Mittwoch, März 26

Seit dem 7. Oktober 2023 hat Gewalt gegen Juden zugenommen. Auch Holocaustleugner verbreiten ihre Verschwörungstheorie ungehemmter denn je. Donatella Di Cesare zeigt, wie sie Geschichte und Menschen manipulieren.

Das Konzentrationslager Auschwitz wurde vor achtzig Jahren befreit. Kaum ein Kapitel der Geschichte ist seitdem gründlicher erforscht worden als der Nationalsozialismus und der millionenfache Mord an den Juden Europas. An dem Menschheitsverbrechen gibt es nichts zu deuteln. Spätestens seit dem 16. April 1945, als die amerikanische Armee die Weimarer Bürger mit den Leichenbergen im KZ Buchenwald konfrontierte. Doch die Menschen wollten es nicht glauben, wandten ihren Blick ab. «Apperzeptionsverweigerung» nannte der Schriftsteller Heimito von Doderer das.

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Heute spricht man von «Holocaustleugnung». Die Leugner leben unter uns, und die Zahl wächst, genährt tausendfach von den sozialen Netzwerken. Es hilft nicht, dass die Uno am 27. Januar, dem «Internationalen Tag des Holocaust-Gedenkens», der Opfer gedenkt und den neuen Antisemitismus beklagt. Dieser ist kein Randphänomen mehr, sondern ist in den Mainstream gewandert. Schon 2013 hat Irans Staatspräsident vor der Uno-Generalversammlung die Shoah geleugnet.

Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare deckt seit Jahren die Wurzeln der Holocaustleugnung auf. Sie stand lange unter Polizeischutz, weil sie einen Holocaustleugner als einen solchen bezeichnet hatte und von ihm bedroht wurde. Sie gewann mehrere Prozesse, auch gegen den italienischen Landwirtschaftsminister. Dieser hatte die Juden beschuldigt, einen «Volksaustausch» herbeiführen zu wollen. Di Cesare war nicht bereit, das Statement als Ausrutscher hinzunehmen: «Er hat wie ein neohitlerischer Statthalter gesprochen.»

Im Sonderkommando von Auschwitz

Donatella Di Cesare ist die Gedankenwelt, aus welcher die Idee des «grossen Austauschs» stammt, bestens bekannt. Sie warnt davor, solche sprachlichen «Ausrutscher» als lässlich hinzunehmen, insbesondere wenn Menschen mit Regierungsverantwortung sie äussern. Die Philosophie-Professorin an der Sapienza in Rom beschäftigt sich seit Jahren mit Holocaust-Verneinung.

Ihr neuestes Buch, den schmalen Band «Wenn Auschwitz negiert wird: Gegen Holocaustleugnung», hat sie Shlomo Venezia gewidmet. Kaum zwanzig Jahre alt, landete der junge Mann im Sonderkommando von Auschwitz-Birkenau, einem aus jüdischen Häftlingen bestehenden Arbeitskommando, das die Aufgabe hatte, die Ermordung der Deportierten vorzubereiten. Er war der einzige Italiener unter den 120 Überlebenden dieses Kommandos. Bis 1992 hat er über seine Erfahrungen geschwiegen.

Die Begegnung mit Venezia war für Di Cesare entscheidend für die Entstehung ihres Buches. Venezia ist für sie der «ultimative Zeuge». Als Teil des Sonderkommandos konnte er bestätigen, dass Gaskammern und Verbrennungsöfen existierten. Schon die SS wollte die Mordmaschinerie geheim halten. «Die Nazis wollten nicht nur die Juden vernichten, sie wollten auch noch die Vernichtung selbst vernichten», sagte Claude Lanzmann einst. Bevor sie vor der Roten Armee flohen, sprengten sie Kammern und Krematorien.

«Keiner wird übrigbleiben»

Primo Levi hat den Mechanismus hinter der Holocaustleugnung präzis beschrieben: «Keiner von euch wird übrigbleiben, um Zeugnis abzulegen; aber selbst wenn einer davonkommen sollte, würde die Welt ihm nicht glauben.» Die Holocaustleugner gehen meist vorsichtig vor: Man wird ja wohl Zweifel haben dürfen, wenn man keine Gaskammern sehen kann. Noch perfider ist die «Logik»: Wenn es Vernichtung gegeben hätte, wärt ihr nicht hier, um sie zu bezeugen. Di Cesare fasst die perfide Argumentation so zusammen: «Die Glaubwürdigkeit des Zeugen läge in seinem eigenen Tod – doch wer tot ist, kann kein Zeugnis ablegen.»

Holocaustleugnung begann mit dem Ende des Krieges. Und sie ist kein deutsches Phänomen. Jean Marie Le Pen und David Irving gehören zu den prominentesten Vertretern. Di Cesare zitiert Le Pen mit einem infamen Text, den er im Fernsehen vortrug: «Ich sage nicht, dass die Gaskammern nie existiert haben. Ich persönlich habe sie nicht gesehen. Ich habe mich nicht gezielt mit der Frage auseinandergesetzt. Aber ich halte sie für ein Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs.» Das klingt nicht so rotzig wie Gaulands «Vogelschiss», hat aber dieselbe Stossrichtung.

«Negationismus», Verneinung, so Di Cesare, könne nur im Licht seiner «verschwörungstheoretischen Grundstruktur» durchschaut werden. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat dieses Denken Konjunktur. Zum Beispiel, wenn behauptet wird, 9/11 sei vom israelischen Geheimdienst Mossad eingefädelt worden. Globale Machenschaften, so Di Cesare, seien das Unterfutter der jüdischen Weltverschwörung: die Juden als anpassungsfähigste Ausländer mit ihren transnationalen Netzwerken, die alles steuern und manipulieren.

Einen Schlussstrich unter die Geschichte ziehen

Nach dem Massaker vom 7. Oktober konnte man das wieder erleben. Vergewaltigungen und verbrannte Babys, die von den Tätern selber gefilmt worden waren, wurden als Fake News bezeichnet, es hatte sie nicht gegeben. Die Zeugen konnten keine sein, denn sie hatten das Massaker ja überlebt.

Schon Luther hat die Juden als Lügner verschrien. Für Holocaustleugner ist es klar, dass die Juden auch über den Genozid an den Juden lügen. Warum sie das tun? Weil sie, in der Logik der Leugner, aus der Entstellung der Geschichte Profit schlagen wollten. Seit dem Sechstagekrieg habe sich nur etwas gewandelt, schreibt Di Cesare: Waren bislang die Deutschen die Opfer des Betrugs, sind es heute Muslime und Palästinenser.

Donatella Di Cesare hat mehrere Prozesse gegen Holocaustleugner gewonnen. Im Buch sagt sie: «Im Prozessurteil habe ich nicht nur Gerechtigkeit erfahren, sondern auch die Tiefe und Widerständigkeit einer Demokratie, die bei Bedarf scharf und entschieden reagieren kann.» Natürlich, die Leugner werden auch dies als Teil der Weltverschwörung brandmarken.

Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung möchten mehr als die Hälfte der Deutschen einen Schlussstrich unter die Geschichte des Nationalsozialismus ziehen. Ein Viertel aller Deutschen finden, die Juden hätten zu viel Macht. Angesichts dessen kommt dieses Buch zur rechten Zeit.

Donatella Di Cesare: Wenn Auschwitz negiert wird. Gegen Holocaustleugnung. Passagen-Verlag, Wien 2025. 168 S., Fr. 38.90.

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