Freitag, November 29

An Olympia und den Paralympics in Paris sind 45 000 Volunteers im Einsatz. Das IOK betont, ohne sie seien keine Grossanlässe möglich – trotz finanziellem Erfolg der Spiele gehen die Helfer leer aus.

Beatrice Kopp ist dieser Tage sehr zufrieden. Die letzten Wochen hat sie damit verbracht, wichtigen Gästen des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) zu erklären, wo ihre Sitzplätze in den Arenen zu finden sind. Oder sie hat Sportlerinnen beim Transport an ihre Wettkampfstätten betreut. In den kommenden Wochen wird die Französin neue Aufgaben haben. Sie ist eine freiwillige Helferin an den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris. An Olympia half sie im Transportteam, während der Paralympics wird sie im Protokollteam im Einsatz sein.

Am Mittwoch beginnt mit den Paralympics die zweite Hälfte des Pariser Sportsommers. Kopp wird sich dann um Funktionärinnen und Funktionäre sowie andere Offizielle kümmern, die Gäste zum Beispiel in Lounges willkommen heissen und betreuen. Kopp gehört zu den freiwilligen Helferinnen und Helfern, die während der Spiele in Frankreichs Hauptstadt einen geordneten Ablauf ermöglichen.

In Paris sind in diesem Sommer 45 000 Freiwillige im Einsatz. Sie zeigen Zuschauerinnen und Zuschauern den Weg zu U-Bahn-Stationen oder zum Stadion, erklären Medienschaffenden das Einwählen ins Internet oder bescheren VIP einen angenehmen Aufenthalt. Sie heissen Volunteers – weil sie gratis arbeiten. Ist das fair? Schliesslich setzt das IOK an den Olympischen Spielen Milliarden um; auch dank den freiwilligen Helferinnen und Helfern wie Kopp.

Volunteers bezahlen für Unterkunft und Anreise

Kopp findet es in Ordnung, dass sie für ihren täglich siebenstündigen Arbeitseinsatz kein Geld bekommt. Sie arbeitet im Bildungssektor, hat für die Spiele freigenommen. «Wenn man Volunteer sein will, muss man wissen, was es bedeutet, ein Volunteer zu sein», sagt sie. «Wir erhalten nur eine Mahlzeit am Tag, ein Ticket für den lokalen Transport und eine Armbanduhr. Wir müssen sogar unsere Unterkunft in Paris selbst bezahlen.»

Kopp ist für die Spiele aus Nantes nach Paris gereist, auch für die Anreise musste sie selbst aufkommen. Sie sagt: «Mir ist es ein Anliegen gewesen, meinen Teil zu den Spielen in Frankreich beizutragen.» So wie Kopp denken viele. Laut offiziellen Angaben sind 300 000 Bewerbungen beim Organisationskomitee der Spiele von Paris eingegangen. Die Ausrichter konnten bei ihrer Suche nach helfenden Händen wählerisch sein.

Nicht wenige der Volunteers schätzen ihr Dabeisein sogar als grosses Privileg ein. So sieht das auch der Softwareberater Jim Stewart aus den USA: «Ich glaube, ich hatte grosses Glück. Ich werde hier im Event-Management am Eiffelturm eingesetzt.» Paris sei so sehenswert, der Event historisch. «Ich bin sowieso am glücklichsten, wenn ich anderen Menschen helfe. Und die Olympischen Spiele sind eine gute Gelegenheit, Menschen aus der ganzen Welt bei einfachen Dingen zu unterstützen.»

Volunteer zu sein, muss man sich leisten können

Wenn Olympische oder Paralympische Spiele beginnen oder zu Ende gehen, lassen die Ausrichter keine Gelegenheit verstreichen, den Volunteers zu danken. Ohne sie seien Grossanlässe nicht zu stemmen, heisst es jedes Mal. Wobei die Ausrichter der grössten Sportveranstaltung der Welt gerade vor diesem Hintergrund immer wieder Kritik auf sich ziehen: Wenn diese Volunteers so wichtig sind – warum bezahlt das IOK sie nicht?

Das fragt sich auch Jules Boykoff, Politikprofessor an der amerikanischen Pacific University und ein bekannter Olympiakritiker. Er sagt: «Die Spiele verlassen sich auf sehr viel Freiwilligenarbeit. Und es stimmt zwar, dass diese Freiwilligen ihre Zeit für etwas einsetzen, was ihnen wichtig ist.» Gleichzeitig handle es sich um einen Anlass, der Milliarden Dollar umsetze. «Und das IOK ist dafür bekannt, seine Einnahmen nicht zu verteilen», sagt Boykoff.

Die Erlöse des IOK – vor allem durch Sponsoring und TV-Gelder – sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Während eines Vierjahreszyklus setzte das IOK Anfang des Jahrtausends 3 Milliarden Dollar um. Mit dem Zyklus, der 2021 endete, waren es schon 7,6 Milliarden. Die Paralympics sind weitaus kleiner – aber auch sie wachsen in hohem Tempo.

Der Politologe Boykoff sagt: «Mit dem Geld, das vorhanden ist, könnte eine Menge getan werden. Während der Pandemie waren auch Ressourcen für Vorsichtsmassnahmen gegen Corona vorhanden.» Allerdings wird die Forderung nach Bezahlung der Volunteers selten erhoben. Boykoff sieht dennoch einen Grund, dass die Helfenden einen Lohn erhalten sollten: «Diese Situation führt doch auch zur Frage: ‹Wer kann es sich überhaupt leisten, sich als Volunteer einzubringen?›» Die gute Tat sei ein Luxus.

Das OK von Paris bleibt Antworten schuldig

Ähnlich empfindet es Cosima Dörfel Hill. Die Deutsche, die seit knapp vierzig Jahren in Grossbritannien lebt, war schon 2012 in London und 2016 in Rio als Volunteer aktiv. In Paris ist die Angestellte einer Rechtsberatung in der Medienarbeit im Einsatz. Diese Aufgabe, für die sie Ferien bezogen habe, mache ihr grossen Spass. Sie treffe Menschen aus der ganzen Welt und sei Teil einer riesigen Party.

Wie Boykoff findet aber auch Dörfel Hill, es sei ein Privileg, als Volunteer an den Spielen dabei zu sein: «Denn es gibt eine finanzielle Barriere.» Die freiwilligen Helferinnen und Helfer stammen deshalb vorwiegend aus reichen Ländern, doch auch für sie ist der finanzielle Aufwand beträchtlich. Dörfel Hill übernachtet in Paris dank Couchsurfing gratis. Sonst würde ihr Einsatz an den Spielen ihr Budget sprengen.

Dörfel Hill hat eine Idee, wie sich dies auch ohne Bezahlung ein Stück weit ändern liesse. Sie sagt: «Es würde helfen, wenn wir Unterstützung bei der Unterbringung hätten.» Oder bei der Anreise. Ein Freund von ihr habe als Volunteer bei den Spielen 2012 in London auf dem Campingplatz übernachtet, dort seien ihm am letzten Tag Wertsachen gestohlen worden. «Die Organisatoren sorgen nicht einmal dafür, dass wir nachts einen sicheren Schlafplatz haben», sagt Dörfel Hill.

Eine Anfrage zu diesen Themen beim Organisationskomitee der Olympischen Spiele und der Paralympics in Paris blieb unbeantwortet. Sich Gedanken über die Behandlung der Volunteers zu machen, haben die Olympia-OK nicht nötig. Bei den nächsten Spielen werden sich sowieso wieder genügend einsatzbereite Personen bewerben.

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