Montag, Oktober 7

Die Probleme, die zum Abbruch der Starliner-Mission geführt haben, sind nicht neu. Warum hat man ihnen nicht früher Aufmerksamkeit geschenkt?

Das Starliner-Raumschiff von Boeing wird Anfang September ohne Crew zur Erde zurückkehren. Wie die Nasa am Wochenende nach wochenlangen Beratungen bekanntgegeben hat, werden die beiden Astronauten Butch Wilmore und Suni Williams vermutlich bis Februar auf der Internationalen Raumstation (ISS) bleiben und dann mit einem Raumschiff von SpaceX den Heimweg antreten. Die amerikanische Raumfahrtbehörde reagiert damit auf die Heliumlecks und die Triebwerksausfälle, die im Juni beim Hinflug des Starliners zur ISS aufgetreten waren.

Die Entscheidung ist sowohl für Boeing als auch für die Nasa ein herber Rückschlag. Die Nasa muss vorerst die Hoffnung begraben, sich von SpaceX freizustrampeln. Und für Boeing wird der Starliner mehr und mehr zu einem Milliardengrab. Schon jetzt schlägt die verzögerte Entwicklung des Raumschiffs mit 1,6 Milliarden Dollar zu Buche. Dabei wird es kaum bleiben.

Ein Risiko, das sich vermeiden lässt

Dennoch ist die Entscheidung richtig. Die amerikanische Raumfahrtbehörde ist gut beraten, die Sicherheit ihrer Astronauten höher zu gewichten als etwaige Nachteile. Gut möglich, dass der Starliner im September ohne Besatzung wohlbehalten zur Erde zurückkehrt. Ein Unfall mit tödlichen Folgen wäre jedoch ein Desaster. Die Nasa wäre auf Jahre hinaus gelähmt. Da es Alternativen gibt, verbietet es sich, dieses unkalkulierbare Risiko einzugehen.

Das heisst allerdings nicht, dass die Nasa nun zur Tagesordnung übergehen kann. Die Verantwortlichen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie die Genehmigung für den bemannten Testflug des Starliners zu leichtfertig erteilt haben.

Schon vor dem Testflug war bei einem abgebrochenen Startversuch Helium aus einem Leck ausgetreten. Man begnügte sich damit, das defekte Ventil auszutauschen. Beim Testflug wiederholte sich das Malheur. Nun wurden sogar fünf Heliumlecks gefunden. Auch die Probleme mit den Triebwerken zur Lageregelung sind nicht neu. Sie traten bereits 2022 bei einem unbemannten Testflug auf. Damals fielen mehrere Triebwerke aus. Reserve-Triebwerke sorgten dafür, dass das Raumschiff dennoch an die ISS andocken konnte.

In der Folge wurde die Software zur Ansteuerung der Triebwerke aktualisiert. Doch das genügte nicht. Beim bemannten Testflug im Juni fielen erneut mehrere Triebwerke aus. Eine daraufhin eingeleitete Untersuchung zeigte, dass sich die Triebwerke zu stark erhitzen, was die Zufuhr von Treibstoff blockiert. Die Nasa entschied, dass unter diesen Umständen keine sichere Rückkehr der Astronauten zur Erde möglich ist.

Es drängt sich die Frage auf, ob man diese Tests nicht bereits vor zwei Jahren hätte durchführen sollen. Am Wochenende räumte ein hochrangiger Nasa-Manager ein, dass die Triebwerkprobleme möglicherweise mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Im Nachhinein sei das aber einfach zu sagen.

Kommt der Starliner rechtzeitig vor dem Ende der ISS?

Beim nächsten Mal wird die Nasa sicherlich genauer hinschauen. Boeing und der Lieferant der Triebwerke, die amerikanische Firma Aerojet Rocketdyne, müssen darlegen, wie Heliumlecks und ein Ausfall der Triebwerke in Zukunft verhindert werden sollen. Vorher wird es keinen weiteren Flug des Starliners geben.

Für Boeing sind das keine guten Aussichten. Der Vertrag mit der Nasa sieht sechs bemannte Flüge zur Internationalen Raumstation vor – im Halbjahreswechsel mit SpaceX. Doch die Tage der ISS sind gezählt. Derzeit erscheint es fraglich, ob der Aussenposten der Menschheit über das Jahr 2030 hinaus bestehen bleibt.

Viel Zeit bleibt Boeing also nicht mehr, wenn es nicht einen Teil seiner Aufträge an SpaceX verlieren will. Die Firma von Elon Musk kann auch zwei bemannte Flüge pro Jahr stemmen – und hat zudem noch die Kapazität, Touristen ins All zu befördern. Dass ausgerechnet der «Emporkömmling» SpaceX solche Erfolge im All feiert, ist für das traditionsreiche Luft- und Raumfahrtunternehmen Boeing schwer zu verkraften.

Exit mobile version