Dienstag, Oktober 8

Henri-Georges Clouzot leuchtete genial in menschliche Abgründe. Aber der Franzose war auch ein Irrer, der Darstellerinnen geschlagen hat, um besonders emotionale Reaktionen zu bekommen.

Im schummrigen Licht eines spärlich ausgestatteten Hinterzimmers empfängt ein Psychiater einen Arzt zum Plausch. Der Arzt ist seit Tagen Opfer von Drohbriefen, die in einer französischen Kleinstadt verteilt werden und ihm unter anderem illegale Liebschaften andichten. In einer dramatischen Geste schubst der zwielichtige Psychiater die von der Decke baumelnde Lampe an, und im daraus folgenden Spiel aus Licht und Schatten philosophiert er von der gleichzeitigen Existenz des Guten und des Bösen im Menschen. Der Arzt will ihm widersprechen und versucht, die Lampe mit seiner Hand anzuhalten, verbrennt sich dabei aber die Finger.

Diese berühmte Szene aus «Le corbeau» (1943) ist nicht nur im Kontext der Kollaboration im Vichy-Frankreich besonders vielsagend. Sie beschreibt auch das Programm des Filmemachers Henri-Georges Clouzot, eines Giganten des Weltkinos, dem das Filmpodium in Zürich nun eine Personale widmet. Das Doppelbödige, Ambivalente im Menschen ist der Stoff, aus dem er einige der mitreissendsten Filme gemacht hat, die es gibt.

Hitchcock war inspiriert

Clouzot, der 1907 in Niort geboren wurde, gehört zu den Regisseuren, deren Filme man ein wenig fürchtet. Das liegt daran, dass er den Abgrund des Menschlichen in seinen am deutschen Expressionismus geschulten Perspektiv- und Schattenspielen ausleuchtet wie kaum ein anderer. Er wurde mit Hitchcock verglichen, weil Hitchcock sich von ihm inspirieren liess, aber auch, weil seine Figuren ähnlich gefährlich leben.

Happy Ends interessierten Clouzot nicht. Moralisch korrektes Handeln noch weniger. Selbst die Kinder in seinen Filmen sind schon verdorben, sie lügen, spionieren, schlagen. Liebe wird grundsätzlich nicht erwidert. Erotik hat mit Sadismus zu tun. Das wärmste Gefühl ist das irgendwann einsetzende Bedauern. Das menschlichste Gefühl ist die Angst. Es herrschen zynische Machtstrukturen, niemand entkommt.

Wiederholt hat Clouzot Augen vor zerbrochenen Spiegeln gefilmt, zersplitterte Gestalten, zerbrochene Leben. Nun hat es immer jene gegeben, die einen solch dunklen Blick auf die Wirklichkeit verteufeln. Als wäre es die Aufgabe des Kinos, uns aufzurichten und tröstend anzulügen. Clouzot hat darauf selbst die beste Antwort gefunden: Es gehe darum, das Gute durch das Böse, das Wahre durch das Falsche zu erkennen. Ein Ansatz, der in Zeiten eines Kinos, das sich übertrieben um moralisch integre Figuren bemüht, aufweckt.

Denn aus den Abgründen Clouzots erwächst eine Faszination, ja eine Erotik, die letztlich einen Spiegel auf das wirft, was man in sich selbst vielleicht lieber verdrängen würde. Ein Schaudern setzt ein, man lernt sich besser kennen und lässt sich verführen in die dunklen Welten, die im Kino manchmal heller schillern als jede Vernunft. Jedenfalls hat Clouzot eine erstaunliche Reihe unvergesslicher Filme gedreht. «L’assassin habite au 21», «Quai des Orfèvres», «Manon», «Le salaire de la peur» oder «Les diaboliques». Vor allem die letzten beiden stechen heraus.

Ein unvergessliches Bild

«Le salaire de la peur» ist wohl einer der spannendsten Filme überhaupt. Es geht um einige verlorene Söldner in Brasilien, die für einen amerikanischen Ölkonzern Sprengflüssigkeit quer durch das Land transportieren müssen. Durchgehend spürt man, was es bedeutet, in jeder Sekunde explodieren zu können. Darin mag man nun eine Metapher für das Atomzeitalter sehen oder handwerklich perfekt umgesetzte Suspense.

«Les diaboliques» dagegen ist ein zynisch-perfider Albtraum von geplanten und realisierten Morden rund um eine Dreiecksbeziehung. Wer einmal gesehen hat, wie Simone Signoret mit dunkler Sonnenbrille als Lehrerin genervt über den Pausenhof torkelt, wird das Bild nie wieder los. Clouzot hat Bilder geschaffen, die man glaubt, schon einmal geträumt zu haben.

Bei all seinen Qualitäten darf man nicht übersehen, dass Clouzot ein sehr problematischer Charakter war. Wiederholt hat er etwa Darstellerinnen am Set geschlagen, um besonders emotionale Reaktionen zu bekommen. Auch seine Zusammenarbeit mit der Continental, jener berüchtigten deutschen Filmproduktionsfirma im besetzten Frankreich, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert.

Clouzot kannte Alfred Greven, der die Firma leitete, aus seiner Zeit in Deutschland, wo er auch für die UFA arbeitete. Nach dem Krieg wurde Clouzot auf Verlangen hochrangiger Intellektueller begnadigt, tatsächlich hat er auch für die Continental tolle und subtil kritische Filme wie «Le corbeau» realisiert.

Truffaut hat ihn verkannt

Clouzot, der sich vornehmlich Pfeife rauchend in der Öffentlichkeit zeigte, fühlte sich wohl im sogenannten Polar, dem französischen Noir-Film, der rund um den Zweiten Weltkrieg besonders stark florierte. Undurchsichtige Gestalten, nebelverhangene Gassen und sich in faszinierende Obsession ergiessende Amoralität finden sich in all seinen Filmen. Sein Stil ist kühl, man könnte ihn heute wohl mit jenem Michael Manns vergleichen.

Die Filme sind präzise durchkomponierte, elegante, hermetische Skulpturen. Clouzots jüngere Kollegen wie François Truffaut haben ihm fehlende Spontanität vorgeworfen. Aber Clouzot erinnert daran, dass manchmal entscheidend ist, ob die Kamera zwei Zentimeter weiter links oder rechts steht. Manchmal liegt nur ein Zentimeter zwischen Vertrauen und Betrug, Gut und Böse.

Wer sich genauer mit dem Werk befasst, entdeckt einen Filmemacher, der mit dem Kino in die bisweilen mysteriöse Wirklichkeit eindringen wollte. Das darf man ganz wörtlich verstehen. Es geht nicht nur um haptische Erfahrungen mit Farben und Formen (besonders virulent in seinen kinetischen Experimenten rund um den unrealisiert gebliebenen «L’enfer» und sein Spätwerk «La prisonnière» (1968)), sondern um ein Eintauchen in die Dinge und Welten.

Es ist bezeichnend, dass der Kameramann William Lubtchansky im faszinierenden Dokumentarfilm «L’enfer d’Henri-Georges Clouzot» (2009) davon berichtet, wie Clouzot ihn aufforderte, rhythmisch zu zoomen, so dass er einen Koitus mit der Bewegung des Bildes imitierte. Wer sehen will, was das Kino zu leisten imstande ist, kommt an Clouzot nicht vorbei.

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