Nach einer rasanten politischen Karriere steht der 37-jährige Simon Harris als neuer irischer Regierungschef fest. Er gilt als ambitioniert, dynamisch und geschickt im Umgang mit Social Media – und doch könnte seine Zeit an der Regierungsspitze kurz bleiben.

Simon Harris denkt schnell, redet schnell und handelt schnell. Als der irische Premierminister Leo Varadkar letzte Woche überraschend seinen Rücktritt als Chef seiner Mitte-rechts-Partei Fine Gael ankündigte, stand der 37-jährige Vollblutpolitiker bereit. In Windeseile sicherte er sich die öffentliche Unterstützung einer Mehrheit der Parlamentsfraktion, während die zaudernden parteiinternen Konkurrenten nicht aus den Startlöchern kamen.

Weil am Ende gar kein Gegenkandidat antrat, wurde Harris vom Parteitag per Akklamation zum neuen Vorsteher von Fine Gael gekrönt. Und da die Mitte-rechts-Partei innerhalb der Koalition mit der linkszentristischen Fianna Fail und den Grünen derzeit den Premierminister stellen darf, gilt es nur noch als Formsache, dass Harris nach der Osterpause zum jüngsten Regierungschef der irischen Geschichte aufsteigen wird.

Steile Karriere

«In meinem Leben kam vieles schneller auf mich zu, als ich erwartet hatte», erklärte Harris im Jahr 2022 gegenüber dem Portal Hot Press. Tatsächlich schlug der angehende Taoiseach, wie der Premierminister in Irland genannt wird, im Verlauf seiner Karriere von Anfang an ein hohes Tempo an. Im Alter von 16 Jahren organisierte der Sohn eines Taxifahrers und einer Sonderschullehrerin in der Grafschaft Wicklow im Süden Dublins seine erste politische Versammlung und trat in die Jungpartei von Fine Gael ein.

Mit 22 Jahren wurde er zum Gemeinderat gewählt. Zwei Jahre später gelang ihm der Sprung ins nationale Parlament, worauf er sein Studium in Journalismus und Französisch ohne Abschluss abbrach. Als jüngster Abgeordneter durfte er Königin Elizabeth II. begrüssen, die im Jahr 2011 für einen historischen Besuch zur britisch-irischen Versöhnung nach Dublin gereist war. Mit 27 Jahren erhielt Harris seinen ersten Ministerposten, als 29-Jähriger avancierte er zum Gesundheitsminister und bekleidete eines der wichtigsten, aber auch eines der schwierigsten Ämter im irischen Staat.

Allzu grosse Stricke zerriss Harris auf diesem Posten nicht. Das irische Gesundheitswesen sorgt immer wieder für Negativschlagzeilen wegen Streiks, langer Wartelisten, überfüllter Spitäler und Kostenüberschreitungen. Daran änderte sich auch unter der politischen Führung von Harris nichts, obwohl er in Dublin als sehr energisch und fleissig gilt.

Harris entwickelte ein grosses Geschick im Umgang mit Social Media, was ihn sympathisch und nahbar wirken liess und ihn gegen Kritik weitgehend zu immunisieren schien. Auf grosses mediales Interesse stiess als Folge seiner wachsenden Popularität auch die Hochzeit mit seiner langjährigen Freundin, mit der er inzwischen zwei Kinder hat.

Nach dem Ausbruch der Pandemie war er als Gesundheitsminister zunächst für die Einführung der strengen Corona-Massnahmen verantwortlich, bis ihn Premierminister Varadkar zum Hochschulminister degradierte. In dieser Funktion tourte er von Universität zu Universität und präsentierte sich als Politiker, der die Sorgen der jungen Irinnen und Iren und ihrer Familien versteht.

Früh erkannte er das Potenzial der Plattform Tiktok, um mit jungen Wählern in Kontakt zu treten. In den kurzen Videos spricht er sie informell mit «Freunde» an. Er erzählt etwa, wie er sich als launiger Teenager wegen seines autistischen Bruders für mehr Bildungsangebote für Kinder mit Asperger-Syndrom eingesetzt habe und dadurch politisiert worden sei. Inzwischen hat er auf dem Portal rund 100 000 Follower angesammelt – zehn Mal so viele wie seine Partei.

Kampf gegen Linksnationalisten

Politisch ist Simon Harris nicht leicht fassbar. Er hat eine soziale Ader, gibt sich aber auch als Law-and-Order-Politiker. An seiner Rede vor dem Parteitag sprach er sich vage für mehr Härte in der Migrationspolitik aus. Zudem sagte er der linksnationalistischen Partei Sinn Fein den Kampf an, die einst als politischer Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) galt.

Harris kritisierte, dass Nationalisten jüngst bei einer Beerdigung den Sarg eines ehemaligen IRA-Terroristen und Polizistenmörders in die irische Flagge gehüllt hatten. «Lasst uns unsere Flagge zurückholen!», rief er unter dem Applaus der Delegierten kämpferisch in den Saal.

Spätestens Anfang 2025 stehen in Irland Parlamentswahlen an. Fine Gael, die seit 2011 in unterschiedlichen Koalitionen regiert, wirkt amtsmüde und liegt in den Umfragen zurück. Sinn Fein ist trotz jüngsten Einbussen in Führung und will nach der Wahl erstmals in der irischen Geschichte das Amt des Regierungschefs übernehmen.

Harris schloss eine Koalition mit Sinn Fein kategorisch aus. Die Auseinandersetzung mit den Nationalisten dürfte zur grössten politischen Bewährungsprobe für den dynamischen Taoiseach werden. Besteht Harris sie nicht, könnte seine Zeit an der irischen Regierungsspitze fast so schnell vorbei sein, wie sie gekommen ist.

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