Freitag, Oktober 18

Die Autorin Rachel Eliza Griffiths spricht über Rassismus in Amerika und die Wunden, die die Messerattacke auf ihren Ehemann, den Autor Salman Rushdie, auch ihr zugefügt hat.

Ein «coup de foudre» sei das 2017 gewesen, als die amerikanische Autorin und Fotografin Rachel Eliza Griffiths auf den 30 Jahre älteren Schriftsteller Salman Rushdie traf. Damals hatte sie gerade das Manuskript für ihren ersten Roman fertiggestellt und hatte dessen Publikation in Aussicht. Während der Pandemie feierten Griffiths und Rushdie Hochzeit. Das Leben war gut. Dann stürzte während eines Auftritts von Rushdie ein Mann mit einem Messer auf die Bühne.

Rushdie überlebte die 15 Messerstiche, bleibt aber für immer gezeichnet von der Attacke. Griffiths schrieb in einem Essay für den «Guardian»: «Es starb auch etwas in mir, für das ich keine Sprache habe. In meinem Körper gibt es Klingen der Trauer und des Zorns, die mich von innen heraus schneiden und zerteilen. Ich wurde nicht durch das Messer verwundet, aber ich bin auch verwundet. Damit werde ich leben müssen.»

Während sie für ihren Mann «in den Superheldinnen-Modus» wechselte – so schreibt es Rushdie in «Knife», einer Auseinandersetzung mit der Attacke und auch einer Liebeserklärung an seine Frau – und ihm half, einen Weg zurück in den Alltag zu finden, arbeitete Griffiths an der Publikation ihres ersten Romans. «Promise» wurde 2023 publiziert und erzählt vom Rassismus im Amerika der fünfziger Jahre. Nun erschien die deutsche Übersetzung mit dem Titel «Was ihr uns versprochen habt».

Ihre Protagonistinnen sind junge Mädchen, fast noch Kinder. Zwei von ihnen erleben heftigen Rassismus. Haben auch Sie solche Erfahrungen gemacht?

Ich verfüge über ein mentales Buch voller Demütigungen. Als Kind mit meinen weissen Freunden in Shoppingmalls in Washington (DC) habe ich mich immer gefragt: Warum werde ich vom Sicherheitspersonal durch den Laden verfolgt und sie nicht? Von meinen Eltern wusste ich: Würden meine weissen Freunde tatsächlich etwas stehlen, wären die Konsequenzen für sie weniger schlimm als für mich. Denn allein dadurch, dass ich als schwarzer Mensch in den USA existiere, bin ich für manche dort eine Kriminelle.

Wie ist es heute?

Mittlerweile bin ich über vierzig – die Erfahrungen bleiben gleich. Ich betrete noch immer Räume, in denen ich weiss, ich werde nicht als ebenbürtig betrachtet, meine Gedanken und Ideen zählen weniger oder gar nicht. Das ist demütigend. Für mich ist es sehr wichtig, Bezugspersonen um mich zu haben, die mir immer wieder sagen: Nicht du bist der Fehler, sie sind es. Du bist nicht minderwertig. Dass du schlecht behandelt wirst, ist ein strukturelles Problem. Weil die amerikanische Gesellschaft Rassismus noch immer verinnerlicht hat.

Erinnern Sie sich an die letzte Situation, in der Sie diesen Rassismus zu spüren bekamen?

Kurz bevor ich mit meinem Mann nach Europa geflogen bin, hat mir eine Frau in einem Kosmetikgeschäft ihr Telefon mit dem Bild eines Produkts ins Gesicht gestreckt: «Ich brauche das.» Keine Begrüssung, kein «Bitte». Ich trug zwar nicht die Arbeitskleidung der übrigen Angestellten – aber wie diese war ich schwarz. Und die Frau war weiss. Sie ging einfach davon aus, dass ich sie bedienen würde.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe gefragt: «Warum denken Sie, dass ich hier arbeite?» Da wurde sie wütend.

Weil Sie ihr ihr Fehlverhalten vor Augen geführt haben?

Nein, weil sie nicht bekommen hat, was sie wollte, denke ich. Und falls es doch Scham war: Früher habe ich versucht, es anderen Menschen bequem zu machen, ihr Fehlverhalten zu überspielen oder sie nett darauf hinzuweisen. Aber das mache ich nicht mehr – zumindest nicht jedes Mal. Es ist nicht meine Schuld, wenn sie sich aufgrund ihres eigenen Verhaltens mir gegenüber unwohl fühlt. Man muss entscheiden, wann man die Kapazität hat, diese Gespräche zu führen und diese kostenlose Aufklärungsarbeit zu leisten.

Sich mit der Ungleichbehandlung auseinandersetzen zu müssen, bedeutet immer auch, Energie aufwenden zu müssen. Das erleben Frauen, das erleben Minderheiten.

Genau. Die Schriftstellerin Toni Morrison sagt, Rassismus sei eine Art Ablenkungsmanöver, weil man sich den ganzen Tag damit beschäftigen könnte – statt die Energie zum Beispiel in die eigene Karriere zu stecken.

Sie haben einen historischen Roman geschrieben, der in den fünfziger Jahren spielt und gleichzeitig zwei wichtige Themen der amerikanischen Gegenwart anspricht: Rassismus und Klassismus.

Wenn ich die gegenwärtige Situation aus der Perspektive der Generationen vor mir betrachte, jener Generationen, die daran geglaubt und gearbeitet haben, dass die Dinge sich ändern, die dafür manchmal gar ihr Leben gegeben haben – dann bricht es mir das Herz. Auf jeden grossen Schritt nach vorne scheinen sieben Schritte zurück zu folgen. Ich glaube aber auch, wir vergessen manchmal, dass die Bürgerrechtsbewegung noch nicht so alt ist.

Sie haben sich intensiv mit dieser noch nicht so alten Geschichte auseinandergesetzt. Lernt die amerikanische Gesellschaft daraus?

Wenn ich etwa von den Bücherverboten höre, die dafür sorgen, dass junge Schüler nichts mehr über die Rassismusgeschichte unseres Landes lernen, dann habe ich nicht diesen Eindruck, nein. Heute zu behaupten, es sei nicht mehr wichtig, über die Folgen von Sklaverei und Unterdrückung zu sprechen, weil sich die Gesellschaft verändert habe, ist falsch. Ebenso falsch ist es, die Bücher zu verbieten, weil man nicht will, dass besonders die weissen Kinder sich schlecht fühlen. Diese Auseinandersetzung ist nötig.

Viele Menschen würden Ihnen nun widersprechen: Gerade die Bücherverbote gehen ja oft auf private Initiativen zurück.

Das finde ich so schockierend – dass es vielleicht meine Nachbarn sind, die das wollen. Dass viele Menschen diese Ignoranz wollen. Genauso wie sie Trump wieder wählen wollen, obwohl sie gesehen haben, wie er unserem Land schadet. Sie wollen das erneut – weil sie sich davon versprechen, dass er Leute wie mich, schwarze Menschen, fernhält. Oder weil sie die Körper von Frauen kontrollieren wollen, indem sie Abtreibungen erschweren. Dabei geht es um viele Dinge, vor allem aber um Angst, Kapitalismus, Rassismus, Sexismus und weisse Vorherrschaft. Also um Macht. Macht über Frauen, Macht über Minderheiten.

Sie beschreiben in Ihrem Buch die Gegenreaktion, die die Bürgerrechtsbewegung in den fünfziger Jahren ausgelöst hat. Glauben Sie, mit einer Präsidentin Harris könnte das erneut passieren?

Der Backlash existiert, seit das Schiff «Mayflower» die ersten weissen Siedler von Europa nach Amerika gebracht hat; mit ihrer brutalen Weltsicht, die es überhaupt erst erlaubte, andere Menschen zu versklaven und nach Amerika zu bringen. Er setzte sich nach der Wahl von Präsident Barack Obama fort und ist nie verschwunden. Schuld daran sind die institutionellen und persönlichen Machthierarchien, die Amerika beherrschen. Die knappen Umfragewerte zwischen Harris und Trump deuten darauf hin, dass sich Amerika in einem heftigen Kampf um die Artikulation, Repräsentation und Kontrolle seiner Geschichte befindet.

«Was ihr uns versprochen habt» mit diesen beiden kämpferischen und fordernden schwarzen Protagonistinnen könnte eine Art Vorgeschichte zu einer Präsidentin Harris sein.

Unbedingt. 1957 hätte eine schwarze Frau niemals First Lady oder sogar Präsidentin werden können. Und doch hing das Versprechen bereits in der Luft, dass das irgendwann möglich wird – mit den Obamas wurde es Jahrzehnte später eingelöst. Und auch davor gab es wichtige Vorbilder. Meine Grossmutter väterlicherseits war eine der ersten schwarzen Bürgerrechtsanwältinnen auf dem Capitol Hill in Washington (DC). Ich bin mit Frauen aufgewachsen, schwarzen Frauen, die sich von der Welt nicht haben sagen lassen, was sie zu tun haben – und was zu lassen. Ich sehe meine Protagonistinnen Ezra und Cinthy als solche Vorreiterinnen. Als die Mütter von Frauen, die mehr fordern – und es auch bekommen. Frauen wie Kamala Harris.

Mit der Figur von Ruby und ihrer Familie forschen Sie aber auch nach Erklärungen für rassistisches Verhalten.

Ruby ist eine herzzerreissende Figur. Ihre Geschichte beginnt mit Träumen und Idealen. Sie ist naiv, aber darin liegt auch etwas durch und durch Gutes. Aber sie hat einen Vater, der dem traditionellen Weg weisser, männlicher Vorherrschaft nicht gewachsen war und zum Ausgestossenen wurde. Dazu eine komplett unbrauchbare Mutter. Was ihr bleibt, ist ihr Weisssein.

Ihr Mann, der Autor Salman Rushdie, ist weltbekannt. Ist es manchmal schwer, das Leben mit jemandem zu teilen, der im gleichen Gebiet, in dem man sich selber etablieren will, so erfolgreich ist?

Es wäre schwieriger, wenn wir gleich alt wären. So aber haben wir beide unsere eigene Generation: Er war bereits im 20. Jahrhundert eine wichtige Figur, ich dagegen fange jetzt gerade erst an. Wir sind keine Konkurrenten – wir unterstützen und feiern uns gegenseitig.

Sie schrieben im «Guardian», wie sehr die Messerattacke auf Ihren Mann auch einen Einschnitt in Ihr Leben bedeutet.

Ja, da hat sich mein Leben auf sehr dramatische Weise verändert. Ich besitze nicht mehr die gleiche Unversehrtheit wie davor. Ich erkenne jetzt, wo es mir bessergeht, dass ich durch diese Attacke eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten habe. Seit dem Angriff auf meinen Mann hat sich für mich die Landkarte dessen, was Sicherheit bedeutet, verschoben. Ich trauere um die Frau von damals, die ein anderes Verhältnis zur Welt hatte als die, die jetzt hier mit Ihnen zusammensitzt. Aber gleichzeitig lebt mein Mann. Wir reden viel darüber, wie wir uns fühlen, was sich in uns und um uns verändert hat und dass wir nicht wollen, dass das Geschehene uns fortan bestimmt.

Wie stemmt man sich gegen ein solches Trauma?

Wir lachen viel, wir reisen, wir sehen unsere Freunde, unsere Familien und versuchen mit unserem Leben auf die Art weiterzumachen, wie wir es wollen. Wir bleiben bewusst nicht in diesem Moment der Gewalt stecken. Und ich achte sehr genau darauf, was in meinem Kopf passiert. Denn sonst wohne ich plötzlich nur noch in einer kleinen Ecke eines kleinen Zimmers. Aber ich werde der Angst nicht nachgeben.

Die Fatwa gegen Ihren Mann wurde 1989 ausgesprochen. Sie lernten ihn 2017 kennen. Hat Sie das Thema Sicherheit damals beschäftigt?

Nein. Die Fatwa war für mich einfach ein Teil seiner Geschichte. Ich war traurig für ihn, dass er damit leben musste, und betrachtete ihn gleichzeitig als sehr mutig. Nun kam ein Teil seiner Geschichte in unsere Gegenwart. Ich hoffe, dass ich in ein paar Jahren auf diese Zeit zurückblicken und sagen kann: Ich habe mein Bestes gegeben, und ich fühle mich gut so, wie es jetzt ist. Ich gehe heute bewusster mit meiner Zeit und meiner Energie um. Und mit der Zeit, die ich mit meinem Mann habe.

Die Messerattacke hat die Möglichkeit, ihn zu verlieren, für einen Moment sehr real gemacht. Ihr Mann ist allerdings auch 31 Jahre älter als Sie – braucht es mehr Mut, sich auf eine Beziehung mit einem grossen Altersunterschied einzulassen?

Ich denke, wenn man jemanden trifft, der etwas ganz Besonderes ist, und man auch nur einen einzigen Tag mit dieser Person verbringen kann, will man diesen Tag haben. Egal, was auf dem Spiel steht. So war es jedenfalls für mich. Also egal, welche Zeit wir haben, wir freuen uns beide sehr darauf, sie miteinander zu teilen und zu geniessen.

Im Original heisst Ihr Buch «Promise» – «Versprechen». Welches Versprechen haben Sie sich selbst gegeben – und bisher gehalten?

Im Roman gibt es einen Moment zwischen den beiden Schwestern, in dem sie sich voneinander verabschieden und nicht wissen, ob sie sich jemals wiedersehen werden. Ezra sagt zu ihrer kleinen Schwester Cinthy: «Versprich mir, dass du den Mut hast, dein Leben zu lieben.» Das ist ein sehr intimes Versprechen, das ich mir selbst immer wieder aufs Neue gebe. Egal, welcher Schmerz oder welcher Hass mir entgegenschlägt.

Zum Buch

Ein historischer Roman von unerwarteter Dringlichkeit

nad. Rachel Eliza Griffiths erzählt in ihrem Debütroman von Rassismus und von der Gegenwehr, auf die gesellschaftliche Veränderungen bis heute treffen. «Was ihr uns versprochen habt» ist die Geschichte von drei sehr unterschiedlichen Mädchen im Amerika der fünfziger Jahre. Die Schwestern Ezra und Cinthy wachsen behütet und geliebt in einer von zwei schwarzen Familien im kleinen Städtchen Salt Point auf. Ezras bester Freundin Ruby dagegen fehlt es an allem, besonders an Liebe und Geborgenheit. Ihre Familie ist, was man abwertend «white trash» nennt. Dann erkennen alle drei Mädchen, wie sehr ihre Hautfarbe ihr Leben bestimmt. Wer Griffiths’ Roman liest, dürfte nicht erstaunt sein darüber, dass sie bereits fünf Gedichtbände publiziert hat: Ihre Sprache ist ebenso klar wie poetisch. Sie erzählt, wie die erstarkende Bürgerrechtsbewegung Ezra, Cinthy und ihrer Familie zu mehr Rechten verhelfen sollte – erst einmal aber ihr Leben gefährlich, schwer, fast unmöglich macht. Einen ähnlichen Backlash erlebte Amerika, als mit Barack Obama erstmals ein schwarzer Präsident ins Weisse Haus kam. Über ihre dritte Protagonistin, Ruby, erzählt Griffiths aber auch von Klassenunterschieden, von Abgehängten und Ungeliebten und davon, was geschieht, wenn sich endlich jemand der Vergessenen erinnert. Damit gelang Griffiths ein historischer Roman mit unerwarteter Dringlichkeit.

Rachel Eliza Griffiths: Was ihr uns versprochen habt. Aus dem amerikanischen Englisch von Jasmin Humburg. Penguin Random House, München 2024. 368 S., Fr. 34.90.

Exit mobile version