Freitag, Januar 31

Im März wählt das Internationale Olympische Komitee einen neuen Präsidenten, und der oberste Leichtathletik-Funktionär Sebastian Coe wäre Favorit – gäbe es nicht diverse Bösartigkeiten.

Unter normalen Umständen wäre der Fall klar: Kein anderer der insgesamt sieben Kandidaten ist fürs höchste Amt des Weltsports ähnlich gut geeignet wie Sebastian Coe. Der Brite, der selbst zweimal Olympiasieger wurde, hat sich einen Namen als Politiker und als Marketingexperte gemacht. Er richtete die Sommerspiele in London aus und belebte als Weltverbandspräsident die Leichtathletik neu. Coe versteht es auch, Menschen im Gespräch für sich zu gewinnen. Das ist nicht unwichtig, der nächste Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) muss sich um gute Beziehungen zu Staatschefs bemühen.

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Allerdings setzt sich in der speziellen Welt der Funktionäre oft genug nicht der Beste durch. Erfolgversprechender kann es sein, eine Bewahrung des Status quo in Aussicht zu stellen sowie eine Vermeidung von Kontroversen. Coe geht mit der Hypothek in die Abstimmung der 110 IOK-Mitglieder im März, dass er oft genug unbequem war.

In der Leichtathletik schloss Coe Transgender-Athleten, welche die männliche Pubertät durchlaufen haben, von Frauenwettbewerben aus, ein Affront für manche Verfechter woker Diversität. An den Sommerspielen in Paris gab der Brite einen Teil der üppigen Olympia-Einnahmen an die Athleten weiter, was beim traditionsverbundenen IOK als verpönt gilt. Am brisantesten waren Coes kompromisslose Reaktionen auf das Regime von Wladimir Putin: Seit 2016 verbannt er russische Leichtathleten kategorisch von Leichtathletik-Grossanlässen, erst wegen des Staatsdopings, dann wegen des Ukraine-Kriegs.

In sämtlichen Fällen positionierte sich der Brite anders als der demnächst abtretende IOK-Präsident Thomas Bach. Die Amtszeit des Deutschen ist von der stetigen Suche nach Kompromissen geprägt. Bis zuletzt versuchte er sich am Spagat, Russland auf Funktionärsebene mit Sanktionen zu belegen, individuellen Sportlern aber den Zugang zu Anlässen zu ermöglichen.

Shakespeare gegen Professor: Aus Freunden wurden Rivalen

Die beiden Männer hatten ihre Funktionärskarrieren einst gemeinsam lanciert, als sie sich 1981 an einem Kongress wortgewaltig für bessere Athletenrechte einsetzten. Coe und Bach nannten sich damals gegenseitig «Shakespeare» und «Professor», sie galten als Freunde. Heute haben sie sich zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung voneinander entfremdet.

Dabei passen die Spitznamen mittlerweile sogar noch besser. Coe, der Shakespeare, hat seine rhetorischen Fähigkeiten perfektioniert. Bach, der Professor, beherrscht es hingegen, seine Ziele unter Berufung auf Paragrafen und Kommissionen durchzusetzen. Was immer beim IOK passiert, kann er mit Regeln begründen, die nun einmal so seien, wie sie seien.

Im September 2024 zeichnete sich ab, dass Coe versuchen würde, Bach zu beerben. Kein Geringerer als Ban Ki Moon, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, heute Chef der IOK-Ethikkommission und ein Vertrauter von Bach, veröffentlichte in jenen Tagen eine zweiseitige Stellungnahme, in welcher er auf die Olympische Charta verwies. Darin stehe, dass Präsidenten während ihrer gesamten Amtszeit gleichzeitig IOK-Mitglied sein müssten, schrieb Ban. Und wer das Alterslimit von 70 Jahren erreiche, verliere seine Mitgliedschaft, sofern nicht explizit eine Verlängerung beschlossen werde.

Das Schreiben wirkte wie ein gezielter Angriff auf den heute 68-jährigen Coe. Ban erweckte implizit den Eindruck, die Olympische Charta sei in Stein gemeisselt. Dabei hatte ausgerechnet Bach zeitweise mit einer weitreichenden Regeländerung kokettiert: Unterstützer des Deutschen portierten die Idee, die Amtszeitbeschränkung von zwölf Jahren für Präsidenten aufzuheben und ihm einen längeren Verbleib im Amt zu ermöglichen. Erst nach langem Zögern entschied sich Bach anders.

Coe reagierte auf die regulatorischen Anforderungen mit einem Kompromissvorschlag: Er wolle sich nicht wie vorgesehen für acht, sondern zunächst nur für vier Jahre wählen lassen.

Womit aber nur die erste von mehreren Hürden aus dem Weg geräumt war. Der Wahlkampf beim IOK ist von Vorschriften geprägt, die selbst den Vatikan als Hort der Transparenz erscheinen lassen. Auf acht Seiten ist festgehalten, was den Präsidentschaftskandidaten bis März gestattet ist – und vor allem, was nicht: kein böses Wort über Kontrahenten verlieren, sämtliche Vergleiche untereinander vermeiden, keine Werbeanzeigen schalten, keine öffentlichen Veranstaltungen abhalten.

Am Donnerstag durften die sieben Bewerber in Lausanne vor den IOK-Mitgliedern 15-minütige Ansprachen halten. Wer überziehe, so stand in einem anderen Dokument, dem werde das Mikrofon abgeschaltet. Die aus aller Welt angereisten Funktionäre durften den Kandidaten nach den Reden keine Rückfragen stellen. Am Eingang mussten sie ihre Handys abgeben: Niemand sollte die Auftritte filmen können.

Juan Antonio Samaranch, der als Coes härtester Konkurrent gilt, wagte später vor Journalisten eine Spitze gegen Bach und seine Entourage. Sollte er gewählt werden, sagte der Sohn des gleichnamigen früheren IOK-Präsidenten, werde er das Verhältnis zur Presse verbessern: «Sie sind nicht unsere Feinde. Sie sind unsere Verbündeten.» Samaranch wird ein enges Verhältnis zum chinesischen Regime nachgesagt, und sein Vater verherrlichte einst den Diktator Franco, aber im IOK sieht er sich veranlasst, mehr Demokratie einzufordern.

Selbst ein Monarchen-Spross geisselt die Intransparenz

Ein weiterer Rivale ist Prinz Faisal bin al-Hussein, der Bruder des Königs von Jordanien. Selbst er, der Spross einer Monarchenfamilie, welche Journalisten mit der willkürlichen Anwendung zahlreicher Gesetze gängelt, zeigte sich irritiert von dem, was er in Lausanne erlebte. Er halte sich an die strengen Regeln, sagte Faisal bin al-Hussein, das habe er einst beim Militär verinnerlicht. Aber: «Ich wünschte, wir könnten transparenter sein.»

Letztlich ist klar, wem es am meisten schadet, wenn das IOK jegliche offene Debatte unterbindet: dem eloquentesten Kandidaten, weil er seine Stärken nicht ausspielen kann. Coe systematisch das Wort abzuschneiden, ist fast, als hätte man den Mittelstreckenläufer auf seinem Zenit gezwungen, das Rennen nach 100 Metern zu beenden.

Vor den Journalisten, die eine von ursprünglich dreissig Akkreditierungen erhalten hatten, durften sich die Präsidentschaftskandidaten im Schloss von Vidy jeweils zehn Minuten zeigen. Als Coe an der Reihe war, verlor er sich in einer länglichen Stellungnahme über Einnahmenpotenziale durch Medienrechte, und schon war ein grosser Teil seiner Redezeit verstrichen. Er ist kein Sprinter.

Mehrere IOK-Mitglieder sollen sich von Bach unter Druck gesetzt fühlen, die einzige Frau im Kandidaten-Wettstreit zu unterstützen: Kirsty Coventry aus Simbabwe, siebenfache Olympiasiegerin im Schwimmen. Das berichtete jüngst der britische Olympia-Experte Duncan Mackay. Ein Funktionär habe sogar damit gedroht, sich an die Ethikkommission zu wenden.

Coventry lachte auf, als sie gefragt wurde, ob sie Bachs Favoritin sei. Der scheidende IOK-Präsident sei sehr loyal hinsichtlich der Olympischen Charta, sagte sie. Er habe ein gutes Verhältnis zu allen Kandidaten. «Ich glaube fest daran, dass er zu jedem von uns fair ist.» Obwohl er berechtigt wäre, eine Stimme abzugeben, werde sich Bach im März enthalten.

Inhaltlich verteidigte Coventry den Präsidenten konsequent. Bach war an den Sommerspielen in Paris wegen seines Umgangs mit der Debatte um den Geschlechtsstatus von zwei Boxerinnen kritisiert worden. Es sei schwierig, rückblickend zu sagen, man hätte anders handeln sollen, sagte Coventry. Immerhin hätten die Boxerinnen zuvor Kämpfe bestritten, ohne dass es Kontroversen gegeben habe.

Für Coe, der den Frauensport rigoros schützen will, wären derartige Auslassungen eine Steilvorlage. Wenn man ihn zu Wort kommen liesse.

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