Mittwoch, Oktober 2

Dill-Bundi gewann 1980 an den politisch aufgeladenen Spielen in Moskau die 4000-Meter-Einerverfolgung. Und trat er mit seiner berühmten Geste eine Kontroverse los. Man nannte ihn einen Landesverräter, der mit dem kommunistischen System sympathisiere.

Das Ambiente beim Olympiasieg von Robert Dill-Bundi hätte kaum trostloser sein können. Keine Nationalhymne, keine Schweizer Fahne, kaum Zuschauer auf der Tribüne, kein bundesrätliches Gratulations-Telegramm. Die Umstände waren der politischen Brisanz geschuldet: Es waren die höchst umstrittenen Sommerspiele von 1980 in Moskau, die von den USA und anderen Nationen boykottiert wurden, weil die kommunistischen sowjetischen Gastgeber Krieg führten.

Auch die Schweiz erwog, dem Anlass fernzubleiben. Nach einer Abstimmung, die knapp mit Ja ausfiel, stellte sie schliesslich doch eine (redimensionierte) Delegation. Und diese trat in Moskau unter olympischer Flagge an. So ertönte dann eben die olympische Hymne und nicht der Schweizerpsalm, nachdem der Walliser Radrennfahrer Dill-Bundi in der 4000-Meter-Einerverfolgung zu Gold gestürmt war. Reporter waren nur wenige zugegen. Die NZZ etwa hatte darauf verzichtet, Sportjournalisten von Zürich aus nach Moskau zu entsenden.

So weit, so unspektakulär. Doch dann entstand dieses ikonische Bild, das um die Welt ging, von dieser Szene, die mancher als Provokation auffasste. Als Dill-Bundi den Final gegen den Franzosen Alain Bondue mit riesigem Vorsprung gewonnen hatte, legte er sein Rad zur Seite, kniete nieder – und küsste die Bahn. Dill-Bundi wollte dies als spontane Geste verstanden haben, und lediglich als Zeichen, dass er das Oval von Krylatskoje doch noch liebgewonnen habe. Denn zunächst war er auf der schwierig zu befahrenden Holzpiste zweimal gestürzt.

In der Schweizer Heimat jedoch wurde sein Kuss auch anders interpretiert – und eine Kontroverse losgetreten. Man nannte den erst 21 Jahre alten Burschen einen Landesverräter, der offenbar mit dem kommunistischen System sympathisiere. Dill-Bundi wollte sich aus derlei politischen Diskussionen heraushalten.

Gehirntumore, epileptische Anfälle, Herzattacken: Seiner Gesundheit blieb nichts erspart

Angesichts der fehlenden Gegner aus den Boykott-Ländern wurde auch darüber debattiert, wie viel sein Olympiasieg überhaupt wert sei. Die Nachrichtenagentur «Sportinformation», damals eine Instanz, machte unter den Abwesenden keine ebenbürtigen Gegner aus und wollte daher nichts von einer Abminderung des Triumphs wissen. Dill-Bundi wurde 1980 zum Schweizer Sportler des Jahres gewählt. Er hatte in Moskau sicher auch von der Aerodynamik seines silbernen Helms und seines glänzenden, einteiligen Rennanzugs profitiert.

Men's 4000 m Individual Pursuit at the 1980 Summer Olympics.flv

Danach versuchte sich Dill-Bundi als Profi im Strassenradsport, mit überschaubarem Erfolg. Einmal gewann er eine Etappe des Giro d’Italia. Zurück auf der Bahn lief es besser: 1983 errang er in Zürich WM-Silber in der Einerverfolgung, ein Jahr darauf in Barcelona sogar WM-Gold im Keirin. Nach der Profikarriere wurde er Trainer und Verbandsfunktionär. Aber das Glück sollte ihn nach und nach verlassen. In den letzten 25 Jahren seines Lebens ging fast alles in die Brüche.

Gehirntumore, epileptische Anfälle, Herzattacken: Seiner Gesundheit blieb nichts erspart. Er war dem Tod schon vor vielen Jahren nahe, ehe eine neuartige Therapie, die Stromstösse durch das Gehirn jagte, sein Leben verlängerte. Auch eine zweite Ehe scheiterte, und er verlor sein ganzes Vermögen. 2013 erlitt Dill-Bundi in der Westschweiz am Steuer eines Autos ein Blackout, was eine Massenkarambolage mit Schwerverletzten verursachte. Ein Gericht verurteilte ihn zu einer Strafe. Seine Jobs beim Rad-Weltverband UCI in Aigle konnte er nicht mehr ausüben.

Dill-Bundi lebte fortan als IV-Rentner in einer kleinen Wohnung am Existenzminimum. Er versuchte sein Schicksal mit Fassung zu tragen. Als ihn die «NZZ am Sonntag» 2016 besucht, ist er lebensfroh und redselig. Er sagt lapidar: «Immerhin bin ich noch da. Andere sind schon gestorben.» Und erzählt, dass er nur darum Olympiasieger geworden sei, weil er keine reichen Eltern gehabt habe.

Sein Blick sei regelrecht furchteinflössend gewesen

Dill-Bundi wächst als Einzelkind bei einer alleinerziehenden Mutter auf. Um sich während der Ausbildung etwas zu verdienen, arbeitet er auf einem Golfplatz als Caddie. Als er 600 Franken zusammen hat, will er bei einem Zweirad-Händler ein Mofa kaufen. Doch dieser erklärt ihm, ein solches koste das Doppelte, für diesen Betrag kriege er höchstens ein oranges Rennrad.

Also nimmt Dill-Bundi das Velo, um wenigstens irgendeinen fahrbaren Untersatz zu haben. Seine motorisierten Kollegen belächeln ihn – was bei ihm einen ungeheuren Ehrgeiz weckt. Wenn er gegen sie mit reiner Muskelkraft antritt, stampft er wie ein Wahnsinniger in die Pedale. Und diesen Willen bewahrt er sich bis in den Olympia-Final in Moskau. Sein dortiger Gegner Alain Bondue berichtete später, Dill-Bundis Blick in ihrem Duell sei regelrecht furchteinflössend gewesen. Dill-Bundi sagte dazu, wenn ihm wieder einmal die Zimperlichkeit abging: «Ich wollte meinen Gegner zerstören.» Und: Gegen diese «Schiis-Bahn» habe er Krieg geführt.

Der Radsport löste in der jüngeren Vergangenheit bei Dill-Bundi immer weniger positive Emotionen aus. 2016 sagte er sogar, dass er froh sei, dass sein Sohn trotz Talent früh den Rücktritt von diesem Sport gegeben habe.

Am Montag bestätigte die Familie, dass Robert Dill-Bundi im Alter von 65 Jahren verstorben ist. Nur wenige Tage davor war ihm sein ehemaliger Trainer Josef Helbling vorausgegangen. Dill-Bundi ist bis heute der einzige Schweizer Rad-Olympiasieger auf der Bahn.

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