Donnerstag, Oktober 31

Wegen der Zuwanderung leben immer mehr Menschen in der Schweiz. Der Ausländeranteil wäre noch höher, wenn nicht viele eingebürgert würden. Eine Analyse in Text und Grafik.

Die Schweiz hadert mit der hohen Zuwanderung. Selbst die Wirtschaftsverbände, die die EU-Personenfreizügigkeit befürworten, befürchten mittlerweile, dass der starke Zustrom die Bevölkerung überfordern könnte. Sie verlangen deshalb, dass der Bundesrat mit der EU eine Schutzklausel aushandelt.

Tatsächlich sind seit Beginn der Personenfreizügigkeit mit der EU viele Ausländer in die Schweiz gekommen. Die Nettomigration seit 2002 betrug 1,536 Millionen Personen – das ist die Differenz zwischen Zugewanderten und Ausgewanderten.

Im Jahr 2002 wohnten bereits rund 1,5 Millionen Ausländer in der Schweiz. Die starke Nettozuwanderung hätte also dazu führen können, dass sich die Zahl der Ausländer in der Schweiz innert zwei Jahrzehnten verdoppelt. Der Ausländeranteil wäre von rund 20 Prozent auf 36 Prozent gestiegen.

Doch dazu ist es nicht gekommen. Tatsächlich betrug der Ausländeranteil im Jahr 2023 «nur» 27 Prozent. Der Grund dafür ist, dass viele Zuwanderer zu Schweizern geworden sind. Die NZZ hat Zahlen dazu ausgewertet, die das Bundesamt für Statistik jährlich veröffentlicht.

Einbürgerungen dämpfen den Ausländeranteil

Seit 2002 haben durchschnittlich rund 40 000 Ausländer pro Jahr das Schweizer Bürgerrecht erhalten. Insgesamt sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten über 800 000 Ausländer eingebürgert geworden – genau: 865 000.

Die Einbürgerungen haben das Wachstum der ausländischen Wohnbevölkerung deutlich gedämpft. Die Zahl der Ausländer hat sich deshalb seit 2002 nicht verdoppelt. Stattdessen ist sie von 1,5 Millionen auf 2,4 Millionen gestiegen.

Mittel gegen das Schrumpfen

Die Statistiken zeigen verschiedene bemerkenswerte Entwicklungen.

Erstens würde die Zahl der Menschen mit Schweizer Bürgerrecht bereits seit 1992 schrumpfen, wenn nicht Ausländer eingebürgert würden. Dass die Bevölkerung mit Schweizer Pass dennoch deutlich gewachsen ist, liegt allein am Dazustossen eingebürgerter Ausländer. Dies macht ein Blick auf einen längeren Zeitraum seit 1981 deutlich, für den entsprechende Daten verfügbar sind.

Andere Faktoren, die die Grösse der Schweizer Bevölkerung beeinflussen, spielen demgegenüber eine vernachlässigbare Rolle. So könnte die Bevölkerung wachsen, wenn es einen Geburtenüberschuss gäbe (mehr Geburten als Todesfälle). Doch bei den Schweizerinnen und Schweizern war es in den vergangenen zwei Jahrzehnten tendenziell umgekehrt. Ebenfalls wanderten mehr Schweizer aus ihrer Heimat aus – beispielsweise, um ihre Pensionierung im Ausland zu verbringen –, als in die Schweiz zurückkehrten. Nur die Einbürgerungen sorgten dafür, dass die Bevölkerung mit Schweizer Pass nicht schrumpfte.

Italiener vor Serben und Deutschen

Zweitens werden vor allem «ältere» Ausländergruppen eingebürgert – also solche, die schon lange in der Schweiz ansässig sind.

Die grösste Gruppe der Eingebürgerten sind die Italiener. Seit 2002 erhielten rund 104 000 den Schweizer Pass. Viele von ihnen dürften seit Jahrzehnten in der Schweiz leben oder hier geboren sein. Danach folgen Menschen aus Serbien und Montenegro (102 000) sowie Deutschland (91 000). Ähnlich viele Einbürgerungen gab es bei den Portugiesen (51 000), Türken (51 000) und Franzosen (46 000).

Mithin gibt es verschiedene Gruppen von Ausländern. Die Zuwanderer, die im Rahmen der Personenfreizügigkeit seit 2002 gekommen sind, gehören zur jüngeren Generation der Arbeitsmigranten. Oft bleiben sie auch nicht lange in der Schweiz: Im Durchschnitt hat die Hälfte der Zuwanderer aus EU-Ländern die Schweiz nach drei Jahren wieder verlassen. Im Gegensatz dazu stammen die Eingebürgerten oft aus früheren Einwanderergenerationen, die geblieben sind.

Dies ist auch nicht erstaunlich. Die Schweizer Regeln für Einbürgerungen gelten im internationalen Vergleich als restriktiv. Um im ordentlichen Verfahren den roten Pass zu erhalten, muss jemand seit mindestens 10 Jahren in der Schweiz gelebt haben.

Dazu kommt eine Mindestaufenthaltsdauer in der Gemeinde und im Kanton, wo die Einbürgerung beantragt wird. Auch muss eine Person belegen, dass sie erfolgreich integriert und mit den schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut ist. Je nach Kanton kommen weitere Integrationsvoraussetzungen dazu. Erleichterte Verfahren gibt es etwa für Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern.

Grosse Unterschiede zwischen den Kantonen

Drittens gibt es grosse Unterschiede bei den Einbürgerungsquoten zwischen den Kantonen. Am wenigsten Ausländer werden in der Ostschweiz eingebürgert. Im Kanton Appenzell Innerrhoden waren es im Jahr 2023 0,2 Prozent der ansässigen Ausländer. Deutlich grosszügiger ist man in der Westschweiz. In der Waadt wurden im Jahr 2023 über 3 Prozent der ausländischen Wohnbevölkerung eingebürgert.

Diese Unterschiede stossen immer wieder auf Kritik. So fordert eine von der SP lancierte Volksinitiative einheitliche Regeln für die ganze Schweiz und eine deutlich grosszügigere Einbürgerungspraxis. Andere Vorschläge zielen darauf ab, zumindest hier geborene Ausländer (Secondos) unbürokratisch einzubürgern. Solche Reformen würden die Zahl der Einbürgerungen in der Schweiz deutlich erhöhen.

Allerdings zeigen die hier präsentierten Statistiken, dass die Einbürgerungen schon heute ein gewichtiger Faktor sind. Jedes Jahr erhalten rund 40 000 Ausländerinnen und Ausländer den Schweizer Pass. Diese Einbürgerungen sind ein wichtiger Grund dafür, warum der Ausländeranteil in der Schweiz nicht stärker gestiegen ist – trotz rekordhoher Zuwanderung in den letzten zwei Jahrzehnten.

Exit mobile version