Donnerstag, November 28

Ein Sommersturm, ein unsicherer Ankerplatz und technische Schwächen im Jachtdesign führten 2020 zu einer Katastrophe vor Korsika, die vermeidbar gewesen wäre. Daraus hätte auch die Crew der im August 2024 verunglückten «Bayesian» wichtige Schlüsse ziehen können.

Der Fall der im August 2024 untergegangenen Luxussegeljacht «Bayesian» mit tragischen Folgen erinnert an einen Vorfall, der sich am 25. September 2020 an der Westküste Korsikas ereignet hat. Dieser zeigt, wie sich mehrere Faktoren zu einem Unfall zusammenfügen:

Ein Sommersturm, der heftiger ist als von der Crew erwartet; ein Ankerplatz, der nicht so sicher ist, wie die Crew glaubt; technische Details im Design der Jacht, die sie leichter kippen und Wasser aufnehmen lassen, als es sinnvoll wäre; ein regulatorischer Rahmen, der ein solches Jachtdesign für die Fahrt auf See zulässt.

Die Crew ist in diesem Fall keine Profimannschaft, sondern sie besteht aus Amateuren – normalen Seglern. Die Gefahren sind offensichtlicher, das technische Versagen – etwa eine gerissene (im Seglerjargon «gebrochene») Leine – weniger komplex. Der regulatorische Rahmen betrifft nicht ein spezielles Schiff, sondern alle Segler, die zu dieser Zeit in dieser Region unterwegs sind. Die Umstände der Unfälle ähneln denen der «Bayesian», nur haben wir es bei der «Be Bop» nicht mit der Superjacht-Variante des Ankerplatz-Unfalls zu tun, sondern mit derjenigen, deren Zutaten jedem normalen Segler auf einer mittelgrossen Fahrtenjacht hätten begegnen können. Schauen wir uns diesen Fall genauer an:

Vom Traumstrand aufs Felsriff

Das Ehepaar Charles und Marianne Roux bricht im Juli 2020 mit seinem Boot «Be Bop» des Typs Feeling 10.90 von Cap d’Agde an der französischen Mittelmeerküste zu einer dreimonatigen Reise auf. Sie sind 67 und 66 Jahre alt und segeln seit 42 Jahren. Beim Eintritt in den Ruhestand haben sie sich die «Be Bop» gekauft.

Ende September segeln die beiden entlang der Südwestküste von Korsika. Mit an Bord ist der 78-jährige Henri, ein Freund der Eigner. Am 24. September, einem Donnerstag, ankern sie in der Anse de Sainte-Barbe im südlichen Golf von Ajaccio.

Als am Nachmittag eine Sturmwarnung für die Nacht von Freitag auf Samstag eintrifft, ruft Marianne in den Häfen von Ajaccio an, bittet um einen Liegeplatz für zwei Nächte, um Schutz vor dem Sturm zu finden. Aber sowohl die Marina Tino Rossi mit 250 Liegeplätzen als auch der Hafen Charles d’Ornano mit 835 Liegeplätzen weisen die «Be Bop» ab mit der Begründung, sie hätten keine freien Plätze mehr.

Marianne, eine passionierte Taucherin, prüft daraufhin bei einem Tauchgang eine der Bojen für Gastlieger in der Anse de Sainte-Barbe auf den Zustand des Grundgeschirrs. Die Boje erscheint solide. Also holt die Crew der «Be Bop» den Anker ein und macht an der Boje fest.

Aus dem Unglück anderer lernen . . .

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Am nächsten Morgen um 8 Uhr ruft die Eignerin erneut in den beiden Häfen im vier Seemeilen entfernten Ajaccio an. Vom Hafenmeister in Tino Rossi wird sie schroff abgewiesen. Die Marina Charles d’Ornano kann ebenfalls keinen Liegeplatz anbieten, stellt aber in Aussicht, im Laufe des Vormittags eventuell einen freien Platz vergeben zu können. Gegen 10 Uhr macht die Crew einen Ausflug mit dem Beiboot zum Strand.

Marianne wählt erneut die Nummer der Marina im Norden der Bucht, aber wieder gibt es keinen Platz für die «Be Bop». Der Hafenmeister empfiehlt der Crew, sich in den nördlichen Teil der Bucht zu verschieben («verholen») und dort direkt vor dem Jachthafen vor Anker zu gehen. Die Crew entscheidet jedoch, den Sturm in der Anse de Sainte-Barbe an der Boje abzuwarten («abwettern») und verdoppelt die Festmacherleinen zwischen Jacht und Boje.

Am Abend zieht der Sturm auf. Und er entwickelt sich zu einem schweren Sturm mit Orkanböen. Um 22 Uhr übernimmt Marianne die erste Ankerwache. Der Skipper Charles und der Mitsegler Henri begeben sich in ihre Kojen, um später in der Nacht für ihre Wache bereitzustehen. Doch zu diesen Wachen wird es nicht mehr kommen. Um kurz vor Mitternacht werden die beiden von Marianne geweckt: «Sie hat sich losgerissen!» Im Pyjama eilt der Skipper an Deck, startet den Motor und versucht, die «Be Bop» in Richtung Norden aus der Anse de Sainte-Barbe zu steuern. Marianne bemüht sich, einen sicheren Kurs am Kartenplotter abzulesen.

Die Jacht ist in Gischt getaucht, die Sichtweite beinahe null. Die Eignerin schafft es noch, per Handy die Seenotleitstelle zu alarmieren, als die «Be Bop» von zwei heftigen Brechern so schwer auf die Seite geworfen wird, dass der Mast das Wasser berührt. Marianne blickt aus der Kabine heraus ins Cockpit: Ihr Mann steht noch am Ruder.

Im nächsten Moment durchfährt den Rumpf der Jacht ein Zittern. Eine Welle stürzt durch den Niedergang in die Kabine. Marianne klettert gegen das eindringende Wasser nach draussen. An Deck kann sie sich noch gegen einen Brecher stemmen, der die Jacht überläuft. Der nächste reisst sie mit sich ins Meer. Von dort sieht sie ihren Mann hilferufend am Ruder stehen, die Jacht auf Felsen geworfen. Dann treibt sie im wild schäumenden Wasser ab.

Wie verhält sich ein Mensch in einer solchen Situation? Gibt er auf, oder kämpft er? Sicherlich hängt dies in Teilen von der Persönlichkeit und der Fitness ab. Aber im Falle von Marianne vielleicht auch von einem Zufall: Neben ihr treibt eine der Schwimmflossen ihrer Tauchausrüstung. Sie schafft es, sich die Flosse anzuziehen. In einiger Entfernung kann sie Lichter am Ufer ausmachen. Darauf schwimmt sie zu.

Nach etwa dreissig Minuten hat sie das Ufer fast erreicht. Sie hält inne, zählt den Rhythmus der brechenden Wellen aus, passt den richtigen Moment ab, beschleunigt mit letzter Kraft und lässt sich von der Brandung ans Ufer spülen. Es ist der Strand eines Hotels, an dem sie gelandet ist. Als sie tropfend und frierend in der Rezeption auftaucht, ruft das Personal sofort Feuerwehr und Polizei an.

Fatale Fehleinschätzung

Bei der nachfolgenden Rettungsaktion kann nur der tote Körper von Henri geborgen werden. Charles’ Leiche wird am Nachmittag von einer Polizeistreife am Strand gefunden. Eine Untersuchung der Boje ergibt: die Leinen, mit denen die «Be Bop» an der Boje festgemacht war, sind im Sturm gerissen.

Der Untersuchungsbericht stellt nüchtern fest: Die Wahl eines ungeschützten Bojenplatzes in Kombination mit dem Fehlen eines Plans für den Fall, dass die Boje nicht hält, haben zur Strandung der Jacht auf dem Felsriff beigetragen.

Offenbar hat der Skipper die Gefahren, der die «Be Bop» ausgesetzt gewesen ist, unterschätzt. Allerdings war die Crew, vor allem die Eignerin, sehr darum bemüht, einen sicheren Platz in einem der näheren Häfen zu bekommen. Das Verhalten der Hafenmeister, Jachten bei aufziehendem Sturm abzuweisen, ist mehr als fragwürdig. Wären doch Sachschäden in einem überfüllten Hafen das geringere Übel gegenüber Unfällen mit Todesfolge ausserhalb des Hafens.

Das geltende Recht verlangt von ihnen nur, Schiffen, die sich in unmittelbarer Not befinden, Zuflucht zu gewähren. Als Konsequenz aus diesem Unglück sind viele französische Jachthäfen aber dazu übergegangen, keine Schutz suchenden Schiffe bei mehr als 40 Knoten Windgeschwindigkeit in der Vorhersage abzuweisen.

Welche Optionen wären der Crew am Morgen des 25. September, also etwa acht Stunden vor dem Sturm, geblieben? Die Westküste Korsikas bietet bei Westwind wenig Schutz. Die nächsten sicheren Häfen sind Cargese im Norden und Bonifacio im Süden, beide etwa sechs Stunden Fahrzeit entfernt. Spätestens bei Sonnenuntergang war die Crew der «Be Bop» aber in einer Lage, in der sie keine sicheren Optionen mehr hatte – eine Lage, in die sich kein Segler von einem Hafenmeister hineinmanövrieren lassen sollte.

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