Sonntag, September 8

Eine Gewalttat sorgt für Unruhe im Containerdorf für Kreative in Altstetten.

Die Entführer versammeln sich bei einem der Container des Basislagers in Zürich Altstetten. Es ist die Nacht auf den 11. März. In der Siedlung für Künstler, Designerinnen und Handwerker auf einer Landreserve der Stadt ist es still.

Das nutzen die Täter aus. Mehrere Stunden halten sie zwei Männer fest. Sie wollen Informationen. Informationen zu einer Auseinandersetzung an einer Tankstelle in Zürich, bei der ein junger FCZ-Ultra attackiert und verletzt worden war. Die Entführer suchen offenbar nach den Verantwortlichen der Attacke. So schildern es mehrere gut informierte Quellen gegenüber der NZZ.

Die Täter schüchtern ihre Opfer ein, sie schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. Als die beiden Entführten später von den alarmierten Einsatzkräften der Polizei aufgefunden werden, tragen sie Blessuren am Körper.

Die Staatsanwaltschaft bestätigt auf Anfrage den Entführungsfall. Sechs Männer aus der Schweiz, Deutschland, Nordmazedonien und der Türkei seien am 11. März festgenommen worden. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich um junge Männer, alle im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. Sie befinden sich inzwischen in Untersuchungshaft.

Ob die mutmassliche Entführung in der Nacht auf den 11. März im Zusammenhang mit einem früheren Vorfall stehe, sei ebenfalls Gegenstand der laufenden Ermittlungen, heisst es bei der Staatsanwaltschaft. Man kläre die Hintergründe nun ab. Bis zum Abschluss der Untersuchung gelte die Unschuldsvermutung.

Klar scheint in diesem Fall bis jetzt nur, dass es bei der Aktion nicht um Fussball ging. Die Opfer stammen nicht aus diesem Umfeld. Die Spur der Täter aber führt in das Milieu der gewaltbereiten FCZ-Ultras.

Treffpunkt für kriminelle Zwecke missbraucht?

Brisant an der Gewalttat ist der Ort, an dem die beiden Entführungsopfer festgehalten wurden. An der von der Staatsanwaltschaft genannten Adresse befinden sich neben Ateliers von Kreativen auch die Räumlichkeiten der FCZ-Fansozialarbeit. Und genau dort solle sich die Tat ereignet haben, sagen gut informierte Quellen.

Das von Stadt, Kanton und dem Fussballklub finanzierte Projekt versteht sich selbst als niederschwelliges Betreuungs- und Beratungsangebot für junge Fussballfans, insbesondere für solche in schwierigen Lebenssituationen. Auch die städtische Politik wirkt mit – etwa die städtische SP-Präsidentin Liv Mahrer oder, bis vor einem halben Jahr, der derzeitige FCZ-Sicherheitschef und grüne Gemeinderat Luca Maggi.

Das Projekt stiess mit seinen Ressourcen zunehmend an Grenzen. Denn in den letzten Jahren ist die Anhängerschaft des FC Zürich stark gewachsen – mit Auswirkungen auf die Fansozialarbeit. Man könne die Aufgaben «nur mit Lücken wahrnehmen», heisst es im jüngsten Jahresbericht.

Den Treffpunkt für junge Fans betreibt der Verein seit fünf Jahren im Basislager. Dieser Begegnungsraum basiere auf dem Grundsatz der Partizipation. Die Anhänger sollen mitwirken, mitbestimmen und mitarbeiten.

Die Frage lautet bloss: Haben einzelne gewaltbereite Exponenten das Lokal für kriminelle Zwecke missbraucht?

Es gibt zwar mehrere Hinweise, die auf eine Beteiligung von Personen aus dem Lager der FCZ-Ultras hindeuten. Offiziell bestätigen wollen die Behörden dies allerdings nicht. Die Staatsanwaltschaft will sich dazu mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äussern.

Auch für die Verantwortlichen des Fanprojekts ist die Angelegenheit heikel. Marcel Tappeiner, Präsident der Fansozialarbeit, sagt auf Anfrage: «Selber waren wir nicht vor Ort.» Zum Zeitpunkt des Vorfalls sei der Container der Fansozialarbeit geschlossen gewesen. Einbruchsspuren habe man nicht festgestellt.

«Wir wurden bisher nicht offiziell kontaktiert. Wir haben lediglich Gerüchte vernommen, wonach es zu Polizeikontrollen im Hof gekommen ist», sagt Tappeiner. «Klar ist für uns aber, dass wir gesetzwidriges Verhalten nicht tolerieren.» Der Vorstand habe nun einen Rechtsanwalt eingesetzt, der sich an die Polizei gewendet habe, um weitere Informationen zu erhalten.

«Räume waren für uns nicht mehr geeignet»

Sicher ist: Die Situation rund um das Lokal der Fansozialarbeit hat sich in den letzten Monaten immer mehr zugespitzt. So sehr, dass das Projekt in Altstetten inzwischen keine Zukunft mehr hat. Ende Februar kündigte der Verein das Lokal im Basislager. Seither befindet sich ein Inserat auf der digitalen Pinnwand der Containersiedlung, mit dem die Leiterin der Fansozialarbeit nach einem Nachmieter sucht.

István Scheibler von der Geschäftsstelle des Basislagers bestätigt, dass die Fansozialarbeit bereits auf Ende Februar gekündigt hat. Das Projekt sei fast fünf Jahre im Basislager umgesetzt worden. Das Verhältnis mit einigen anderen Mieterinnen und Mietern sei jedoch zunehmend angespannt gewesen, trotz runden Tischen und Besprechungen, sagt Scheibler: «Die unterschiedlichen Nutzungen konnten nicht miteinander vereinbart werden.»

Für Unruhe in der Containersiedlung sorgte ein Vorfall im Februar, nur Tage bevor der Verein als Mieter des Lokals kündigte. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten die Räumlichkeiten der Fansozialarbeit, die Polizisten nahmen Sofas und sogar die Heizung auseinander. Die Kantonspolizei Zürich bestätigt einen Einsatz an der Adresse.

Marcel Tappeiner sagt, die Polizei habe nach Cannabis und Kokain gesucht. «Nach unserer Information wurde aber nichts gefunden.» Die Räume seien tagsüber geöffnet, in dieser Zeit sei die Sozialarbeit nicht durchgehend betreut. Am Abend seien die Räume geschlossen.

Die Kündigung des Lokals habe mit den Vorfällen aber nichts zu tun, sagt Tappeiner. «Wir geben die Räume auf, weil sie für uns nicht mehr geeignet waren. Es funktionierte mit den Nachbarn nicht.» So seien die Räume beispielsweise nicht schallisoliert, was mit Jugendlichen nicht einfach sei. «Es wackelte alles, wenn die Jugendlichen die Treppen rauf- und runtergerannt sind.»

Das Projekt soll laut Tappeiner aber weitergeführt werden. «Wir sind auf der Suche nach einem geeigneten und bezahlbaren Standort.»

Entführung nach dem Diebstahl einer Klubfahne

Die Ermittler versuchen nun zu klären, wie es zum Entführungsfall hat kommen können. Was steckt hinter der Gewalttat? Worum dreht sich die Auseinandersetzung zwischen den Gruppierungen? Antworten darauf finden sich womöglich auch im Basislager.

Es wäre nicht das erste Mal, dass militante Anhänger des FC Zürich in eine Entführung verwickelt sind. Vor mehr als fünfzehn Jahren gerieten gewaltbereite Ultras wegen Festhaltens eines GC-Fans in die Schlagzeilen. Es war der Höhepunkt einer Fehde, die sich um den Diebstahl einer Klubfahne hochgeschaukelt hatte.

Besagte Fahne wurde von GC-Fans beim Einbruch in ein FCZ-Fanlokal erbeutet. Um sie zurückzubekommen, statteten mehrere FCZ-Ultras einem GC-Fan in der Region Aarau einen Hausbesuch ab. Der Mann sollte dazu genötigt werden, Aussagen zur Fahne zu machen. Die FCZ-Ultras verprügelten ihn, verbanden ihm die Augen und setzten ihn in ein Auto. Auch den Computer des Opfers nahmen die Täter mit.

Weil Nachbarn Alarm geschlagen hatten, endete die Entführung eine halbe Stunde später. Die Polizei rief auf dem Handy des Entführten an, worauf die Entführer ihr Opfer freiliessen.

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