Der CEO der zweitgrössten US-Bank glaubt, dass die Banken dank starkem Inlandkonsum und weniger Regulierung profitieren werden. In Europa rechnet er mit weiteren Zusammenschlüssen.
Herr Moynihan, Sie haben mit der ersten Trump-Regierung zusammengearbeitet, auch während der Pandemie. Was sind Ihre Erfahrungen, und was wird diesmal anders?
Unsere Bank gibt es schon sehr lange. Seit George Washington haben wir mit jeder US-Regierung zusammengearbeitet. Speziell ist diesmal, dass eine Regierung nach vier Jahren wieder ins Amt kommt. Das hatten wir schon lange nicht mehr. 2016 wurde die ganze Energie in den Wahlsieg gesteckt. Dieses Mal hat man parallel die ganze Zeit eine Reihe von Initiativen vorbereitet. Zahlreiche potenzielle Kandidaten für Regierungspositionen wurden bereits angekündigt. Ich rechne damit, dass Erlasse und Verordnungen nach der Inauguration sehr rasch in Kraft treten werden.
Angekündigte Massnahmen wie hohe Zölle gegen China oder die Ausschaffung illegaler Migranten sind radikal. Was bedeutet das für die amerikanische Wirtschaft und die Inflation?
Man muss zwischen Wahlkampf und Regierungsarbeit unterscheiden, wo man mit dünnen Mehrheiten im Kongress operieren muss. Die Einwanderungsfrage wird rasch Fahrt aufnehmen. Es gibt schon lange Bemühungen, hier einen einheitlichen Prozess zu schaffen. Fakt ist, es braucht in diesem Bereich eine Politik, bei der jeder das Gefühl hat, dass sie für das Land funktioniert. Auch gilt es, die Staatsschulden, die Finanzierung des Haushaltes oder die Steuerlast zu berücksichtigen, um unerwünschte Konsequenzen wie eine Inflation zu verhindern. Zudem gehört Krieg zu den heutigen Realitäten. Unsere militärische Stärke ist entscheidend für die Stabilität der Welt. Wichtig ist: Man sollte die Arbeit nach sechs Monaten beurteilen, nicht nach sechs Tagen.
Trotz vielen Risiken erwarten die Märkte eine sanfte konjunkturelle Landung der amerikanischen Wirtschaft. Ist das nicht zu optimistisch?
Wir haben früh prognostiziert, dass es zu einer sanften Landung kommen wird. Auch wenn die US-Notenbank im Rückblick spät war mit der Inflationsbekämpfung. Dann hat sie schnell reagiert und war erfolgreich, die Inflation im Land ist auf etwas über 3 Prozent gefallen. Man dachte, die steigenden Zinsen würden die Wirtschaft belasten und zu einem starken Rückgang des Konsums und einer höheren Arbeitslosigkeit führen. Das ist nicht passiert, dem amerikanischen Konsumenten geht es gut. Wir haben 70 Millionen US-Kunden, davon hat die Hälfte ihre Hauptbankverbindung bei uns. Diese gaben im Oktober 3,5 Prozent mehr Geld aus als letztes Jahr. Der US-Konsument hat einen Job und gibt mehr Geld aus, als er durch die Inflation verliert. Die Amerikaner haben immer noch dreimal mehr Geld als nach der Pandemie.
Werden die amerikanischen Bürger weiterhin so stark konsumieren wie bisher?
Das Konsumniveau wird gleich bleiben, denn die Konsumenten haben im Durchschnitt tatsächlich mehr Geld in der Tasche. Das Lohnwachstum hat zumindest bei einem Teil der Bevölkerung die Inflation abgefedert. Wobei nicht alle in den Genuss staatlicher Stimuluszahlungen gekommen sind, auch die Kaufkraft hat nicht bei allen Schritt gehalten. Doch die Bonität der US-Konsumenten ist gut, zudem dürfte die US-Wirtschaft mit rund 2 Prozent wachsen – wenn die Zinsen sinken mit über 3 Prozent. Und bis Ende 2026 erwarten wir, dass sich auch die Inflation normalisiert haben wird.
Die US-Zentralbank Fed hat also eine gute Ausgangslage, um die Zinsen weiter zu senken.
Wir glauben, das Fed wird die Zinsen im Dezember senken und dann weitere zwei Male im kommenden Jahr. Nach den Senkungsschritten werden die US-Zinsen bei rund 3 Prozent liegen, das entspricht dem historischen Schnitt. Die Ära der tiefen Zinsen dürfte damit vorbei sein. Wobei: Zinsen in dieser Höhe hatten wir seit 18 Jahren nicht mehr, obwohl es eigentlich ein normales Zinsumfeld ist.
Sie sagen, dem amerikanischen Konsumenten gehe es gut. Trotzdem waren hohe Preise im Präsidentschaftswahlkampf ein grosses Thema.
Ökonomen und gewöhnliche Leute nehmen die Inflation unterschiedlich wahr. Ökonomen berechnen Inflationsraten, Konsumenten sehen Preise: Was vorher 100 Dollar kostete, kostet nun 125 Dollar. Sie berücksichtigen dabei nicht das Lohnwachstum und andere Faktoren. Die Benzinpreise sind im Oktober um 7 Prozent gefallen. Das hat zwar die Kaufkraft verbessert, doch die Konsumenten geben das Geld anderswo aus.
Macht Ihnen die Staatsverschuldung der USA keine Sorgen?
Nicht heute und morgen, aber Vorsicht ist geboten. Wir mussten einen Krieg gegen eine Pandemie gewinnen. Dazu mussten wir Geld ausgeben, und wahrscheinlich haben wir nicht schnell genug damit aufgehört. Nun sollte die Regierung das langsam in den Griff bekommen. Dafür müssen die Schulden langsamer wachsen als die Wirtschaft.
Bankaktien haben nach der Wahl stark gewonnen, auch in Erwartung lockerer Regulierung. Wie sehen Sie den Kompromiss, der im Rahmen der strengeren Bankregeln unter Basel III getroffen wurde?
In der Vergangenheit hat das Pendel bei der Regulierung zu stark ausgeschlagen. Jetzt glauben viele, dass es in die andere Richtung schwingen sollte. Unter Basel III und den Zusatzauflagen in den USA ist die Kapitalintensität unserer Grossbanken durchschnittlich doppelt so hoch wie in Europa. Davon ausgehend wären die zusätzlichen Kapitalauflagen unter Basel III für uns so hoch gewesen wie nirgends auf der Welt. Die zusätzlichen Auflagen wurden halbiert. Wir haben nun einen konstruktiven Dialog, und ich denke, wir finden eine gute Lösung.
Haben Sie die Hoffnung, dass Basel III unter Trump neu verhandelt oder dass die Einführung nochmals verschoben wird?
Es gab einen Vorschlag. Wir werden sehen, was die verschiedenen Regulatoren in der Sache unternehmen; so sind beispielsweise die Änderungen des Fed nicht die gleichen wie bei anderen involvierten Regulatoren. Die Behörden haben uns aber noch nicht informiert, was sie in der Sache genau zu tun gedenken.
Die Frage, wie viel Kapital systemrelevante Banken halten müssen, wird in der Schweiz nach dem CS-Kollaps intensiv diskutiert. Sind die Banken ausreichend kapitalisiert?
Die Herausforderung für alle Länder mit Ausnahme der USA und China ist, dass globale Grossbanken per Definition grösser als die Wirtschaft ihres Heimmarktes sind. Wie geht man damit um? Das sollten sich die Staaten gut überlegen. Einige verfolgen den Ansatz, die Bank im Heimmarkt zu isolieren und ihr sonst freie Hand bei ihren Geschäften zu geben. Andere erhöhen die Anforderungen beim Eigenkapital. Die Kosten des zusätzlichen Kapitals schmälern jedoch die Wettbewerbsfähigkeit. Sie führen dazu, dass etwa KMU mehr für ihre Kredite bezahlen müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist, Banken sicherer zu machen.
Könnte denn eine systemrelevante Bank im Krisenfall gemäss dem «Too big to fail»-Regelwerk abgewickelt werden?
Ja, das ist möglich. Banken lassen sich liquidieren. Wir müssen ebenfalls Abwicklungspläne bei den Regulatoren einreichen, die sie prüfen. Das ist eine Folge der Finanzkrise. Ich habe zu Beginn meiner Karriere ein paar Banken gekauft, die in Schieflage geraten sind. Man muss allerdings sehr vorsichtig sein und verstehen, wo die Risiken dieser Banken liegen. Aber ehrlich gesagt: Wir reichen diese Pläne ein, weil wir es machen müssen. Damit hat es sich für uns. Wir sind gut kapitalisiert, haben rund 300 Milliarden Kapital auf der Bilanz und schon viele Stürme ohne Probleme überstanden.
Welchen Stellenwert hat die Schweiz für die Bank of America, wo sehen Sie Chancen nach dem Ende der Credit Suisse?
Die Schweiz ist für uns kein neuer Markt, wir sind hier seit mehr als siebzig Jahren, hauptsächlich im Firmengeschäft mit Grosskunden. Nach dem Ende der Credit Suisse mussten wir daher nicht erst überlegen, was wir zukünftig hier machen wollen. In Zukunft wollen wir uns aber nicht mehr nur auf globale Konzerne mit einem Umsatz von mehreren Milliarden Dollar fokussieren, sondern auch für kleinere Firmen zugänglich sein, die in der Schweiz ihren Sitz haben, aber stark exportorientiert sind. Dafür haben wir mehr Personal in der Investmentbank und im Firmenkundengeschäft eingestellt. Hier haben wir eine grosse Expertise. Wenn zum Beispiel ein Autozulieferer aus der Schweiz einen neuen Absatzmarkt sucht, können wir ihm helfen, diesen zu erschliessen.
Haben Sie auch Pläne für das Vermögensverwaltungsgeschäft in der Schweiz?
Wir verwalten Vermögen von knapp sechs Billionen Dollar. Damit haben wir gerade einmal einen Marktanteil von fünf oder sechs Prozent in den USA. Für uns gibt es dort immer noch sehr viel Platz, um zu wachsen. Die Schweiz hat bereits tolle Vermögensverwalter, ich denke nicht, dass wir da einen Mehrwert bieten könnten.
Die Investmentbank ist ein wichtiger Teil Ihres Geschäfts. Das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen hat nach einer längeren Flaute wieder angezogen. Geht das so weiter?
Das letzte Quartal hat sich besser entwickelt als erwartet, wir sind schneller gewachsen als der Markt. Momentan haben wir viele Transaktionen in der Pipeline. Nach der Zinswende war es schwieriger, Transaktionen im Umfang von zwei, drei Milliarden zu machen, und es war unklar, ob diese überhaupt zustande kommen. Das könnte sich in Zukunft ändern. Wir rechnen ebenfalls damit, dass es in Zukunft wieder mehr Börsengänge gibt. Eine grosse Anzahl Unternehmen haben sich in letzter Zeit still verhalten. Wir denken, dass es hier Bewegung geben wird. Das hängt aber davon ab, dass die Notenbank die Zinsen weiter senkt und die Märkte stabil bleiben.
Für die USA sind Sie positiv gestimmt. Wie schätzen Sie die Entwicklung in Europa ein?
Wir rechnen im kommenden Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von rund 1 Prozent für Europa, global rechnen wir ungefähr mit 3 Prozent. Die anderen Länder werden von einer starken US-Wirtschaft profitieren. Europa hat das Potenzial, rascher zu wachsen, als es das in den letzten Jahren getan hat. Die Diskussionen in Europa sind ähnlich wie sonst in der Welt: Es geht um Wettbewerbsfähigkeit, den Einfluss der Inflation und der Migration. Europa verfügt über Kapital, gut ausgebildete Arbeitnehmer und ist für den globalen Handel relativ gesehen gut positioniert. Klar, wir müssen den Krieg in der Ukraine regeln. Was Europa betrifft, sind wir aber ziemlich optimistisch.
Seit Jahren diskutiert Europa über Bankenkonsolidierung. Nun könnte Unicredit die Commerzbank übernehmen. Kommt nun Bewegung in die Branche?
Es muss eine Konsolidierung geben. Auch wir waren nicht schon immer so gross, unsere Bank ist aus Tausenden von Zukäufen entstanden. Doch wird eine lokale Bank verkauft, ist das für die Menschen in den betroffenen Städten immer schwierig zu akzeptieren. Wenn man wie in Europa einen einheitlichen Wirtschaftsraum hat, muss man auch einheitliche Regeln haben. Das war ein Schlüssel für das Wirtschaftswachstum in den USA: Im Gliedstaat Delaware wird ein Kredit nach denselben Regeln vergeben wie in Kansas oder Pennsylvania. So lässt sich das Geschäft skalieren. Europa bewegt sich in diese Richtung, man ist aber noch lange nicht dort. Je stärker das System vereinheitlicht wird, umso effizienter kann es sein. Von dieser Effizienz profitieren unsere Privatkunden.
Die nur dank der Grösse Ihrer Bank möglich ist.
Ich kann die Bedenken verstehen, die mit einer Konsolidierung einhergehen. Die UBS als grösste Schweizer Bank hat eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 100 Milliarden Dollar. In den USA ist das die Grösse einer Retail-Bank. Das meine ich nicht abwertend. Banken müssen wachsen, damit sie auf eine signifikante Grösse kommen. Nicht zuletzt, um nicht aufgekauft zu werden. Aus meiner Sicht ist ein Zusammengehen in der Branche sinnvoll, auch wenn es für Regierungen nicht immer einfach zu akzeptieren ist. Vor der Finanzkrise waren die USA und Europa etwa gleich gross, was ihre Wirtschaftsleistung anbelangt. Jetzt haben die USA Europa überholt. Ein Grund dafür sind die widerstandsfähigen Kapitalmärkte. In den Vereinigten Staaten sind wir uns gewöhnt, eine Krise rasch wegzustecken, diese Lebhaftigkeit an den Märkten ist ein wichtiger Teil davon.