Samstag, September 28

Mit seinem Reformprogramm ist Javier Milei im Kongress einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Trotz erbittertem Widerstand oppositioneller Gruppen stehen 55 Prozent der Bevölkerung nach wie vor hinter ihm.

Der Senat hat das seit Monaten im Kongress verhandelte Reformpaket der argentinischen Regierung Milei genehmigt. Damit kann die Regierung entscheidende Weichenstellungen bei Wirtschafts- und Finanzthemen teilweise per Dekret vornehmen. Vor dem Kongress kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen radikalen oppositionellen Gruppen und der Polizei. Milei dankte den Sicherheitskräften, dass sie einen Putschversuch verhindert hätten.

Zwar muss die Reformagenda jetzt noch zur erneuten Lesung ins Abgeordnetenhaus, das Risiko, dass das Reformpaket noch abgelehnt wird, ist allerdings relativ gering. Damit ist Milei ein halbes Jahr nach Amtsantritt mit seinen Reformplänen einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Jüngst machte der argentinische Präsident Javier Milei vor allem im Ausland von sich reden. Denn er ist so etwas wie ein Pop-Star, auch bei der Rechten. So beschimpfte er auf dem Parteitag der rechten VOX-Partei den spanischen Präsidenten und dessen Frau.

Mithilfe von US-Unternehmern möchte Milei aus Argentinien ein weltweites Entwicklungszentrum für künstliche Intelligenz machen. So besuchte er Elon Musk im Silicon Valley und mehrere der dortigen Internet-Milliardäre wie Sam Altman (Open AI), Tim Cook (Apple), Sundar Pichai (Google) und Mark Zuckerberg (Meta).

Milei ist erfolgreich bei der Inflationsbekämpfung

Eindeutig positiv fällt seine Bilanz bei der Reduzierung des Haushaltsdefizits und der Inflation aus. Seit Anfang Jahr ist der argentinische Staatshaushalt zum ersten Mal seit vielen Jahren ausgeglichen. Das hat Milei mit einem brutalen Sparkurs erreicht. Vor allem die Sozialausgaben sowie die Renten und Transferzahlungen wurden radikal gekürzt.

Dabei musste Milei gar nicht viel streichen, sondern einfach nur die Erhöhungen zulassen, die unter der Inflationsrate lagen. Bei einer Inflation von rund 211 Prozent bei seinem Amtsantritt im Dezember 2023 passte die Regierung die Staatsausgaben weniger stark an, als der Peso monatlich an Wert verlor. Die Renten haben seit Jahresbeginn zum Beispiel rund 30 Prozent an Wert eingebüsst – nach Abzug der Inflation.

Gleichzeitig sinkt die Inflation von Monat zu Monat: Im Dezember lag die Inflationsrate bei 25 Prozent – pro Monat. Im April waren es «nur» noch knapp 9 Prozent. Für Mai wird eine Geldentwertung von rund 5 Prozent erwartet. Wegen der zweistelligen Inflationsraten um die Jahreswende summiert sich die Abwertung bis Anfang Mai aber immer noch auf rund 290 Prozent in zwölf Monaten.

Nach der Mega-Abwertung des Peso gegenüber dem Dollar um 50 Prozent bei Amtsantritt im Dezember waren der offiziell festgelegte Wechselkurs und der Schwarzmarktkurs zum Dollar erstmals über mehrere Monate gleich geblieben. Die Regierung wertet den Peso jeden Monat um 2 Prozent ab. Doch in den letzten Wochen hat der schwarz gehandelte «dólar blue» in den legalen Wechselstuben gegenüber dem Peso an Wert gewonnen.

Die Finanzinvestoren setzen weiterhin auf Milei

An den Finanzmärkten setzen die Investoren nach wie vor auf den Erfolg der Regierung Milei. Der Index argentinischer Unternehmen, die an der Wall Street in Dollar gehandelt werden, ist seit Jahresbeginn um 34 Prozent gestiegen. Die Risikoprämie – also der Zinsaufschlag, den Investoren für argentinische Anleihen im Vergleich zu US-Anleihen verlangen – ist seit Jahresbeginn um rund 400 Basispunkte gesunken.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Argentinien wieder Kredite gewährt. Mit ihnen kann das Land allerdings nur die fälligen Zinsen und Tilgungen für die Kredite des IWF bezahlen. Selbst das zu Beginn zögerliche China hat einen wichtigen Staatskredit erneuert, den Argentinien sonst hätte zurückzahlen müssen.

Überraschend ist, dass Präsident Milei trotz dem harten Sparkurs weiterhin populär ist: Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Ecolatina von Ende Mai bewerten 55 Prozent der Bevölkerung Milei und seine Regierung immer noch positiv oder neutral. Dabei ist die Armutsrate in den vergangenen zwölf Monaten sprunghaft gestiegen. Laut einer soeben veröffentlichten Studie der katholischen Universität UCA leben 55 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Es scheint jedoch, dass die Bevölkerung keine Hoffnung in die peronistische Opposition setzt, dass sie das Land aus der schweren Krise manövriert. Die Strassenschlachten vor dem Kongress seien Aktionen kleiner organisierter Gruppen, sagt Diego Pereira von der Investmentbank JP Morgan. Sie sollten nicht als generelle Verschlechterung der allgemeinen Zustimmung für Milei gewertet werden.

Allerdings ist die anfängliche Euphorie an den Finanzmärkten inzwischen einer gewissen Skepsis gewichen. Im Vorfeld der Senatsentscheidung wuchsen die Zweifel, ob es Milei gelingt, seinen Reformkurs fortzusetzen. Weiterhin sind in der unberechenbaren Innenpolitik Argentiniens jederzeit Rückschläge möglich.

Auch mit dem positiven Senatsentscheid ist Milei vom rettenden Ufer noch weit entfernt. Ein Ende der Rezession ist nicht in Sicht. Die Wirtschaft wird dieses Jahr voraussichtlich zwischen 2 und 4 Prozent schrumpfen. Die Industrieproduktion ist seit Jahresbeginn um 20 Prozent eingebrochen, die Bauwirtschaft um 40 Prozent. Die nach zwei Dürrejahren erwartete Rekordernte dürfte die Rezession etwas abmildern.

Die Regierung hofft, dass in- und ausländische Unternehmen mit ihren Investitionen einen Wachstumsschub auslösen werden. Argentinien verfügt über grosse Rohstoffvorkommen wie Kupfer und Lithium, die für die weltweite Energiewende wichtig sind. Das Land besitzt zudem eines der grössten Erdgasvorkommen der Welt. Auch die Landwirtschaft ist international konkurrenzfähig. Präsident Milei will ausländischen Investoren erstmals erlauben, Agrarland zu kaufen.

Argentinier sollen ihre Dollar im Land investieren

Vor allem möchte die Regierung die Argentinier selbst dazu bewegen, ihre hohen Dollarbestände zu investieren. Dazu müssen aber die Kapitalverkehrskontrollen und das staatlich regulierte Wechselkurssystem beendet werden. Nur wenn Investoren ihre Kapitalerträge uneingeschränkt abziehen können, werden sie bereit sein, in Argentinien zu investieren.

Eine Liberalisierung der Kapitalmärkte vor Jahresende ist jedoch unwahrscheinlich. Denn noch hat die Zentralbank zu wenig Dollarreserven angehäuft, um einen plötzlichen Run auf den Dollar sowie fällige Zins- und Tilgungszahlungen auf die Auslandsschulden bezahlen zu können.

Vor Mitte Juli werde die Reform kaum abgeschlossen sein, sagt der neue Kabinettschef Guillermo Francos. Die Regierung habe sich beim ersten Reformversuch zu viel vorgenommen, so Francos selbstkritisch. Bislang konnte Milei mit seiner grossen Popularität die Opposition im Kongress in Schach halten, obwohl seine Partei dort nur über eine Minderheit der Sitze verfügt. Doch der Wind könnte drehen, wenn es an der Reformfront keine Fortschritte mehr gibt.

Die entscheidende Frage ist, wie der Präsident reagieren wird, wenn die wirtschaftliche Erholung weiter auf sich warten lässt und seine Popularität sinkt: Denn selbst wenn es Milei gelingen sollte, die Inflation auf unter 4 Prozent im Monat zu drücken, sind das immer noch 60 Prozent Entwertung im Jahr. Das ertrügen die Menschen nur, wenn sie eine Perspektive hätten, dass die Durststrecke irgendwann vorbei sei, sagt der Ökonom Fabio Giambiagi.

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