Donnerstag, März 20

Im Kreis der Zürcher Konkreten war sie eine Ausnahmeerscheinung. Nun wird das Werk der Japan-Schweizerin neu entdeckt.

Sie war umfassend gebildet und bestens vernetzt. Ihre Plakatentwürfe wurden gefeiert und mit Preisen eingedeckt. Und bei der Schweizerischen Landesausstellung von 1964 verantwortete sie das Design eines ganzen Pavillons – es war ein Auftrag, mit dem Max Bill persönlich sie betraute. Mit 38 Jahren stand die Gestalterin Shizuko Yoshikawa damit am Anfang einer glänzenden Karriere. Doch ihr schien der Erfolg nicht viel zu bedeuten.

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1972 begann sie deshalb noch einmal von vorn: Yoshikawa gab ihre Stelle als Grafikerin auf, um freie Künstlerin zu werden. Über die Kunst am Bau fand sie ihren Weg zur konkreten Malerei, mit der sie sich sodann für den Rest ihres Lebens auseinandersetzte. Bis zu ihrem Tod 2019 entstand ein eigenwilliges wie unübersichtliches Lebenswerk aus grossmassstäblichen und kleineren Reliefs, Zeichnungen und zahlreichen Gemälden. Doch das künstlerische Schaffen der damals so erfolgreichen Designerin wird in Japan und Europa erst heute entdeckt.

Kürzlich waren ihre Werke in einer Ausstellung des Nakanoshima Museum of Art in Osaka zu sehen. Es war das erste Mal seit längerem, dass sich wieder ein grösseres Haus mit ihrem Werk befasst.

Dass es so lange gedauert hat, bis Shizuko Yoshikawas Name in weiteren Kreisen bekannt wurde, erklärt die Kunsthistorikerin Gabrielle Schaad so: «Ihre Karriere verlief nicht besonders geradlinig, im Gegenteil. Ihr Weg ist schon früh von Richtungswechseln gekennzeichnet, das macht sie als Figur schwerer fassbar.» Schaad ist Autorin einer umfassenden Monografie über Shizuko Yoshikawa und Stiftungsrätin der Shizuko-Yoshikawa-und-Josef-Müller-Brockmann-Stiftung. Sie verantwortete auch die Ausstellung in Osaka als Co-Kuratorin.

Eine Japanerin als zentrale Figur des «Swiss Style»?

Aus der ländlichen Gegend der Insel Kyushu ganz im Süden von Japan kommt Yoshikawa in den fünfziger Jahren nach Tokio, um hier zunächst Anglistik zu studieren. Daraufhin schreibt sie sich an der heutigen Tsukuba-Universität für Architektur ein. 1960 arbeitet sie als Dolmetscherin für das Organisationskomitee der World Design Conference. Da ist sie gerade einmal 26 Jahre alt.

Doch Yoshikawa kann sich weder im englischsprachigen Literaturbetrieb noch als Architektin eine Zukunft vorstellen. Es zieht sie auf andere, abgelegenere Pfade – und diese führen ins ferne Europa. Auf der World Design Conference hat sie unter anderem die Gestalter Otl Aicher und Hans Gugelot aus Deutschland kennengelernt. Nun bemüht sie sich von Japan aus um einen Studienplatz an der berühmten Hochschule für Gestaltung in Ulm. Auf einem Frachtschiff fährt sie einem neuen Leben entgegen. Ab 1961 wohnt Yoshikawa im Studentenheim der Hochschule und studiert zum dritten Mal. Ihr Fach: visuelle Kommunikation.

Nach dem Abschluss zahlt sich ihre umfassende Bildung erstmals in der Praxis aus: In Arbeiten für das Atelier des Zürcher Gestalters Josef Müller-Brockmann beweist sie rasch ihr Talent. Auf die Expo 64 in Lausanne hin intensivieren Müller-Brockmann und Yoshikawa ihre Zusammenarbeit, 1967 heiraten die beiden.

Yoshikawa steht am Anfang einer vielversprechenden Karriere. Sie bekommt Aufträge von Theaterhäusern und Museen, damit könnte sich die Japanerin leicht als zentrale Figur des angesehenen «Swiss Style» etablieren. Doch sie hat anderes im Sinn, vollführt einen weiteren Richtungswechsel.

Über Müller-Brockmann hat sie die Bekanntschaft mit Exponenten der Zürcher Konkreten gemacht. Sie lernt Verena Loewensberg kennen, mit der sie bis zu deren Tod 1986 verbunden bleibt, und beginnt sich mehr und mehr für Malerei zu interessieren. 1972 fängt sie deshalb noch einmal bei null an.

Reliefs zwischen natürlicher Umgebung und Bauwerk

Dass sie ihre ersten Schritte als freie Künstlerin ausgerechnet im Bereich der Kunst am Bau macht, mag zunächst erstaunen, passt aber zu Yoshikawas Werdegang, wie Gabrielle Schaad erläutert: Ihre Heimat sei von Landwirtschaft geprägt gewesen, man baue dort bis heute viel Reis und Gemüse an.

«Yoshikawa hat sich mit der Verschränkung von natürlicher und gestalteter Landschaft ausführlich beschäftigt. Und als Architektin ist sie mit diesen Themen ohnehin bestens vertraut.» Passenderweise ist das Nebeneinander von Umwelt und Bauwerk auch ein Thema, als sie 1972 ihren ersten Auftrag als selbständige Künstlerin erhält.

Für die neu errichtete Aussenanlage des Gemeinschaftszentrums der katholischen Kirchgemeinde Zürich Höngg entwirft sie drei Plastiken, die aus dreieckig zulaufenden Figuren bestehen. Sie werfen je nach Sonnenstand einen anderen Schatten und nehmen dadurch ständig eine neue Gestalt an.

Auf diese Weise wird der scheinbar so starre Gussbeton beweglich und fügt sich in die Landschaft aus Büschen und Bäumen ein, die ihn umgibt. Die Maserung, die von der hölzernen Schalung in den Beton eingegangen ist, verstärkt die Verbindung zwischen dem Kunstwerk und der Landschaft zusätzlich.

In einer Arbeit von 1981 bringt Yoshikawa die Grenzen zwischen Natur und Architektur schliesslich ganz zum Verschwinden. Eine Wasserlandschaft vor dem Pflegeheim in Zürich Witikon realisiert sie als grossmassstäbliches Relief aus 1400 Betonplatten.

An zahlreichen Stellen rinnt Wasser aus dem Boden und plätschert durch die künstlichen Erhebungen und Senkungen der Betonplatten. Durch die Nässe sollen sich auf dem Beton mit der Zeit Moose und Algen ansetzen und die künstlich geschaffene Landschaft auf natürliche Weise verfremden – bis Gewachsenes nicht mehr von Gebautem zu unterscheiden ist.

Doch das Konzept stösst bei den Auftraggebern auf Unverständnis. Die Stadtverwaltung lässt den Beton kontinuierlich reinigen – und statt dass die Anlage saniert wird, wird sie 2011 kurzerhand abgebrochen.

Produktive Spannungsverhältnisse

So wie ihre Kunst-am-Bau-Projekte einer Synthese aus Natur und Kultur verpflichtet sind, so steht auch Yoshikawas Malerei im Zeichen dessen, was sie selbst als «Nicht-Zweiheit» beschreibt. «Es geht ihr darum, zwei Elemente so in ein Spannungsverhältnis zu setzen, dass daraus etwas Drittes, Neues entstehen kann», sagt Gabrielle Schaad.

In ihren kleineren Reliefs entsteht diese Spannung häufig aus der Festigkeit des verwendeten Polyesterharzes und der rhythmischen Anordnung der damit geformten Flächen. In den Gemälden entsteht die «Nicht-Zweiheit» aus der geometrischen Strenge der Kompositionen und der sinnlich-pastellenen Farbgebung der Werke.

Yoshikawa orientiert sich an ihren Vorbildern im Bereich der konkreten Kunst, entwickelt deren künstlerische Praxis aber kontinuierlich weiter – so weit, bis sie in den 1990er Jahren sogar eine Reihe von figurativen Ansätzen verfolgt.

«Der Tod von Josef Müller-Brockmann markiert eine Zäsur in Yoshikawas Leben. Sie hält sich während dieser Zeit oft in Rom auf», sagt Schaad. Dort spielt Yoshikawa mit einem ungezwungeneren Vokabular und probiert neue Techniken aus.

Ein eigenwilliges Kunstverständnis

In Italien entsteht eine Serie von Arbeiten («A Roma»), in deren Zentrum eine mal zartviolette, mal knallig rote Sonne steht. Die Hintergründe sind häufig schraffiert und mit Kreide bearbeitet, was den Bildern eine weiche Textur und eine schon fast spirituelle Qualität verleiht. Es sind der Rationalismus der Konkreten und ihre eigene, tief empfundene Gefühlswelt, die in diesen Werken in Spannung zueinander stehen und die «Nicht-Zweiheit» bilden.

Yoshikawas eigenwilliges Kunstverständnis hebt sie von ihren Zeitgenossen ab. «Das macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung unter den Zürcher Konkreten», unterstreicht Gabrielle Schaad. Es sei aber auch einer der Gründe, warum sie hinsichtlich ihrer Bekanntheit weniger vom hohen Ansehen der Zürcher Konkreten habe profitieren können.

Für eine junge Generation von Künstlerinnen und Künstlern sieht Gabrielle Schaad in Yoshikawas Vorstellung der «Nicht-Zweiheit» aber auch einen Anknüpfungspunkt: «Yoshikawas Arbeit hat eine geradezu philosophische Qualität, die sehr aktuell ist», sagt sie. Yoshikawas entschleunigter Blick könne in der beschleunigten Welt der Gegenwart auf zunehmendes Interesse stossen.

Gabrielle Schaad: Shizuko Yoshikawa, Lars Müller Publishers, Zürich 2018, S. 248; 236 Abb.; Fr. 54.–.

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