Sonntag, Oktober 6

Bei dem Traditionsunternehmen aus Parma ist derzeit Hochsaison, die Produktion von Dosentomaten läuft nonstop. Doch Wetterextreme bereiten Europas Marktführer Sorgen – ebenso wie Importe aus China.

«Unsere Kosten sind im Moment leider viel höher, als wir erwartet haben», sagt Francesco Mutti. Der 55-Jährige ist in vierter Generation Geschäftsführer des gleichnamigen Konservenherstellers, er war 26, als er im Jahr 1994 die Führung des Familienunternehmens übernahm. Im norditalienischen Montechiarugolo bei Parma treibt die Familie Mutti seit 125 Jahren Neuerungen bei der Herstellung von Tomatenkonserven voran. Die Gründer des Unternehmens, die Brüder Marcellino und Callisto, gelten als die Erfinder von Tomatenmark aus der Dose.

Doch für Europas Marktführer wird die Kalkulation des Geschäfts zunehmend zu einem Problem. Schuld daran sind die steigenden Tomatenpreise und die Klimaveränderungen, die im Mittelmeerraum besonders rasant vonstattengehen.

Geringerer Ertrag als in vergangenen Jahren

Jetzt gerade ist Hochsaison, die Produktion in den drei Konservenfabriken läuft rund um die Uhr. Während 70 Tagen fährt Francesco Mutti sein ganzes Jahresgeschäft ein. Zum 31. Mal, seit er sein Erbe antrat, steuert er nun die eng getaktete Produktion. Zwischen Mitte August und Mitte September erreicht die Ernte der sonnengereiften Tomaten ihren Höhepunkt.

«Der Ertrag pro Hektare ist bis jetzt niedriger als im Durchschnitt der vergangenen Jahre», sagt Mutti. Bereits 2023 hatte das Unternehmen unter einer Tomatenknappheit zu leiden. Wie die Gesamternte in diesem Jahr ausfallen werde, wisse man noch nicht. «Wir sind extrem den klimatischen Phänomenen ausgesetzt», so der Geschäftsführer. Starke Regenfälle in den kommenden Tagen, wie sie Norditalien bereits im ganzen Monat Mai erlebt hat, könnten dem Ertrag spürbar schaden.

Mutti ist ein Paradebeispiel für den internationalen Erfolgskurs der italienischen Nahrungsmittelindustrie. Der Firmenerbe stellte das Geschäft mit der Dosentomate auf den Kopf und eroberte mit seiner Qualitätsstrategie den Weltmarkt. Er verdoppelte den Umsatz mit fein zerstückelten, geschälten oder passierten Tomaten in den vergangenen fünf Jahren auf 665 Millionen Euro. Mutti ist die Lieblingsmarke der Italiener, erzielt mittlerweile aber 53 Prozent des Umsatzes im Ausland.

Tomaten leiden unter Hitzestress

Der Fall des Konservenherstellers in der norditalienischen Po-Ebene zeigt aber auch, wie stark die Klimakrise der italienischen Landwirtschaft und ihren weltweit begehrten Erzeugnissen zu schaffen macht. Sogar die Tomate, die unangefochtene Königin der italienischen Esskultur, leidet zunehmend unter der Erderwärmung und dem raschen Wechsel von Dürreperioden und Starkregen.

Dabei ist der Wasserverbrauch der Tomatenpflanze mit 50 Litern pro Kilo eher niedrig. Zum Vergleich: Für ein Kilo Weizen sind 1100 Liter Wasser erforderlich. Doch im Unterschied zu anderen Pflanzen benötige der Goldapfel, der «pomodoro», konstant Wasser, sagt Mutti. Zudem mögen Tomaten keinen Hitzestress. Hohe Temperaturen wirken sich genau wie starke Regenfälle negativ auf den Ertrag aus. «Dass wir hier in Norditalien in den vergangenen drei Jahren zwei Wetterextreme erlebt haben, ist sehr bedenklich», sagt der Unternehmer.

Die klimatische Instabilität ist auf der Mittelmeer-Halbinsel zur neuen Normalität geworden. Das Jahr 2022 war für die Gegend um Parma, wo zwei Drittel der 800 Vertragslandwirte von Mutti ihre Tomatenfelder bestellen, eines der fünf trockensten der vergangenen 100 Jahre. 2024 dagegen ist unter den fünf regenreichsten Jahren.

Um sich auch in schwierigen Jahren ein ausreichendes Angebot an Qualitätstomaten zu sichern, zahlt Mutti den Bauern einen Aufpreis für ihre Ernte. 2024 gibt es 240 Euro pro Tonne. Zusätzlich steckt Francesco Mutti in diesem Jahr 10 Millionen Euro in Qualitätsprämien. So sollen seine Landwirte die Ernteeinbussen besser wegstecken können.

Tomaten aus China bedrohen das Geschäft

Die höheren Produktionspreise in Italien sind jedoch eine Gefahr für die Branche. «Wir laufen als Land Gefahr, Tomatenimporten aus China die Tür zu öffnen», sagt Mutti. China hat in jüngster Zeit massiv in das Tomatengeschäft investiert, die Produktion hat sich innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt. Nach sechs Millionen Tonnen im Jahr 2022 strebt die Volksrepublik in diesem Jahr eine Ernte von 11 Millionen Tonnen an. «Für Verbraucher, die auf Qualitätsprodukte setzen, ist das irrelevant», sagt er. Doch der Tomaten-Boom der Chinesen würde unweigerlich den Druck auf die Hersteller von Billigware erhöhen.

Die Massenware aus Asien kommt in Schiffen nach Europa. In den italienischen Häfen werden die Container mit Tomatenkonzentrat entladen. Während es in Italien verboten ist, das Tomatenmark mit Wasser zu verdünnen und dann als Sauce oder Ketchup auf den Markt zu bringen, fehlen in den Nachbarländern stringente Vorschriften. Ein Händler kann die gepanschten Konserven, womöglich mit italienischer Herkunftsbezeichnung, also problemlos in einem anderen Land einkaufen.

«Die China-Importe sind heute ein europäisches Problem», sagt Mutti. Er fordert, dass die Bestimmungen EU-weit verschärft werden, um dem Etikettenschwindel Einhalt zu gebieten. Die Zeiten, in denen die westlichen Regierungen der Wirtschaft und den Verbrauchern Zugang zu Niedrigpreis-Produkten aus China ermöglichen wollten, seien vorbei. Heute herrsche eine andere Sensibilität. «Sobald wir aufhören, für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft Sorge zu tragen, und sie an die Chinesen verkauft haben, sind wir in ihren Händen», meint der Italiener warnend.

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