Dienstag, November 26

Im Zürcher Schauspielhaus hat eine neue Ära begonnen. «Frau Yamamoto ist noch da» von Dea Loher sorgt für einen lauen Auftakt zur neuen Intendanz von Ulrich Khuon.

Hoffentlich kommt bald Leben in die Bude, denkt man sich. Die Bühne ist anfangs leer. Ein gleissend heller Guckkasten, ein grosses, weisses Versprechen. Und erst wenn sich aus den Zuschauerrängen eine Frau löst, um nach kurzem Zögern auf die Rampe zu hüpfen, verwandelt sich der Raum in eine Szenerie.

Genauer: in ein Mietshaus. Denn wie man nun erfährt, möchte die Frau hier eine Wohnung besichtigen. Die Türe steht offen; scheinbar ist niemand da. Nino, ein Mieter aus einer oberen Etage, sorgt dann für Aufklärung: Es handelt sich um ein Missverständnis, die Wohnung sei nicht zu haben. Frau Yamamoto ist noch da, sie lässt die Türe immer etwas offen stehen.

Feierliche Erwartungen

«Frau Yamamoto ist noch da» heisst auch das neue Stück der deutschen Dramatikerin Dea Loher. Unter der Regie von Jette Steckel erlebte es am Donnerstagabend im Zürcher Schauspielhaus seine Uraufführung. Und es läutet hier überdies eine neue Ära ein. Es handelt sich um die erste Inszenierung der auf eine Saison befristeten Intendanz von Ulrich Khuon.

Eine leere Bühne, eine scheinbar leere Wohnung für neue Mieter – das passt freilich zum Neuanfang! Und auch wenn man bald feststellt, dass man ganz viele Schauspielerinnen und Schauspieler wiedererkennt, trübt das nicht die geradezu feierliche Erwartung, den Thrill der Veränderung: denn das Ensemble war hier stets ein sicherer Wert.

Wie die Bühne selbst bewährt sich auch die Wohnimmobilie als metaphorischer Gemeinplatz für die Welt, für das Leben selbst. Dea Loher verzichtet auf weitere geografische Konkretisierungen. Auch die Zeit bleibt ein Abstraktum: Das Stück spielt in der Gegenwart, ob Tag oder Nacht, ob Sommer oder Winter, spielt indes nie eine Rolle.

Thema ist vor allem die Nachbarschaft unterschiedlicher Menschen, die sich in ihren je eigenen Realitäten eingerichtet haben. Und doch bleiben sie auf vielfältige gesellschaftliche Beziehungen angewiesen. Jette Steckels Inszenierung lässt nicht lange warten, um dies als Problem darzustellen. Grosse, bunte Folien dienen als transparente Wände, die die minimalistisch möblierte Bühne (Florian Lösche) in rechtwinklige Zonen aufteilt. Andrerseits werden so die Begrenzungen zwischen den Zeitgenossen symbolisch sichtbar, die nur mit Mühe miteinander kommunizieren.

Das gilt insbesondere für Nino (Mirco Kreibich) und Erik (Sebastian Rudolph), die sich schon so lange zusetzen in ihrer engen Zweierkiste, dass sie einander bei aller Liebe kaum mehr aushalten. Das Bett, in dem die beiden liegen, nimmt sich jetzt schon aus wie ein Sarg. Eine grosse Zukunft wird man den beiden nicht mehr verheissen wollen.

Wie ein altes Ehepaar scheinen die beiden Männer ausgerechnet in ihren wortreichen Streitereien noch einen Zusammenhalt zu finden. Der freundliche, etwas rührselige Mittdreissiger Nino nervt sich über die technokratische Mentalität seines Partners, der sich als KI-Spezialist um die Entwicklung sozialer Roboter kümmert. Der um zwölf Jahre ältere, bald cholerische, bald melancholische Erik wiederum sieht in der Kritik des Freundes nur Infantilität.

Immerhin hat sich Nino eine kindliche Offenheit bewahren können. Die zufällige Begegnung mit der Nachbarin Frau Yamamoto (Nikola Weisse) – nur der Name ist japanisch – weckt sein Interesse an ihrer Existenz. Ihr Leben ist kein Abenteuerroman – aber wenigstens hat sie eine Vergangenheit und mithin etwas zu erzählen: von einem Ex-Mann, von einer gemeinsamen Sägerei und von einem Sohn, der bei einem Kletterunfall zu Tode kam. Durch Gespräche mit und über Frau Yamamoto kommt so eine neue, negative Dynamik in den Alltag des Männerpaars.

Die drei Nachbarn bilden zwar das erzählerische Zentrum von Dea Lohers Stück. Das personelle Dreieck markiert so eine melancholische Aussichtslosigkeit, die etwas von einem zeitgenössischen Tschechow hat. Aber Dea Loher hat es dabei nicht bewenden lassen. Vielleicht ist ihr die eigene Tragikomödie zu brav, zu harmlos. Man kann das verstehen, es mangelt in dieser Dreierkonstellation tatsächlich an Humor, Dramatik und Spannung.

Es ist jedoch nicht unproblematisch, dass Loher den erzählerischen Hauptstrang nun zusätzlich mit viel zufälliger Absurdität und Banalität umwickelt. Es gibt eine Reihe von Szenen, die mit der erzählerischen Logik direkt nichts zu tun haben. Es handelt sich um dialogische Bagatellen anonymer Figuren, die nie ganz zusammenfinden. Acht weitere Schauspielerinnen und Schauspieler werden für diese kurzen Szenen eingesetzt, in denen ihnen wenig Raum für die künstlerische Bravour geboten wird.

Einmal ist die Rede von einer Epidemie, bei der die Patienten bei einer ansteckenden Berührung angeblich gleich zusammenkleben. Es handelt sich zwar nur um das Hirngespinst eines Einzelgängers, gleichwohl steht die Krankheit für die Angst der Menschen vor Nähe. Wiederholt geht es auch um Geld und Reichtum, der offenbar Schuldgefühle mit sich bringt. Jedenfalls gilt das für jene reiche Frau, die sich einen Tanzpartner und Beischläfer leistet.

Dass die Zeitgenossen alle etwas durcheinander sind, gestresst und ängstlich, erklärt die starke Präsenz eines Therapeuten (Matthias Neukirch). Es zeigt sich beispielhaft auch in jener Szene – ein Höhepunkt der Aufführung –, in der eine Frau (Judith Hofmann) per Telefon von einem Nachbarn redet, den sie bei nervösen Gängen durch die Wohnung beobachtet, um gleich selbst immer nervöser zu werden.

Einfache Sprache und grosse Worte

Im Einzelnen mögen diese Short Cuts also für Witz und Slapstick sorgen. Loher setzt dabei zumeist auf eine simple Sprache, die den Charakteren angepasst scheint. Fallen zufällig grosse Worte wie «Glück», werden sie in Schockstarre versetzt. Dann wiederum kauen sie so lange an einem Thema herum, bis das Süssholz ausgesaugt ist. Bisweilen sickern jahrhundertelang gereifte Ideen in ihre leeren Köpfe, um bloss als Banalität aus ihren Mündern zu dringen: Das Unterbewusste lässt sich nicht wegtanzen. Was nach dem Tod bleibt – die Erinnerung.

Diese Banalität aber schlägt auch auf das Stück selber zurück. Man vermisst irgendwann die ästhetische Mission und die sprachliche Ausdruckskraft. Und die Episoden wirken zuweilen wie ein Geplänkel, das die fast dreistündige Aufführung (Pause inbegriffen) ohne zwingenden Grund in die Länge zieht. Wenn zuletzt der Fluss vergiftet ist, die Fische sterben und die Beziehung zwischen Nino und Erik in die Brüche geht, ist man nicht nur etwas traurig, man fühlt sich auch etwas erlöst.

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