Die zwei einst mächtigsten Fussballfunktionäre stehen wegen einer windigen Vereinbarung über 2 Millionen Franken vor Gericht. Der Fall birgt noch immer Zündstoff – auch für den Fifa-Präsidenten Gianni Infantino.

In wenigen Tagen feiert Joseph Blatter, der langjährige Fifa-Präsident, seinen 89. Geburtstag. Seine ersten, zugegebenermassen bescheidenen Spuren auf dem Fussballfeld hat er 1954 hinterlassen. Damals wurde Blatter als talentierter Stürmer des FC Sierre vom FC Lausanne-Sports eingeladen, mit den Reserven zu trainieren.

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Lausanne-Sports war damals sechsfacher Schweizer Meister, der letzte Titelgewinn lag erst wenige Jahre zurück. Dem Trainer des Fanionteams fiel der kleingewachsene, aber schnelle und wendige Stürmer aus dem Oberwallis auf. Der Verein legte Blatter eine Transfervereinbarung vor, die er aber nicht selber unterzeichnen konnte, weil er noch minderjährig war.

Blatters Vater, der stattdessen hätte unterschreiben sollen, zerriss den Vertrag kurzerhand. Mit den Worten «Mit dem Fussball kannst du nicht dein Leben verdienen» setzte er unter Blatters fussballerische Ambitionen einen frühen Schlussstrich. Dieser spielte fortan noch einige Jahre als Amateur beim FC Sierre, in der dritthöchsten Schweizer Liga.

These des Vaters widerlegt

Auf Verbandsebene ist Blatters Fussabdruck definitiv grösser als auf dem Fussballfeld. Damit widerlegte er die These seines Vaters doch noch, dass man mit Fussball sein Leben nicht finanzieren könne. Allerdings schleppt Blatter aus seiner Zeit als Fifa-Präsident auch einige Altlasten mit sich. Ab Montag steht er erneut vor Gericht. Fast drei Jahre nach dem erstinstanzlichen Freispruch steht in Muttenz die Berufungsverhandlung an. Es geht um eine umstrittene Zahlung an Michel Platini, den früheren französischen Fussballstar und späteren Präsidenten des europäischen Fussballverbands Uefa.

Sowohl die Bundesanwaltschaft wie der Weltfussballverband Fifa haben Beschwerde gegen den Freispruch eingereicht. Sie wollen Platini und Blatter doch noch verurteilt sehen: als angebliche Betrüger im Zusammenhang mit einem Vertrag, bei dem einst 2 Millionen Franken von der Fifa an Platini flossen.

Im Sommer 2022 konnten Blatter und Platini das Gericht überzeugen, dass bei diesem Deal alles rechtens abgelaufen ist. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts sprach beide von sämtlichen Vorwürfen frei. In Bellinzona freuten sie sich über ihren Freispruch vor Gericht fast wie über einen Sieg auf dem Fussballplatz.

Ins schriftliche Urteil schlich sich dann allerdings ein Wermutstropfen. Der Freispruch sei in Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro reo» erfolgt, hiess es dort, im Zweifel für den Angeklagten.

Die Bundesanwaltschaft hakte nach und legte Beschwerde ein – sie verlangte nach dem Videoassistenten, würde man im Fussball sagen. Jetzt wird der Fall, der bis heute hochspannende Fragen birgt, nochmals ganz genau angeschaut.

Für was genau kassierte Platini 2 Millionen Franken von der Fifa?

Wieso machte er seine Forderung erst zehn Jahre später geltend?

Und vor allem: Wer gab der Bundesanwaltschaft am 27. Mai 2015 den entscheidenden Tipp zur bis dahin geheim gehaltenen 2-Millionen-Zahlung?

Der Ordner «EXCO 2009-2011»

An jenem Tag wurden am Fifa-Sitz auf dem Zürichberg Daten in der Grössenordnung von zehn Terabytes beschlagnahmt, wenige Stunden nach der spektakulären Festnahme zahlreicher hoher Fifa-Funktionäre im Hotel Baur au Lac. Zehn Terabytes entsprechen dem Umfang von mehreren Millionen Büchern. Es brauchte folglich den Tipp eines Insiders, der die Bundesanwaltschaft exakt auf die Zahlung an Platini aufmerksam machte – sie war in einem Ordner mit der Aufschrift «EXCO 2009-2011» abgespeichert.

Ohne diesen Tipp wäre heute vermutlich nicht Gianni Infantino Präsident der Fifa, sondern Michel Platini. Dieser galt als Kronfavorit für die Nachfolge des abtretenden Joseph Blatter. Wegen des eingeleiteten Strafverfahrens musste Platini unfreiwillig Forfait geben. Infantino, bei der Uefa Platinis rechte Hand, sprang für seinen Chef ein.

Wer also machte mit seinem Insiderwissen den Weg frei für Gianni Infantino?

Die Frage müsste eigentlich der damals verantwortliche Ermittler der Bundesanwaltschaft beantworten können – sein Name: Olivier Thormann. Noch am selben Tag nahm er am Fifa-Sitz Blatter und Platini zur Seite und liess die beiden polizeilich befragen zur strittigen Überweisung der 2 Millionen Franken.

Knapp ein Jahr später nahm Thormann, zusammen mit seinem Vorgesetzten Michael Lauber, an einem der nicht protokollierten Treffen mit Gianni Infantino teil. Dieser war in der Zwischenzeit zum Fifa-Präsidenten gewählt worden. Wenig später schied Thormann unschön aus der Bundesanwaltschaft aus, blieb aber nicht lange ohne Job: Alsbald wurde er in die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts gewählt – es ist ausgerechnet jene Gerichtsinstanz, die jetzt über die Beschwerden im Fall Blatter/Platini befinden muss.

Ausgeloste Richter

Auf Antrag von Platinis Anwalt wurde nicht nur Olivier Thormann als Präsident der Berufungskammer für befangen erklärt, sondern mit ihm die gesamte Beschwerdeinstanz. Als Ersatz mussten drei kantonale Gerichtspräsidenten ausgelost werden, mit jenem aus dem Kanton Basel-Landschaft als Präsidenten. Deshalb findet die Berufungsverhandlung nun im Strafjustizzentrum in Muttenz statt.

Damit sind die Skurrilitäten, die diesen Fall umgeben, noch nicht zu Ende erzählt. Ausgerechnet Olivier Thormann ist vom Ersatzgremium jenes Gerichts, das er präsidiert, als Zeuge vorgeladen worden. Er soll noch einmal dazu befragt werden, wer ihm am 27. Mai 2015 am Fifa-Sitz in Zürich jenen Hinweis gegeben hat, der schliesslich den Weg freimachte für die Kandidatur Infantinos für das Fifa-Präsidium.

Bereits an der erstinstanzlichen Gerichtsverhandlung, 2022 in Bellinzona, hatte sich Thormann dazu geäussert – klipp und klar: Markus Kattner sei es gewesen, der ihn damals auf die umstrittene Zahlung aufmerksam gemacht habe. Der deutsch-schweizerische Doppelbürger Kattner war mehr als zehn Jahre lang Finanzdirektor der Fifa.

War damit das Rätsel, das jahrelang Anlass zu wilden Spekulationen gab, endlich gelöst? Leider nein.

Anzeige wegen Falschaussage

Aufgrund von Thormanns scheinbar unmissverständlicher Aussage bot das Gericht nachträglich auch Kattner zur Befragung auf. Dieser bestritt im Zeugenstand, den entscheidenden Hinweis gegeben zu haben. Dazu habe er keinen Grund gehabt, sagte er vor Gericht.

Das bewog Platinis Anwalt, eine Strafanzeige gegen den Gerichtspräsidenten Thormann einzureichen, wegen des Verdachts der Falschaussage. Das Verfahren wurde eingestellt.

In Muttenz kommt es jetzt zum Showdown der zwei Zeugen, die sich in diesem zentralen Punkt widersprechen. Markus Kattner soll vom Gericht am Montag befragt werden, Thormann am Dienstag.

Derweil hat Joseph Blatter bereits für seinen Auftritt vor Gericht üben können. Am vergangenen Donnerstag wurde er in Bern per Videoschaltung von der Wirtschaftskammer des Landgerichts Frankfurt am Main als Zeuge befragt. Der Anlass: das Verfahren wegen möglicher Steuerhinterziehung mit dem Aktenzeichen 5/2 KLs 11/18 – 7550 Js.

Dahinter versteckt sich, und das ist kein Witz, das Steuerverfahren um das deutsche «Sommermärchen»: Ehemalige DFB-Funktionäre müssen sich im Zusammenhang mit einer umstrittenen Zahlung anlässlich der Kandidatur Deutschlands für die Fussball-WM 2006 verantworten. Das Schweizer Strafverfahren zum Fall «Sommermärchen», bei dem es um denselben Sachverhalt ging, verjährte bereits vor fünf Jahren.

Die deutschen Gerichte hingegen arbeiten sich noch daran ab – die Mühlen der Justiz mahlen offenbar nicht nur hierzulande langsam.

Derweil hat die Fifa ihr Interesse verloren an derartigen juristischen Petitessen. Obwohl als Privatklägerin, also als Geschädigte konstituiert, hat sie sich für die gesamte Berufungsverhandlung in Muttenz dispensieren lassen.

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