Dienstag, Januar 21

Die Schweizer Pop-Sängerin Joya Marleen träumt vom internationalen Durchbruch. Im Gespräch erklärt sie, dass ihre Musik mehr mit Phantasie zu tun hat als mit ihrem eigenen Leben.

Es gibt Songs, die sind zu gross für St. Gallen. Zu gross sogar für die ganze Schweiz. So gross, dass sie Zuhörer aus der ganzen Welt anspringen, ohne zu verraten, woher sie eigentlich stammen.

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Das gilt zum Beispiel für «Nightmares» von Joya Marleen. 2020 direkt vor dem ersten Lockdown erschienen, machte der Song seine Komponistin und Interpretin, die damals 17-jährige Gymi-Schülerin Joya Schedler aus St. Gallen, über die Schweizer Grenze hinaus zum Begriff in der Musikszene. Nebst seiner Eingängigkeit glänzte der Song auch durch eine clever auf das Wesentliche reduzierte Produktion und durch den Gesang, der Vergleiche mit grossen Stars nicht zu scheuen braucht: «Hold on, hold on. She’s waiting for a nightmare, nightmare. Hold on, hold on, something to scare», tönte es bald auf diversen Radiosendern. Und wer nicht wusste, um wen es sich bei der Musikerin handelte, tippte auf eine amerikanische Produktion.

Eine starke Persönlichkeit

Aber erst jetzt – vier Jahre, vier Swiss Music Awards und elfeinhalb Millionen Streams auf Spotify später – veröffentlicht Joya Marleen ihr Debütalbum. Alle neun Songs auf «The Wind Is Picking Up» erwecken wiederum den Eindruck poppiger Internationalität. Joya Marleen träumt und denkt gross. Und sie hat auch eine Persönlichkeit, mit der sie ein Publikum rasch für sich einnehmen kann.

Nun würde sie gerne ein weltbekannter Pop-Star werden und Musikvideos mit riesiger Besetzung drehen. Sie würde mit ihren Liedern das Kopfkino der Zuhörenden in Gang setzten und sie zum Träumen animieren – denn schliesslich seien auch ihre Songs ihren Träumen entsprungen, erklärt sie im Gespräch.

Neben der Musik ist tatsächlich auch das Kino eine grosse Leidenschaft. Sie liebe Tim Burton, sagt Joya Marleen mehrfach; und «Notting Hill» mit Julia Roberts und Hugh Grant habe sie über zwanzig Mal gesehen, «Love Actually» ähnlich oft. Ihr Lieblingsfilm sei allerdings «Burlesque» mit Christina Aguilera und Cher. «Es gibt diese Szene, in der sich Christina Aguilera auf einen Stuhl stellt und mit einem Knurren alles rauslässt, sich völlig freisingt. Als ich das gesehen habe, wusste ich: Das will ich auch.»

Peter Pan als Inspiration

Zu weiteren Erweckungserlebnissen kam es dank dem alten iPod ihres Vaters – sie hörte und verinnerlichte Green Day, James Taylor, Neil Young, Queen und die 4 Non Blondes, deren Hits «What’s Up» oder «Spaceman» sie gerne covert – und deren Frontfrau Linda Perry sie zumindest vom Look her irgendwie ähnelt. Zum Interview ist sie in schweren Stiefeln erschienen und in einem Kleid in Peter-Pan-Grün. Die Haare sind zurzeit rot.

Apropos Peter Pan: Auch Joya Marleen will partout nicht erwachsen werden. Und sie möchte mit ihrem Publikum in ihren Film-Phantasien verharren, mit ihren Songs szenische Magie vermitteln. «Ich glaube, das ist meine Mission als Musikerin: Ich versuche schaurig-schöne Songs zu schreiben, die sich wie der Soundtrack zu einer Magie-Welt anhören – und dafür sorgen, dass das Leben vielleicht ein bisschen zu einem Film wird.»

Dass sie ausschliesslich auf Englisch singt, hat offenbar auch mit ihrer Affinität zu englischsprachigen Filmen und Songs sowie zur amerikanischen Kultur zu tun, mit der sie aufgewachsen sei: Ihr Vater nahm die Familie während eines einjährigen Sabbaticals mit nach Kalifornien. Die Songs transportieren so zwar Träumereien und Behaglichkeit, sie widerspiegeln jedoch weniger das eigene Leben von Joya Marleen.

Das Album beginnt mit «Last Dance» etwa mit einem dynamischen Abschiedstanz, von dem sich Mann und Frau kaum losreissen können, weil er das Ende der Beziehung bedeuten würde. Und auch in «Theremin» geht es um eine Trennung. Aber das sei kein persönliches Thema, meint sie im Interview. «Es handelt sich um Fiktion, um Phantasie – auch wenn ein persönlicher Teil mitschwingt.» Worum es sich dabei handelt, bleibt ihr Geheimnis. Sie sagt nur noch: «Ich habe nicht das Gefühl, dass du einen Song schreiben kannst, bei dem nicht eine eigene Note mitschwingt.»

Professionelle Machart, geschliffene Melodik

Oft handelt es sich immerhin um persönliche Inspirationen. Wie bei ihrem frühen Hit «Nightmares». Es begann am 1. November 2019 an einem kleinen Festival im appenzellischen Wasserauen. Die junge Joya stand vor einem Publikum von vielleicht zwanzig Zuhörerinnen und Zuhörern. Weil sie ihr Repertoire schon durchgespielt hatte, fragte sie das Publikum, ob sie improvisieren dürfe. «Der Refrain von ‹Nightmares› ist mir so zugefallen in dem Augenblick», erzählt sie. Ihr Manager hielt den Moment zufällig mit dem Handy fest. Anschliessend wurde der Song mithilfe des Produzenten Thomas Fessler an den schulfreien Mittwochnachmittagen ausgearbeitet.

So leicht sei ihr das Songschreiben seither allerdings nicht mehr gefallen. «Damals war die Schule mein Job, und die Songs entstanden nebenher. Ich fühlte mich frei.» Jetzt ist die Musik ihr Beruf und ihr Arbeitgeber Sony Music Deutschland. Die neun formvollendeten Songs von «The Wind Is Picking Up» sind in Zusammenarbeit mit einer Handvoll Produzenten und Songwritern im In- und Ausland entstanden.

Sie beeindrucken durch die professionelle Machart und die geschliffene Melodik. Doch die Sängerin bleibt eine Erzählerin von Geschichten, in denen ihre eigene Rolle noch unklar ist. Etwas mehr persönliche Präsenz würde helfen gegen die Gefahr der Verwechselbarkeit.

Joya Marleen: The Wind Is Picking Up (Epic / Sony Music). – Konzert: Zürich, Kaufleuten, 5. Februar.

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