1814 in Wien geboren, gehört die Schriftstellerin und Journalistin Betty Paoli zu den bemerkenswertesten Figuren ihrer Epoche. Eine Biografie und eine Werkauswahl rufen sie in Erinnerung.
Adalbert Stifter hat der berühmten Unbekannten in seinem Roman «Der Nachsommer» ein Denkmal gesetzt. Als Highlight im intellektuellen Salon einer Fürstin kommt sie vor und wird gleich durch die Brille «von Männern, die über solche Dinge sprechen können» betrachtet. Nach ihrem Urteil «war die Gesellschafterin von ausserordentlicher Begabung, sie war im Stande, jedes Grosse in sich aufzunehmen und wiederzugeben, so wie ihre eigenen Hervorbringungen, zu denen sie sich zuweilen verleiten liess, zu den beachtenswertesten der Zeit gehörten».
Ihr Name wird nicht genannt, aber aus Stifters Biografie ist klar, um wen es sich bei der sanft autofiktionalen Passage handeln muss. Um Betty Paoli. Sie war geistige Begleiterin der Wiener Fürstin Schwarzenberg, und wenn es so etwas in der Epoche des Biedermeier gegeben hat, ein ziemlich bunter Hund. Auf stilvolle Weise vorlaut, frühe Feministin im kulturellen Männerkartell der Zeit. Unverheiratet, Mutter eines unehelichen Kindes, das früh starb.
Doppelte Wiedergutmachung
Man hat sie mit George Sand verglichen, mit Rahel Varnhagen und Annette von Droste-Hülshoff, aber nach ihrem Tod im Jahr 1894 war Betty Paoli, bürgerlich Betty Glück, schnell vergessen. Wenn jetzt eine grossartige Biografie der Schriftstellerin erscheint und unter dem Titel «Ich bin nicht von der Zeitlichkeit!» auch noch eine Auswahl ihres Werks, dann ist das nicht nur doppelte Wiedergutmachung, sondern füllt auch eine literaturgeschichtliche Lücke.
Karin S. Wozonig, seit langem Spezialistin für Paolis Werk, erzählt deren Lebensgeschichte als abenteuerliche Selbsterfindung. In Theorie und Praxis versucht eine Autorin, sich gegen die Konventionen der sanft verschlafenen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufzulehnen, um nach der Revolution von 1848 vom Erkämpften zu profitieren. Sie ist die erste weibliche Stimme, die sich in der Monarchie zu Recht Journalistin nennen darf. Sie schreibt viel. Sie rezensiert und dichtet. Ihre Lyrik präsentiert Ernstfälle des Gefühls, wehrt sich aber gegen eine Gefühligkeit, in der das eigene Ich zum blinden Fleck wird.
Ihren Geburtsfamiliennamen wollte sie als Künstlerin nicht tragen, weil er in die assoziative Irre hätte führen können. Das Genre des Glücks haben andere besser bespielt, ihrer Literatur hat Betty Paoli die Lizenz zur Tragik erteilt. Es geht um Sehnsucht, soziale Dysfunktionalität von Geliebten und um das Alleinsein. «Wohl steh’ ich einsam in dem Weltgewühle, / Wo keine Brust sich an die meine legt», heisst es einmal. Das lyrische Ich der Dichterin hat eine dunkle Ahnung, dass Intellekt und Stolz ein soziales Hemmnis sein könnten, aber von beidem will es nicht lassen.
Gegen den Zeitgeist
Die geistige Hybris männlicher Kollegen konterkariert Betty Paoli mit unverschämt boshaften Essays und Kritiken. Geht es um Kunst, dann ist es «an der Zeit dem Zwerg die Stelzen, auf denen er herumstolziert, abzuschnallen». Den «Fuselduft» unlauterer Poesie knöpft sich die Kritikerin Paoli genauso vor, wie sie die rühmt, die Ruhm verdient haben. Die Droste-Hülshoff zum Beispiel, denn ihre Gedichte sind «von einem Geist durchweht, der mit dem Zeitgeist nicht das Geringste gemein hat».
Den Zeitgeist nimmt sich die Schriftstellerin Paoli auch in ihrer Novelle «Anna» vor. Es geht darin um eine Frau, für die männlicher Narzissmus buchstäblich tödlich wird. Der Hochmut des Ehegatten bringt Anna zu Fall. Die Geschichte hat hohe literarische Qualität und würde heute wohl für das Vorabendfernsehen verfilmt. «Ich bin nicht von der Zeitlichkeit!» war eine schillernd unscharfe Selbsteinschätzung Betty Paolis. Für ihre Epoche war sie modern, weil sie das Unmoderne dieser Zeit ganz genau beschrieb.
Betty Paoli: «Ich bin nicht von der Zeitlichkeit!» Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Karin S. Wozonig. 254 S., Fr. 35.90. – Karin S. Wozonig: Betty Paoli. Dichterin und Journalistin. Eine Biografie. 510 S., Fr. 48.90. Beide Residenz-Verlag, Salzburg 2024.