erstaunlicher ist, dass sich in Deutschland auch ein anderes Bild zeigt – und zwar auf Indexebene eine Stufe unter dem MDax: Der SDax umfasst siebzig Unternehmen, die hinsichtlich der Grösse dem MDax folgen. Der Small-Cap-Index schlägt sich seit fünf Jahren deutlich besser als der MDax.

Und nicht nur das: Die Kursentwicklung seit Anfang Jahr (+10%) kann sogar mit der des Dax (+11%) mithalten. Vor allem im Mai verbuchten Small Caps in Deutschland kräftige Gewinne, sodass der SDax derzeit auf dem höchsten Stand seit Januar 2022 notiert.

«Ich kann mich nicht erinnern, wann die Kursentwicklung von MDax und SDax das letzte Mal so stark auseinanderging, wie das momentan der Fall ist», sagt Stephan Hornung, Experte für Nebenwerte beim deutschen Fondsberater Discover Capital. Einen einzelnen Grund auszumachen, der die aktuelle Divergenz hinreichend erklärt, ist allerdings schwierig. Sektorspezifisch weisen beide Indizes keine bedeutenden Unterschiede aus.

Für Hornung kommen zwei Themen infrage, die grundsätzlich für den SDax ins Feld geführt werden können und die «möglicherweise ein Teil der Erklärung» für die jüngste Überperformance sein könnten. Da wären zunächst die Aktivitäten von Leerverkäufern, also Investoren, die bei einzelnen Aktien auf sinkende Kurse setzen. «Short Seller benötigen für ihre Wetten einen liquiden Handel.» Diese sei im MDax mehr gegeben als im SDax, so Hornung.

Eine zweite Erklärung könnte gemäss Hornung in den unterschiedlichen Investorengruppen liegen, die den SDax und den MDax im Fokus haben. Grössere ausländische Investoren, die im Bereich Nebenwerte unterwegs sind, seien eher im grösseren MDax engagiert. «Die politischen Unwägbarkeiten in Deutschland könnten zu Abverkäufen und somit zu Druck auf die Kurse geführt haben», so Hornung. Währenddessen könnten im SDax Privatanleger eine grössere Rolle spielen.

Viele Gewinneraktien im SDax

Doch Hornung spricht noch einen dritten Erklärungsansatz an, der fast ein wenig trivial klingen mag, jedoch zweifellos eine Rolle spielen dürfte. «Letzten Endes gab es im SDax zuletzt einige starke Gewinner, während sich im MDax viele Verlierer tummelten.» Tatsächlich sorgten in vielen Fällen schlicht unternehmensspezifische Probleme für negative Überraschungen bei MDax-Aktien, während viele SDax-Aktien positiv auffielen.

So haben die Aktien von Traton, dem mit Abstand grössten SDax-Vertreter, in den letzten Monaten einen starken Lauf hinter sich. Im März überraschte die VW-Nutzfahrzeugtochter nach einem erfolgreichen Jahresendgeschäft mit unerwartet hohen Zielen für das neue Jahr, was den Aktien seitdem Auftrieb gibt – seit Anfang Jahr beläuft sich das Plus auf mehr als 50%. Aufgrund der hohen Marktkapitalisierung, die mittlerweile auf 16 Mrd. € angestiegen ist, werden die Aktien am 24. Juni in den MDax aufsteigen, zusammen mit Rational und TUI.

Hilfreich für den SDax war zuletzt auch der Umstand, dass mit Süss MicroTec eine der Überfliegeraktien im deutschen Nebenwertebereich Teil des SDax ist. Der Ausrüster für die Halbleiterindustrie, der Anlagen und Prozesslösungen für Mikrostrukturanwendungen fertigt, profitiert vom Boom im Bereich künstlicher Intelligenz. Die Aktie legte allein in diesem Jahr bereits mehr als 120% zu.

Im MDax tummeln sich gefallene Börsenstars

Gleichzeitig finden sich eine Stufe höher im MDax einige gefallene Darlings, die früher einmal ein hohes Gewicht im Index hatten, zuletzt jedoch stark eingebüsst haben. So brachte der Lieferdienst HelloFresh im letzten Herbst immerhin noch fast 6 Mrd. € auf die Waage, womit das Unternehmen gemessen an der Börsenbewertung im oberen Drittel der MDax-Unternehmen rangierte. Sein Marktwert heute: 998 Mio. € – damit belegt HelloFresh den letzten Platz im MDax.

Auch die Kursentwicklung von Evotec hat dem MDax zuletzt nicht geholfen. Der Auftragspharmaforscher, der grundsätzlich in einem strukturell wachsenden Markt gut positioniert ist, sorgte Anfang Jahr mit dem Rücktritt des langjährigen Chefs Werner Lanthaler für negative Schlagzeilen – dieser hatte Aktien verkauft und dies pflichtwidrig nicht gemeldet, was das Vertrauen der Anleger nachhaltig schädigte. Das Kursminus seit Anfang Jahr: fast 60%.

Hinzu kommt der Timing-Aspekt wie etwa bei den Aktien von ProSiebenSat.1 Media. Als die Aktien des Medienunternehmens nach einer jahrelangen Abwärtsphase im Dezember aus dem MDax in den SDax fielen, setzte prompt die Erholung ein. «Zuletzt hat es einige für den MDax ungünstige Indexveränderungen gegeben, bei denen die Performance oft vor dem MDax-Einzug oder nach dem Abstieg in den SDax erfolgte», stellt auch Fondsberater Hornung fest. Evotec sei ein ähnliches Beispiel, bei dem der Kurs erst nach der Aufnahme in den MDax im Juni 2023 eingebrochen sei.

Wette auf eine weiche Landung

Alles in allem dürfte es ein Cocktail mehrerer voneinander unabhängiger Entwicklungen sein, die für die Outperformance des SDax gegenüber dem MDax verantwortlich sind. Die schlechte Nachricht für Small-Cap-Investoren: Ein allgemeines Comeback von Nebenwerten lässt sich daraus (noch) nicht ableiten. Fakt ist, dass die Erholung der Small und Mid Caps weiterhin auf sich warten lässt. Die am Freitag erneut robust ausgefallenen US-Arbeitsmarktdaten sind ein Zeichen dafür, dass die grosse Zinswende in den USA noch ein Stück weiter auf die lange Bank geschoben werden könnte.

Zwar hat die Europäische Zentralbank am Donnerstag erwartungsgemäss den Leitzins um 25 Basispunkte auf 4.25% gesenkt. Dass damit aber die Zinswende eingeläutet wurde, muss sich erst noch zeigen. Die Aussagen von EZB-Chefin Christine Lagard klangen diesbezüglich eher vorsichtig.

Klar ist aber auch: Sobald sich bei der Geldpolitik eine klare Tendenz zu Zinssenkungen abzeichnet und der Wirtschaft eine weiche Landung gelingt, dürften Nebenwerte überproportional profitieren. Daher schadet es aus Sicht von The Market nicht, bereits jetzt erste Positionen aufzubauen.

Exit mobile version