Welche Länder nun ihre Gasversorgung überdenken müssen – und wie sich der Gasmarkt verändern wird.
Sie trotzte dem Kalten Krieg, dann dem Zusammenbruch der Sowjetunion und auch der Maidan-Revolution: Über die sogenannte Transitroute strömte fast fünfzig Jahre lang ununterbrochen russisches Pipeline-Gas durch die Ukraine nach Europa.
Doch am 1. Januar 2025 war damit Schluss.
Wieso strömt kein Gas mehr durch die Ukraine?
Der ukrainische Staatskonzern Naftogaz hat einen auslaufenden Transitvertrag mit dem russischen Gaslieferanten Gazprom nicht verlängert. Die ukrainische Regierung erklärte, damit Putins Kriegskasse schaden zu wollen. Gemäss Schätzungen entgehen dem russischen Staatshaushalt als Folge des nun verhängten Transitstopps jährliche Einnahmen von über 5 Milliarden Dollar. Doch auch die Ukraine hatte mit dem Transitabkommen Geld verdient: Nach Abzug der Kosten für die Instandhaltung der Pipeline soll das russische Gas dem Land jährlich 100 bis 200 Millionen Dollar eingebracht haben.
Was bedeutet der Transitstopp für die Gasversorgung in Europa?
Die Transitroute lieferte zuletzt knapp 5 Prozent der gesamten Gasimporte in die EU. Für einzelne Staaten war die Abhängigkeit von russischem Pipeline-Gas der Transitroute jedoch gross.
Welche Länder sind am stärksten betroffen?
In der Moldau hängt die abtrünnige Region Transnistrien beinahe vollständig vom russischen Gas ab. Der Lieferstopp hat in dem Land eine Stromversorgungskrise ausgelöst, weil fast 80 Prozent der Elektrizität von einem Gaskraftwerk stammen, das mit russischem Gas betrieben wurde. Kurzfristig will die Moldau den Engpass mit der Verstromung von Kohle abfedern. Dazu will das Land Strom aus Rumänien und Gas aus Bulgarien importieren, was für die Moldau jedoch höhere Energiepreise bedeuten dürfte.
Die Slowakei bezog bis zum Jahreswechsel knapp zwei Drittel ihrer gesamten Gasimporte über die Transitroute. Zwar hat die slowakische Regierung in den letzten Monaten vorgesorgt: So schloss der Energieversorger SPP im November ein Gasabkommen mit dem aserbaidschanischen Energiekonzern Socar ab. Über Tschechien und Polen strömt zudem nun Gas in die Slowakei, das zuvor in Speichern in Deutschland gelagert wurde. Doch die gelieferten Mengen dürften für die Slowakei teurer sein als das zuvor aus Russland bezogene Gas.
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico warf der ukrainischen Regierung deshalb vor, sie verursache mit ihrer Blockade der Gaszufuhr durch die Transitroute eine Wirtschaftskrise in der Slowakei und ganz Europa. Im Gegenzug, sagte Fico, werde die Slowakei der Ukraine künftig keinen Strom mehr liefern – eine Drohung, die in den ersten Tagen des neuen Jahres noch keine Auswirkungen auf die Stromflüsse zwischen den beiden Ländern zeigte. Zudem kündete Fico an, seine Regierung werde die Unterstützungsmassnahmen für ukrainische Flüchtlinge überprüfen.
Auch Österreich importierte bis vor wenigen Wochen grosse Mengen russisches Erdgas über die Transitroute. Wien musste sich allerdings schon länger mit der neuen Situation arrangieren: Gazprom hat seine Lieferungen an den österreichischen Energiekonzern OMV bereits im November aufgrund eines Rechtsstreits frühzeitig eingestellt.
Im Gegensatz zu den Politikern in der Slowakei forderte in Österreich kaum jemand, dass die Ukraine die Gaslieferungen weiterhin zulässt. Die österreichischen Gasspeicher sind gut gefüllt, zudem erhält das Land Gaslieferungen aus Deutschland und Italien.
Ungarn hat ebenfalls einen hohen Russland-Anteil bei der Gasversorgung, erhält seine Lieferungen aber grösstenteils über die Turk-Stream-Pipeline, die durch das Schwarze Meer führt. Diese ist nun neben der Blue Stream die letzte verbliebene Pipeline-Verbindung, über die weiterhin russisches Gas nach Europa strömt.
Wie viel russisches Gas gelangt nun noch nach Europa?
Massiv weniger als vor der russischen Invasion in die Ukraine. Noch 2021 kam fast die Hälfte des Gases in Europa aus Russland. 2024 schwankte Russlands Anteil an den gesamten Gasimporten der EU-Staaten zwischen 15 und 20 Prozent. Verschoben haben sich dabei die Lieferwege: Russisches Pipeline-Gas hat an Gewicht verloren, der Handel mit verflüssigtem Erdgas (LNG) aus Russland 2024 jedoch einen neuen Höchststand erreicht.
Die EU hat sich ein nicht verbindliches Ziel gesetzt, bis 2027 vollständig auf russisches Gas zu verzichten.
Was bedeutet der Wegfall der Transitroute für die Schweiz?
Die Schweiz beschafft ihr Gas primär aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien – allesamt Länder, die kein Gas von der Transitroute bezogen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Schweiz ohne russisches Gas auskommt: Allen voran Frankreich ist ein gewichtiger Importeur von russischem LNG und gibt Mengen davon an die Schweiz weiter.
Was sagt Russland zum Transitstopp?
Der russische Energiekonzern Gazprom schrieb in einer Medienmitteilung knapp, ihm werde verwehrt, weiterhin Gas über die Ukraine auszuliefern. Wladimir Putin hat sich letztmals im Dezember zum Thema geäussert. Er bezeichnete den sich anbahnenden Transitstopp als historisch, doch Russland und der Gaskonzern würden das Ereignis überleben: «Okay, wir kommen klar – und Gazprom kommt auch klar», sagte Putin.
Was sagt die EU?
Die EU-Kommission zeigte sich zum Jahreswechsel überzeugt, das Wegfallen der Transitroute meistern zu können. Sie betonte dabei drei Faktoren: Der Gasverbrauch der Mitgliedländer sei seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine gesunken. Zudem hätten die Mitgliedstaaten die Importkapazitäten für LNG ausgebaut sowie Gasreserven angesammelt.
Wird Europa diesen Winter frieren müssen?
Für diesen Winter scheint die Gasversorgung gesichert: Verhält sich der Verbrauch ähnlich wie in den vergangenen Wintern, könnten die Speicher ohne weitere Lieferungen die gesamte Nachfrage der EU-Staaten während zweier bis dreier Monate decken.
Was passiert darüber hinaus?
Im Frühling und Sommer werden die Europäer beginnen, ihre Speicher für den kommenden Winter wieder zu füllen. Dann wird sich zeigen, wie sie die ausbleibenden Gasmengen der Transitroute ersetzen wollen.
Es scheint klar, dass sich die EU-Länder anderen Handelspartnern als Russland zuwenden werden – etwa den USA, wo Donald Trump bereits angekündigt hat, er werde während seiner Präsidentschaft die heimische Gasindustrie ankurbeln. Je tiefer die Füllstände der europäischen Gasspeicher im Frühling sind, desto bestrebter dürften die Europäer nach neuen Lieferanten suchen – und dem Gaspreis so Auftrieb verleihen.