Montag, November 25

Die Entdeckung des James-Webb-Weltraumteleskop ist spektakulär: Nur 400 Millionen Jahre nach dem Urknall gab es bereits Schwarze Löcher mit mehreren Millionen Sonnenmassen. Wie konnten diese Objekte so schnell so gross werden?

Auf den ersten Blick macht die Galaxie GN-z11 nicht viel her. Da sind der sperrige Name und die Tatsache, dass sie auf Teleskopaufnahmen aussieht wie ein Klecks. Doch Forscher schätzen diese Galaxie nicht aufgrund ihres Aussehens, sondern wegen ihres Zentrums: Dort haben sie das bislang älteste bekannte Schwarze Loch aufgespürt.

Nur rund 400 Millionen Jahre nach dem Urknall – und der ist 13,8 Milliarden Jahre her – verschlang dieses Schwarze Loch die Materie in seiner Wirtsgalaxie GN-z11 und brachte diese zum Leuchten. Der Nachweis des Schwarzen Lochs gelang mit dem James-Webb-Weltraumteleskop, die Studie der Forscher um Roberto Maiolino von der University of Cambridge ist in der Fachzeitschrift «Nature» erschienen.

Ein Schwarzes Loch, das noch hungrig ist

Dieses uralte Schwarze Loch aus der Frühzeit des Universums bringt es auf mehrere Millionen Sonnenmassen und ist damit dem supermassereichen Schwarzen Loch im Zentrum unserer eigenen Galaxie, der Milchstrasse, gar nicht so unähnlich. Dort hören die Ähnlichkeiten allerdings auf: Seine Wirtsgalaxie ist nur rund ein Hundertstel so gross wie die Milchstrasse, und im Gegensatz zu «unserem» supermassereichen Schwarzen Loch befindet es sich ganz und gar nicht in einer Ruhephase: «Dieses Schwarze Loch verschlingt sehr viel Materie, ungefähr das Äquivalent von einer Sonnenmasse alle fünf Jahre», sagt Maiolino.

Da Materie nicht geradlinig in ein Schwarzes Loch hineinpurzeln kann, bildet sich in seiner Umgebung eine sogenannte Akkretionsscheibe, eine wirbelnde Scheibe aus Materie, aus der sich das Schwarze Loch speist. Die Akkretionsscheibe wird stark erhitzt und beginnt zu leuchten.

Dieses charakteristische Leuchten konnte das Team um Maiolino nun nachweisen: Denn was damals, nur 400 Millionen Jahre nach dem Urknall, im hochenergetischen UV-Bereich des elektromagnetischen Spektrums vom Zentrum der Wirtsgalaxie ausgesendet wurde, ist inzwischen aufgrund der Expansion des Universums im Infrarotbereich aufzuspüren: Und das James-Webb-Weltraumteleskop ist darauf ausgelegt, hochaufgelöste Spektren im Infrarotbereich aufzunehmen.

Für das Spektrum wird das Licht quasi in seine Einzelteile zerlegt. Charakteristische Linien können den Forschern etwas über die chemische Zusammensetzung und über Gegebenheiten des beobachteten Objekts verraten. Im Falle des ältesten Schwarzen Lochs waren es vor allem Linien des chemischen Elements Neon, die darauf hindeuteten, dass sich im Zentrum der Galaxie ein aktives Schwarzes Loch verbirgt.

«Als ich das Spektrum zum ersten Mal gesehen habe, war ich überwältigt», sagt Pascal Oesch von der Universität Genf. Oesch und seine Kollegen hatten die Galaxie GN-z11 erst 2016 entdeckt. Damals galt sie als älteste jemals entdeckte Galaxie, jedoch mit einem kleinen Schönheitsfehler: «Sie war fast ein bisschen zu hell», sagt Oesch. Somit gab es Zweifel, ob die Galaxie wirklich so alt und so weit entfernt war, wie die Forscher glaubten – und ausserdem gab es keine gute Erklärung für ihre aussergewöhnliche Helligkeit.

Die Entdeckung des Schwarzen Lochs in ihrem Zentrum löst nun das Problem: GN-z11 ist so hell, weil das Schwarze Loch in seiner Mitte so gefrässig ist. «Diese winzige Region im Zentrum der Galaxie ist heller als alle Sterne in der Wirtsgalaxie zusammen», sagt Maiolino.

Die traditionelle Erklärung für das Wachstum versagt

Das Schwarze Loch in der Galaxie GN-z11 ist kein Einzelfall. Nur eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gab es bereits Schwarze Löcher mit Milliarden von Sonnenmassen. Das stellt Wissenschafter vor ein Problem: Wie schaffen es diese unsichtbaren Giganten, innerhalb einer kosmisch kurzen Zeit so gross zu werden?

Das traditionelle Szenario, wie ein Schwarzes Loch wachsen kann, geht so: Am Ende seiner Entwicklung kollabiert ein massereicher Stern und explodiert als Supernova. Zurück bleibt ein kleines Schwarzes Loch, das wachsen kann, indem es Materie auf sich versammelt. Doch bis aus einem solchen kleinen Schwarzen Loch ein supermassereiches mit Milliarden Sonnenmassen wird, sollten Milliarden von Jahren vergehen. Mit welchem Trick also können die supermassereichen Schwarzen Löcher aus der Frühzeit des Universums das so viel schneller geschafft haben?

Forscher gehen vor allem von zwei Szenarien aus: Entweder bilden sich supermassereiche Schwarze Löcher aus kleinen «Saatkörnern» und schaffen es danach irgendwie, mehr Masse anzusammeln, als es nach unserem derzeitigen Verständnis möglich sein sollte. Oder aber sie umgehen die Route über den Sternenkollaps: Vielleicht konnten in der Frühzeit des Universums riesige Gaswolken oder Sternhaufen direkt zu grösseren «Saatkörnern» kollabieren und mit diesem Startvorsprung anschliessend gemächlich weiterwachsen.

Welches der beiden Szenarien richtig ist, kann auch das Schwarze Loch in der Galaxie GN-z11 nicht beantworten. Aber eines ist klar: Mit mehreren Millionen Sonnenmassen nur 400 Millionen Jahre nach dem Urknall ist es zu massereich, um die traditionelle Route genommen zu haben: «Das traditionelle Szenario können wir definitiv ausschliessen», sagt Maiolino.

Maiolino geht davon aus, dass der jetzige Rekord nicht lange Bestand haben wird und schon in einigen Monaten gebrochen werden könnte. Schliesslich hat das James-Webb-Weltraumteleskop erst vor knapp zwei Jahren damit begonnen, dem jungen Universum seine Geheimnisse zu entlocken. In Zukunft wollen Forscher mit ihm noch tiefer in die Vergangenheit blicken.

Und was ist aus der Galaxie GN-z11 und ihrem gefrässigen Schwarzen Loch geworden? Wir werden ihre Entwicklung im Laufe der Jahrmilliarden nie beobachten können. Aber wahrscheinlich werden in ihr Sterne entstanden sein, das Schwarze Loch wird sich früher oder später beruhigt haben. Wahrscheinlich sei die Galaxie noch weiter gewachsen, sagt Pascal Oesch, habe sich weiterentwickelt: «Die Chancen stehen gut, dass sie inzwischen Teil einer riesigen elliptischen Galaxie ist, ohne Sternentstehung und mit einem ruhigen Schwarzen Loch im Zentrum.»

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