Die Deutsche Presse-Agentur hat eine grosse Deutungsmacht. Ihrem Anspruch, sachlich und neutral zu berichten, wird sie nicht immer gerecht.
Im Berliner Hauptsitz der Deutschen Presse-Agentur wird man gleich mit einem Verbrechen konfrontiert. Auf einem Bild im Eingangsbereich sind zwei Schuhe zu sehen, die auf dem Asphalt liegen, daneben Kreidemarkierungen, im Hintergrund Schaulustige und Polizisten. Der «SDS-Ideologe Rudi Dutschke», so vermeldete die DPA am 11. April 1968, sei von einem noch unbekannten Täter angeschossen worden.
Rudi Dutschke, der ein ambivalentes Verhältnis zu Gewalt pflegte, überlebte den Anschlag knapp. Die Schlagzeile mit dem wohl eher abwertend gemeinten Wort «Ideologe» findet der heutige DPA-Chefredaktor Sven Gösmann problematisch. «So würden wir das heute wohl nicht mehr formulieren», sagt er, während er die Besucher hereinbittet. Gösmann ist 58, er hat für die «Welt am Sonntag» und die «Bild»-Zeitung gearbeitet, die Dutschke einst als Staatsfeind markierte. Seit 2014 ist er Chefredaktor der DPA.
Eine Reaktion auf die Goebbels-Propaganda
Drinnen im Gebäude ist es auffällig ruhig, die Sessel in den grün beleuchteten Fernsehstudios sind verwaist, am Tresen in der Kaffeebar steht einsam ein eingerahmtes T-Shirt von Jogi Löw. Nur im Newsroom herrscht ein wenig Betrieb. «Geheimpapier enthüllt sadistische Hamas-Methode», so lauten die Schlagzeilen auf den Bildschirmen, «Hochwasser bremst Arbeitsmarkt in Bayern aus».
Auch wenn es nicht so scheint, gehört die DPA-Gruppe zu den grössten und mächtigsten Medienhäusern Deutschlands. Sie beschäftigt weltweit über 1300 Angestellte, von ihnen sind – «je nach Lesart», wie es Gösmann ausdrückt – 800 bis 1000 Journalisten. Diese arbeiten an 137 Standorten, allein in Deutschland gibt es 54 DPA-Büros.
Weltweit verkauft die deutsche Agentur Nachrichten an mehrere hundert Kunden: Organisationen, Institutionen, Unternehmen und vor allem Medienhäuser. Diese dominieren auch unter den 170 Gesellschaftern der DPA, wobei die öffentlichrechtlichen Anstalten den grössten Anteil besitzen.
Die meisten Abnehmer der DPA sind im deutschen Sprachraum tätig, von der ARD über die NZZ bis zu den «Kieler Nachrichten». Dazu erhält die DPA staatliche Fördergelder für verschiedene Projekte. Im Gegensatz zur kriselnden Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) erzielt die DPA mit dem Nachrichtengeschäft Gewinne. Immerhin 1,4 Millionen Euro waren es letztes Jahr.
Der Chefredaktor Gösmann erklärt sich den Erfolg unter anderem damit, dass die DPA davon weggekommen sei, ein reiner Nachrichtenticker zu sein. Sie versorgt ihre Kunden mit Einordnungen, Videos, Faktenchecks und Neuigkeiten, die früher als boulevardesk verschmäht worden wären. Zum Beispiel: «Thomas Gottschalk und seine Partnerin Karina Mross sind verlobt».
Gegründet wurde die DPA 1949 von Zeitungsverlegern, als Reaktion auf die staatliche Goebbels-Propaganda. Bis heute ist sie der nüchternen Nachricht verpflichtet. Sven Gösmann spricht von «freiheitlicher und unbeeinflusster Grundversorgung». «Wir haben keine eigene Haltung», sagt er, «wir sind anders als alle anderen, müssen unterschiedlichsten Kunden gerecht werden.»
Die halbe Wahrheit über Greta Thunberg
Aufgrund dieser Ausrichtung ist der Einfluss der DPA weniger sichtbar als bei anderen Medien, etwa im Fall des Springer-Verlags, der mit schrillen Schlagzeilen Aufmerksamkeit generiert. Gleichwohl prägt sie die Berichterstattung und damit den politischen Diskurs. «Ereignis-Notariat» nannte man sie früher, was so viel hiess wie: Was die DPA berichtet, hat stattgefunden, alles andere ist unwichtig.
Diese Funktion eines Gatekeepers (Pförtners) hat die DPA wie andere Medien verloren, seit jeder x-beliebige Bürger Nachrichten in den sozialen Netzwerken verbreiten kann. Aber die Frage, wie die DPA Themen aufgreift, mit welchen Quellen, Etikettierungen und Wertungen, ist heute ähnlich entscheidend wie 1968, als mit dem Begriff «Ideologe» eine bestimmte Stimmung erzeugt wurde.
Was die DPA publiziert, wird von führenden und kleinen Medien oft wortgleich weiterverbreitet. So berichteten der «Tages-Anzeiger», der Bayerische Rundfunk, die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», die «Zeit» und andere Medien Anfang September über Greta Thunberg, die sich neuerdings der palästinensischen Sache (oder dem, was sie dafür hält) hingibt. Die Schwedin, so heisst es in den Berichten übereinstimmend, nutze die Reichweite ihrer sozialen Netzwerke, «um auf die verheerende Situation der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen aufmerksam zu machen».
Das klingt ehrbar und empathisch, ist aber nur die halbe Wahrheit: Thunberg verbreitet in den sozialen Netzwerken Genozid-Vorwürfe und Boykottaufrufe, unter anderem gegen die israelische Sängerin Eden Golan, die am Eurovision Song Contest in Malmö von einem massiven Polizeiaufgebot geschützt werden musste.
Friedliche Klimaaktivisten mit Gitarre, Polizisten in Vollmontur
Derartige «Framings» – neudeutsch spricht man von «Rahmungen» – begegnen einem in DPA-Meldungen immer wieder, auch bei umstrittenen Themen. Auch mit Adjektiven und Labels können Medien das Publikum bewusst oder unbewusst beeinflussen.
Ausschreitungen von französischen Linksextremen, die Anfang Juli nach den Wahlen randalierten, erschienen bei der DPA als «Zusammenstösse zwischen Antifaschisten und der Polizei». Die Partei La France insoumise, die Genozid-Propaganda verbreitet und mit Islamisten kooperiert, nannte sie «propalästinensisch». Und den neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian präsentierte sie dem Publikum als «moderaten Politiker». Ein Wording, das wieder viele Medien übernahmen, obwohl auch Peseschkian nach westlichen Massstäben ein Antisemit und ein Fundamentalist ist.
Besonders die Berichterstattung zu Klimaaktivisten bringt der DPA regelmässig die Kritik ein, sie berichte mehr ideologisch als nüchtern. Als Klimaaktivisten 2023 zum Teil gewaltsam gegen den Braunkohleabbau in Lützerath protestierten, veröffentlichte die Agentur ein Stimmungsbild von friedlichen, Gitarre spielenden Protestlern, die Polizisten in Vollmontur gegenüberstehen. «Der Kontrast könnte grösser kaum sein», heisst es in dem Text, den «TAZ», «Zeit», «Süddeutsche» und andere übernahmen.
Zu einer landesweiten Debatte kam es, als die DPA im Juni 2023 unter dem Titel «UN nach Razzia: Klimaaktivisten müssen geschützt werden» suggerierte, die Uno sei besorgt, weil die deutschen Behörden gegen Klimakleber ermittelten. In der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» warf ein Gastautor der DPA vor, sie verbreite Fake News.
Militante Palästinenser oder Terroristen?
Der Vorwurf war überzogen, aber die DPA hatte mit ihrer ursprünglichen Meldung zweifellos Medienberichte angestossen, die das Publikum in die Irre führten. Sind das alles Ausrutscher oder Zeichen einer (links)aktivistischen Tendenz, die auch in anderen Medienhäusern zu beobachten ist?
Letzteres weist der DPA-Nachrichtenchef Froben Homburger vehement zurück. Homburger hat denselben Jahrgang wie sein Chef Gösmann, trägt aber einen legeren Look, der auch zu einem Gitarrenlehrer passen würde, mit Armband und lockigen grauen Haaren. Vorwürfe nimmt er sehr ernst, geht ihnen akribisch nach. «Ich schliesse nie aus, dass es Texte gibt, die den Eindruck erwecken, wir hätten Schlagseite», sagt er. «Aber dann ist die Ursache nicht eine bestimmte Haltung, sondern ein handwerklicher Fehler.»
Das Stimmungsbild von den musizierenden Aktivisten in Lützerath sage nichts über den Tenor der Berichterstattung zu diesem Thema aus. Schliesslich habe die DPA zu Lützerath rund 300 Meldungen verfasst, in denen die Gewalt mancher Demonstranten immer wieder klar benannt worden sei.
Grundsätzlich, sagt Homburger, gehe man bei der DPA mit dem Thema Haltung so um: Jeder dürfe eine Meinung haben, aber das dürfe sich nie auf die Berichterstattung auswirken. Berichte hätten nie einem ideologischen Ziel zu dienen. Das sei bei der DPA einer der wichtigsten Grundsätze in der Ausbildung. Im Zweifel sollen die Mitarbeiter auf Label verzichten und bloss darüber berichten, was sie sehen und hören.
Als Beispiel nennt Homburger die gegenwärtigen Demonstrationen gegen Israel, an denen Juden manchmal als Kindermörder dämonisiert werden und Demonstranten den Hitlergruss zeigen. «Obwohl wir immer versuchen, uns einem Thema so sorgfältig wie möglich anzunähern, haben wir auch schon Demonstrationen als propalästinensisch gelabelt, die eindeutig antisemitische Züge hatten. Das ist natürlich schlecht.»
Wenn es um Kriege geht, stehen Nachrichtenagenturen von allen Seiten unter Druck. Sollen sie von Terroristen sprechen, wenn es um die Hamas geht? Und sagt man bei Mitteilungen der israelischen Armee ebenfalls, dass sich die Nachricht nicht unabhängig prüfen lasse?
Die BBC und die französische AFP verzichten darauf, Hamas-Leute Terroristen zu nennen. Dies mit der Begründung, es sei nicht ihre Aufgabe, den Leuten zu sagen, wer die Guten und wer die Bösen seien. Begriffe wie «Terrorist» könnten zudem von Regierungen missbraucht werden. Auch die DPA schrieb nach dem Massaker des 7. Oktober zunächst von «militanten Palästinensern» und «Hamas-Kämpfern», sprach dann aber konsequent von Terroristen.
«Wir haben das nach klaren Kriterien beurteilt», sagt Homburger. «Wenn eine Organisation systematisch auf grausame, tödliche Weise gegen die Zivilbevölkerung vorgeht, ist der Begriff ‹terroristisch› gerechtfertigt.» Allein die Tatsache, dass die DPA zwei Tage lang zögerte, hat ihr Kritik von israelfreundlichen Kreisen eingebracht. Und natürlich sind propalästinensische Kreise empört über die Einstufung der Hamas.
Für Froben Homburger gehört das zum Alltag: «Wir werden von allen Seiten attackiert, das ist die Grundkonstellation.» 95 Prozent der DPA-Nachrichten seien fehlerfrei, die restlichen 5 Prozent beträfen meist Tippfehler. Der Gau, dass eine Nachricht zurückgezogen werden müsse, komme äusserst selten vor.
Der Tag, an dem die DPA den Sowjet-Diktator sterben liess
In der Geschichte der DPA gibt es einige Tiefschläge und Scoops. Rudolf Küstermeier, der DPA-Korrespondent in Israel, gehörte 1962 zu vier weltweit ausgewählten Journalisten, die der Hinrichtung des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann beiwohnen durften. Küstermeier hatte das KZ Bergen-Belsen überlebt, er war der erste deutsche Korrespondent im jüdischen Staat. Das «Klicken der sich plötzlich öffnenden Falltür» sei das Letzte gewesen, was man gehört habe, schrieb er am 1. Juni 1962.
Zwei Jahre später erlebte die DPA ihren wohl grössten Reinfall, als sie einer gefälschten Nachricht aufsass – und im April 1964 den Tod des sowjetischen KP-Generalsekretärs Nikita Chruschtschow vermeldete. Chruschtschow war politisch zwar bereits schwer angeschlagen, lebte aber noch bis 1971. Der Vorfall führte zu diplomatischen Verstimmungen zwischen der Sowjetunion und der BRD.
Politisch unter Beobachtung war die DPA schon immer. Der «Spiegel» stellte die Nachrichtenagentur Ende der 1960er Jahre als regierungshöriges, konservatives Organ dar, das die US-Politik unkritisch begleite und Tränen für die armen Autofahrer vergiesse, die unter höheren Ölpreisen litten. Das Bonner Büro der DPA wurde 1980 von Linksextremen überfallen, die gegen Helmut Schmidts «Propagandamaschinerie» protestierten.
Nachzulesen ist das im Buch «Im Dienst der Nachricht» von Hans-Ulrich Wagner, das dieses Jahr erschienen ist. Wie die DPA berichtet und von wem sie kritisiert wird, ist immer auch Ausdruck des Zeitgeists. Die Strasse, an der die DPA ihren Hauptsitz hat, wurde 2008 in Rudi-Dutschke-Strasse umbenannt. Es war eine späte Rache der Linken am Axel-Springer-Verlag, dem das DPA-Gebäude früher gehörte. Die alte DPA-Meldung im Eingang des Gebäudes wird heute von einer Tafel flankiert, auf der steht, Dutschke habe sich für eine «radikale Veränderung» der Gesellschaft eingesetzt.
Ob das passender ist als «Ideologe», bleibt Ansichtssache.