Dienstag, November 26

Sie inszenieren sich als Helden, haben aber oft keine Ahnung vom Bergsteigen. Selfies von den Gipfeln der 8000er können für Influencer Zehntausende Dollar wert sein.

Devon Levesque machte im Mai einen Rückwärtssalto auf dem Gipfel des Mount Everest. Das hätte vermutlich weiter keine grosse Aufmerksamkeit erzielt, wäre der Amerikaner nicht ein Fitness-Influencer. Eine Million Follower bei Instagram sorgten dafür, dass das Video von diesem «Highest Altitude Backflip» nicht nur rasend schnell viral ging. Auch Print-Medien berichteten darüber.

Auf den Gipfel von hohen Bergen sind schon viele Dinge passiert, die man dort nicht automatisch verorten würde: 2016 spielten zwei Bergsteiger zwanzig Meter unterhalb des Gipfels der Annapurna (8091 Meter) eine Partie Schach. Ein anderer packte 2013 auf dem Gipfel des Cho Oyu (8188 Meter) seine Posaune aus und blies die Bayern-Hymne. Weiter interessiert hat das aber niemanden.

Levesque dagegen stieg einzig und allein für den grossen Auftritt auf den mit 8848 Metern höchsten Berg der Welt. Er ist nicht der einzige Influencer. Es gibt immer mehr Leute, die den Mount Everest und die anderen Achttausender als Bühne nutzen. Victoria Bonya zum Beispiel. 1979 im sibirischen Krasnojarsk geboren, lebt die Nutzniesserin kosmetischer Chirurgie mit einem Talent für Selfie-Posen heute in Monaco. Bonya ist unverhohlene Putin-Sympathisantin und Kriegspropagandistin. Bekannt wurde sie, weil sie aus Protest gegen Chanel eine Handtasche zerschnitt. Chanel hatte zuvor wegen Putins Krieg in der Ukraine alle Filialen in Russland geschlossen und angekündigt, überhaupt keine Produkte mehr an Russen zu verkaufen. Darüber hinaus ist Bonya Model, TV-Sternchen und Influencerin mit 11,3 Millionen Followern bei Instagram. Ihr Talent: Sie kann sich makellos zurechtmachen. Eines ist sie jedoch nicht: Bergsteigerin.

Sie betont ihre Anstrengungen – die Rundumbetreuung durch Sherpas verschweigt sie

2022 klappte es denn auch nicht mit der Besteigung des Manaslu, dem mit 8163 Metern achthöchsten Berg der Welt. In diesem Sommer war die Beauty-Influencerin zuerst einige Tage in Chamonix. Das war ihre Vorbereitung auf den Himalaja. Ein paar Wochen später konnte sie dann den Gipfelerfolg vermelden – nicht ohne vorher in anderen Posts ihre Schlauchbootlippen in die Kamera zu halten. Ihre Klagen über die Mühen und die Anstrengungen des Bergsteigens steigert ihre Achtung bei den Anhängern noch deutlich. Die Rundumbetreuung durch die einheimischen Sherpas erwähnt sie geflissentlich nicht.

Influencer wie Levesque oder Bonya treibt eines an: das Geschäft. Wer etwas erlebt, kann interessanten Content liefern. Auch in den Alpen gibt es Berg-Spots, die die Instagram-Gemeinde anziehen. Die Drei Zinnen in Südtirol, die Hängebrücke an der Olpererhütte in Tirol oder der Seealpsee im Appenzellerland. Und genauso versprechen auch die steil aufragenden Himalaja-Riesen beeindruckende Bilder und Abenteuer in Fels und Eis.

Fast nebenbei könnten die Influencer spannende Inhalte erstellen, die sie auf ihren Social-Media-Kanälen präsentierten und die dann auch Views und Interaktionen wie Kommentare und Likes erzeugten und bestenfalls zusätzliche Follower fänden, erklärt Christian Rudeloff, Professor an der Hochschule Macromedia in Hamburg. «Das erhöht die Reichweite der Influencer-Accounts und bietet weitere Möglichkeiten für die Monetarisierung.» Tatsächlich kann so ein Gipfelfoto mehrere zehntausend Dollar wert sein.

Aber nicht nur das. Influencer könnten an den hohen Bergen auch deutlich machen, wie wichtig Werte wie «Growth» und «Erfolg als eine Frage des Willens» für sie seien, erklärt Rudeloff. «Das ist für die Follower relevant und trägt allenfalls zu einer stärkeren Identifizierung mit dem Influencer bei. Auch für potenzielle Werbepartner ist dies relevant, weil diese in der Regel vor einer Kooperation prüfen, ob die Werte des Influencers zu jenen der zu bewerbenden Marke passen.» Nicht zu vergessen das Product-Placement, das zusätzliche Einnahmen generiert.

Genau darin unterscheiden sich Influencer von Bergsteigern, die die sozialen Netzwerke als Kanäle nutzen, um von ihren Erlebnissen zu erzählen. Früher schrieben Alpinisten Bücher oder gaben lange Interviews in Zeitungen und Zeitschriften, um zu erklären, was ihren Erfolg so besonders macht. Heute müssen ernstzunehmende Bergsteiger eine grosse Fangemeinde im Internet haben. Das verlangen allein schon die Sponsoren. Erfolgreiche Beispiele sind Jackson Groves mit 445 000 Followern bei Instagram, Simone Moro (320 000) oder Dani Arnold (237 000).

Influencer wie Levesque und Bonya haben dagegen schon viele Follower, wenn sie zu einem Berg reisen. Was auf die höchsten Berge der Welt zukommen könnte, hat Anja Blacha, die erfolgreichste deutsche Höhenbergsteigerin, erlebt. Als sie 2017 zum ersten Mal an einem Achttausender war – es war der Mount Everest –, habe sie den typischen Expeditionsteilnehmer als «männlich, Mitte vierzig, mitten in der Midlife-Crisis» erlebt. Das habe sich extrem verändert. «Am Manaslu waren in diesem Herbst ausgesprochen viele junge Frauen mit aufgespritzten Lippen, gebotoxter Stirn und gemachten Brüsten.» Der Manaslu gilt als Einsteiger-Achttausender.

Der Everest – Gipfel der Selbstvermarktung

Das Phänomen der Influencer kennt auch Lukas Furtenbach. Sein Unternehmen Furtenbach Adventures ist der grösste westliche Expeditionsanbieter an den Achttausendern in Himalaja und Karakorum. Auch er bekommt immer wieder Anfragen von Influencern, die mit ihren Followern werben, um vergünstigt oder sogar kostenlos auf den Everest oder andere Achttausender steigen zu können. «Wir haben das zweimal gemacht. Es hat sich für uns aber nicht ausgezahlt», sagt Furtenbach. Die Zielgruppe seines Unternehmens sei eine andere. Leute wie Victoria Bonya würde er nicht mitnehmen, sagt Furtenbach. «Unsere Kunden brauchen ein höheres Niveau.»

Gipfel der Selbstvermarktung ist der Mount Everest. Als höchster Berg der Welt ist er auch jenen ein Begriff, die keine Ahnung vom Bergsteigen haben. Das macht es für Influencer einfach. Auch den französischen Gamer und Youtuber Inoxtag zog es in diesem Frühjahr an den Everest. Entstanden ist eine zweieinhalbstündige Dokumentation. 11 Millionen Aufrufe konnte Inoxtag in den ersten 24 Stunden für seinen Film über die Everest-Besteigung verbuchen. 36 Millionen Aufrufe hatte er innerhalb eines Monats; zudem lief der Film in Kinos und im Fernsehen. Der Subtext: Finde deinen eigenen hohen Berg.

Obwohl Inoxtag im Gegensatz zu den meisten anderen Influencern die Everest-Besteigung nicht auf die leichte Schulter nahm, er sich sogar ein Jahr darauf vorbereitete und mithilfe eines Bergführers lernte, sich am Fels und auf dem Gletscher zu bewegen und seine Steigklemme unfallfrei einzusetzen, rief die Dokumentation Kritiker auf den Plan.

Marc Batard, der sich in den 1980er Jahren als Everest-Sprinter einen Namen machte, indem er als Erster überhaupt in weniger als 24 Stunden vom Basislager auf den Gipfel stieg und dabei auf Flaschensauerstoff verzichtete, sagte im französischen Fernsehsender BFM: «Natürlich spricht man dank Inoxtag positiv über die Berge, vor allem bei einem jüngeren Publikum. Aber das Risiko besteht darin, dass seine Videos andere Leute dazu bringen, die Besteigung zu versuchen», sagt der Bergsteiger.

Hat insbesondere durch Inoxtag der Mount Everest noch mehr von seinem Zauber verloren, wie Kritiker dem Youtuber vorwerfen? Lukas Furtenbach sieht die Sache entspannt. Als es noch keine Influencer gab, seien es reiche Celebritys gewesen, die auf die hohen Berge hinaufwollten, sagt der Innsbrucker Expeditionsveranstalter. Zu einem Problem würden Influencer erst, wenn durch sie die Teilnehmer anderer Expeditionen zu Schaden kämen.

Für Inoxtag hat sich der Mount Everest ausgezahlt. 8 Millionen Follower hatte er Mitte September bei Youtube. Nach dem Launch des Films schnellten die Zahlen so steil in die Höhe wie der Aufstieg vom letzten Hochlager hinauf zum Everest-Gipfel. Mittlerweile sind es 8,7 Millionen.

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